Schlagfertig

Das Aufleben lassen der alten Zeit ist erfolglos

Salzburg
25.08.2019 10:01

Am Ende hatte der Mann Tränen in den Augen. Ein hartgesottener Kumpel im deutschen Kohlerevier hatte Willy Brandt die Hand geschüttelt.Dem einstigen Flüchtling, gehetzt und verfolgt von der Gestapo. Aufgewachsen mit dem ursprünglichen Namen Herbert Frahm im norddeutschen Lübeck, dann auf der Flucht vor den Nazis in Norwegen, Schweden und als Soldat im spanischen Bürgerkrieg aktiv. Als Berichterstatter der Nürnberger Prozesse kam er zurück nach Deutschland. In eine Heimat, die ihm fremd war und in der viele Bundesbürger Vorbehalte gegen ihn hatten.

Der Friedensnobelpreisträger, der mit seinem Kniefall vor dem Mahnmal des Warschauer Ghettos eine für die Aussöhnung mit Polen so wichtige Geste gesetzt hatte. Dieser Willy Brandt war für die deutsche Sozialdemokratie die Lichtgestalt. Wie Bruno Kreisky in Österreich. Eine 3,40 Meter große Willy Brandt-Statue steht in der Parteizentrale der deutschen SPD in Berlin. Ein 500 Kilo schweres, steinernes Monument soll die deutschen Sozialdemokraten täglich an die guten alten Zeiten erinnern. Man sollte das Ding endlich wegräumen! Denn in Deutschland (Brandt), Österreich (Kreisky), Schweden (Palme) und Frankreich (Mitterrand) beobachten wir regelmäßig dasselbe Spiel. Die Führung beschwört die guten alten Zeiten, um ein heimeliges Gefühl vergangener Siege wiederaufleben zu lassen. Doch die Wähler kratzt das gar nicht mehr.
Was brauchen erfolgreiche sozialdemokratische Parteien also? Ganz sicher Glaubwürdigkeit. Ein großes Wort - doch vermutlich in der Politik die allerwichtigste Währung.

Mehr als andere Parteienfamilien müssen die Wähler der Sozialdemokratie an die Integrität des Spitzenpersonals vertrauen können. Sozialdemokratie transportiert ein Lebensgefühl: Wir kümmern uns um jene ohne Lobby, sorgen für gerechtere Verhältnisse in allen Lebensbereichen. Schaffen wir es in die Regierung, könnt ihr auf unsere Versprechen vertrauen. Daran hakt es: Die Wähler von Gerhard Schröder haben 1998 bestimmt keine Radikal-Agenda wählen wollen. Reformen ja, sozialpolitische Kahlschläge nach neoliberalem Vorbild nicht.
Gusenbauer verspricht die Abschaffung der Studiengebühren und lässt sich diese Forderung von Schüssel wegverhandeln. Hollande verspricht mehr Steuergerechtigkeit in Frankreich und bricht beispiellos ein. Corbyn ist inhaltspolitisch so schwach, dass die englischen Torys nur jubeln können, trotz Brexit-Desasters. Und die deutschen SPD- Führungskräfte haben derartig viel Angst davor, etwas falsch zu machen, dass gleich gar nichts kommt.
Brandts Ostpolitik wurde zuerst nur von einer Minderheit in der deutschen Bevölkerung unterstützt. Doch der Mann glaubte daran und kämpfte dafür.

Es braucht authentisches Personal. Können Sozialdemokraten von der besten Bildung für alle Kinder an öffentlichen Schulen sprechen, wenn die eigenen Kinder oft auf Privatschulen geschickt werden? Immerhin das zentrale Versprechen aller Sozialdemokraten: erstklassige Bildung für alle! Ist das im Wahlkampf gezeichnete Bild stimmig mit der Persönlichkeit? Wähler spüren das und entfachen entweder Sympathie für Kandidatin und Programm oder eben nicht. Mutlosigkeit, Phlegma und das ständige Aufleben lassen der guten alten Zeit ist öde und erfolglos.

P.S: Zum Schluss ein Gruß an meine Freunde in den ÖVP-Landesparteizentralen, die mir recht regelmäßig eine Nähe zur Sozialdemokratie unterstellen. Demnächst konzertiere ich in Köln. Dann schreibe ich über „euren“ Adenauer.
Der war auch lässig.

Ihr Martin Grubinger

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