Live im Happel-Stadion

Phil Collins: Neue Lebensgeister durch Musik

Musik
03.06.2019 01:12

Die Konzert-Open-Air-Saison in Österreich wurde Sonntagabend so richtig eröffnet. Phil Collins gab sich nach eineinhalb Dekaden wieder einmal in Wien die Ehre, und lockte mit seinem Best-Of aus Solosongs und Genesis-Material rund 40.000 Fans ins Wiener Ernst-Happel-Stadion. Neben sympathischen Witzen und einer famosen Band, überzeugte der 68-Jährige vor allem mit seiner intensiven Stimme und jungem Familienzuwachs am Schlagzeug.

(Bild: kmm)

Speziell in den 80er-Jahren gab es einen wenig rühmlichen Zweikampf darüber, wer denn eigentlich uncooler ist. Sind es die AOR-Rocker Toto oder doch Genesis rund um Frontmann, Schlagzeuger und Multitalent Phil Collins? Einen kurzen Blick in jene Vergangenheit gewährt Collins am Anfang seiner umjubelten Soloshow im Wiener Ernst-Happel-Stadion während des Genesis-Klassikers „Follow You Follow Me“. Auf den Videoleinwänden werden nostalgische Clips aus den verschiedensten Ären der Bandhistorie eingeblendet und fürwahr - Frisuren und Kleidung hätten damals wohl wirklich etwas durchdachter sein können. Doch wie auch bei Toto, zeigten auch Genesis und Collins vor allem eines: ein unbändiges, beneidenswertes Talent für überdurchschnittliches Songwriting, das sich weder vor dem Kopfsprung in den Mainstream-Bereich, noch vor partiellen Ausflügen in verschrobene Rock-Gefilde fürchtete. Coolness durch Qualität sozusagen. Und gerade heute, fast auf den Tag genau 15 Jahr nach seinem letzten Wien-Besuch, zeigt Collins mit eindrucksvoller Souveränität, dass er über die Dekaden zurecht den Platz am Pop-Thron zu verteidigen weiß.

Sorgen zerstreut
Rund 40.000 Fans sind bei kaiserlichem Wetter am Tag des Herrn seiner Einladung ins Happel-Stadion gefolgt. Unter ihnen befindet sich u.a. auch Bilderbuch-Sänger Maurice, bekanntermaßen ein stilsicherer Connaisseur in diversen Pop-Gebieten. Für Collins ist der Wien-Abend auch der Auftakt zu einer einmonatigen Europa-Tour. Dementsprechend langwierig und zeitraubend waren auch die Vorbereitungen, die insgesamt auf eine Woche anberaumt waren - schließlich wurde im Happel gleich der Testlauf für die ganze Tour durchgezogen. Nach ausgiebigen Nordamerika- und Ozenanien-Touren hatte sich Collins die Pause wohlverdient. Der 68-Jährige kann schon länger nicht mehr Schlagzeug spielen und muss sich aufgrund eines Unfalls und zahlreicher Gebrechen während des Konzerts hinsetzen. Mit einem Stock betritt er auf die Sekunde genau die Bühne, bugsiert sich mühsam in seinen Barhocker-artigen Drehstuhl und macht für Unbedarfte und all jene, die ihn vielleicht noch von frühen Liveshows in Erinnerungen haben, einen sorgenvollen Eindruck. Doch sämtliche Zweifel zerstreut Collins schon bei den ersten Tönen von „Against All Odds (Take A Loot At Me Now)“, das er mit einem bewundernswert intensiven Timbre durch das Stadion schmettert.

Unglaublich, mit welcher Kraft er sich durch ein fast zweistündiges Set singt und dabei niemals markante Schwächen zeigt, die bei anderen Sängern in diesem Alter Usus sind. Bis zu fünf Sängerinnen und Sänger hat Collins an Bord, die ihn entweder im Chor, oder auch einmal im kitschigen, mit einem Videoscreen-Sternenhimmel durchzogenen Duett „Separate Lives“ unterstützen. Jeder einzelne der Musiker auf der Bühne ist für sich ein meisterhafter Virtuose. Spontanität und Kalkulation halten sich bei ihnen angenehmerweise die Waage und weil Collins seine Show auch nicht mit Pyroeffekten würzt, sondern nur auf die korrekte Ausleuchtung achten muss, bleibt genug Platz für vereinzelte Schlenker abseits der Norm. Auch wenn die großen Effekte fehlen, ist das Konzert mit dem sitzenden Hauptprotagonisten zu keiner Sekunde langweilig. Das liegt nicht nur an der einnehmenden Stimme Collins‘, sondern schlichtweg am famosen Songmaterial, das keine Wünsche offen lässt. Genesis und auch Collins solo waren in ihren Bestzeiten derart gute Songwriter, dass sie auch ein Vier-Stunden-Programm mit Hits mühelos füllen könnten.

Emotionale Momente
„Another Day In Paradise“ ist ein früher Hit, der das nur langsam auf Touren kommende Publikum erstmals mitreißt. Ein paar Nummern lässt sich Collins Zeit, bis er mit dem launigen Zusatz „ich spielte vor 200 oder 300 Jahren mal in dieser Band“ mit „Throwing It All Away“ die erste Genesis-Nummer zelebriert. Nach dem eingängigen „Who Said I Would“ kommt die längst fällige Bandvorstellung, die dank eines bestens gelaunten Collins mehr Kabaretteinlage als lästige Pflichtübung ist. So lacht er etwa pubertär über die „längeren und kurzen Bläser“ im Set und erinnert sich auch mal wehmütig an manche jahrzehntelange Begleiter, wie den rauschebärtigen Bassisten Leland Skar, der schon vor 30 Jahren die Bassspuren auf „Another Day In Paradise“ einspielte und eine stete Konzerte in Collins’ musikalischem Dasein darstellt. Besonders emotional wird es mit Sohn Nicholas. Der gerade 18 gewordene hat den Drummer-Posten des Vaters übernommen und spielt am Piano „You Know What I Mean“, den einzigen Song des Vaters, den er auf Anhieb mochte, wie Collins launig anmerkt, während der Herr Papa eindringlich dazu singt. Schon wenige Minuten zuvor haben sie sich ein Drumduell auf Cajons geliefert und dabei für Begeisterungsstürme gesorgt. Diese Bande ist nicht nur herzlich, sie ist auch noch hochprofessionell!

Im letzten Drittel geht es Schlag auf Schlag, niemanden hält es mehr auf den Sitzen. Begonnen wird die „Best-Of-Songreihe“ mit dem eindringlichen „In The Air Tonight“ und seinem programmatischen, unvergleichlichen Drum-Fill in der Songmitte, „You Can’t Hurry Love“ heizt mit seiner fröhlichen Ader noch ein letztes Mal so richtig ein, bevor mit „Dance Into The Light“ zumindest das Highlight fürs Publikum am Plan steht. So laut und euphorisch wie hier sollte es vorher und nachher nicht mehr werden. Bevor Collins schließlich zur Zugabe leitet, zeigt er mit dem Triple „Invisible Touch“, „Easy Lover“ und „Sussudio“ noch ein letztes Mal, welch enormes Songwriting-Talent ihm in die Wiege gelegt wurde. Der Konfettiregen am Ende hätte gar nicht sein müssen, den Collins hat mehrfach bewiesen, dass visuelle Spielereien bei ihm nicht nötig sind. Nur einen Fan-Wunsch hat sich nicht erfüllt: Genesis-Kollege Mike Rutherford kam während des Sets doch nicht auf die Bühne. Der lieferte mit Mike And The Mechanics im Vorfeld eine Stunde lang erfrischende Unterhaltung und setzte auf bekannte Hits wie „The Living Years“, „All I Need Is A Miracle“ oder „Word Of Mouth“. „Still Not Dead Yet“ als Tourmotto ist nach diesem Gig eine Untertreibung - vielmehr scheint sich Collins durch die Kraft der Musik und seiner unbändigen Freude dafür mit jedem Konzert schneller zu erholen…

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