GB-Experte im Talk:

„Parlament hat Johnson gezeigt, wo es langgeht“

Ausland
06.09.2019 15:15

Der britische Premierminister hat diese Woche im Kampf um die Brexit-Verhandlungen einige Niederlagen einstecken müssen. Am Dienstag stimmten die Abgeordneten, gegen den Willen Johnsons, für eine Verschiebung des Brexit bis zum 31. Jänner 2020, falls es bis zum 19. Oktober keinen Ausstiegsvertrag geben sollte. Der Premier, der auch einen Brexit ohne Vertrag in Kauf nehmen würde, scheiterte daraufhin am Mittwochabend mit einem Antrag auf Neuwahlen. Am Freitag hat das britische Oberhaus das neue Gesetz gegen einen ungeregelten EU-Austritt dann schlussendlich verabschiedet, für ein Inkrafttreten fehlt nur noch die Unterschrift von Königin Elizabeth II. Wie es in diesem Chaos nun weitergeht, hat Moderator Gerhard Koller mit dem Großbritannien-Experten Paul Schmidt von der österreichischen Gesellschaft für Europapolitik besprochen. Das ganze Interview sehen Sie im Video oben.

„Da macht ihm das britische Parlament einen Strich durch die Rechnung“, sagt Schmidt über die letzten innenpolitischen Ereignisse in Großbritannien. Das Unterhaus habe Johnson vor der parlamentarischen Zwangspause noch einmmal „gesagt, wo es langgeht“. „Letztlich muss die britische Regierung möglicherweise um eine Fristverlängerung ansuchen“, hält der Experte eine weitere Verschiebung der Verhandlungen mit der EU für wahrscheinlich.

„Baldige Neuwahlen wahrscheinlich“
Diese Verzögerung müsste wiederum von den Regierungschefs der anderen EU-Staaten einstimmig beschlossen werden. Das würde bedeuten, dass ein einziger Mitgliedsstaat für einen „No-Deal-Brexit“ am 31. Oktober verantwortlich sein könnte. So ein Szenario hält Schmidt jedoch für unwahrscheinlich: „Hier ist jetzt strategische Geduld gefragt, um zu sehen, was danach kommt. Es wird wahrscheinlich Neuwahlen geben, danach kann sich alles neu sortieren. Diese Zeit muss man den Briten geben.“

„Johnson ist ein ,Gambler‘“
Laut Schmidt lasse sich die EU in den Verhandlungen sicher nicht erpressen, da unter einem „No-Deal-Brexit“ vor allem Großbritannien leiden würde. Außerdem würden die Verhandlungen bei einem ungeregelten Ausstieg der Briten am 31. Oktober erst richtig losgehen. Für Johnson selbst seien Neuwahlen spannender, da er „kein Verhandlungsergebnis nach Hause bringen muss“. „Er ist ein Spieler, ein Gambler, ein britischer Nationalist dem vor allem die persönlichen Interessen vor die des Landes gehen“, kritisiert Schmidt Johnson.

Irische Grenzfrage als heikles Thema
Ein heißes Thema in den Verhandlungen sei außerdem die Grenzfrage zwischen Irland und dem zu Großbritannien gehörenden Nordirland. Wenn die Briten bei einem endgültigen Ausstieg aus der EU folglich auch aus dem Binnenmarkt ausscheiden würden, müsste wieder eine „harte Grenze“ zwischen den zwei Ländern aufgezogen werden.

Dieses Szenario wäre jedoch ein heikles, da es erst vor 20 Jahren einen Bürgerkrieg gegeben hat und die Grenzen seitdem offen sind. „Die Briten wollen daher den Zugang zum Binnenmarkt selbst bestimmen, was jedoch ein Ding der Unmöglichkeit ist“, so Schmidt. Für den Fall, dass keine Lösung in der irischen Grenzfrage erreicht werden kann, gibt es den von der EU entwickelten „Back Stop“, der als Übergangslösung ein Bestehen Großbritanniens im EU-Binnemarkt vorsieht.

Die Stimmung in der Bevölkerung auf der „Insel“ sei jedenfalls von Unsicherheit und Sorge geprägt. „Ein politisches System dem die wirtschaftliche Entwicklung und der Wohlstand des Landes ziemlich egal ist, wenn es um eigene Machtposition geht“, so beschreibt der Großbritannien-Kenner die Gründe dafür. Auch wenn die exportorientierten Unternehmen Notfallpläne für einen ungeregelten Brexit haben, sieht Schmidt noch viele weitere Probleme auf die Briten zukommen, da man auch auf die Interessen der restlichen britischen Mitgliedsstaaten wie Schottland oder Wales Rücksicht nehmen müsse: „Es ist eine historische Entwicklung, die niemanden kaltlässt.“

Markus Steurer
Markus Steurer
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