Abstimmungs-Krimi

Obamas größter Sieg: Gesundheits-Reform ist durch

Ausland
22.03.2010 10:34
Barack Obama feiert seinen bislang größten politischen Sieg: Nach einjähriger Debatte hat der US-Kongress in einem regelrechten Abstimmungs-Krimi die Gesundheitsreform verabschiedet, die erstmals praktisch allen Bürgern eine Absicherung im Krankheitsfall ermöglicht und den Versicherern strenge Vorschriften auferlegt. "Wir haben bewiesen, dass wir immer noch ein Volk sind, das Großes leisten kann", sagte der US-Präsident, der von einem "Sieg für das amerikanische Volk" sprach und sein größtes Wahlversprechen einlösen konnte.

Das Gesetz wurde am Sonntagabend im US-Repräsentantenhaus mit knapper Mehrheit - 219 zu 212 Stimmen - gebilligt. Obama und die Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi (re.), hatten in den Tagen zuvor massive Überzeugungsarbeit in ihren eigenen Reihen geleistet und den christlich-konservativen Demokraten am Sonntag noch eine präsidiale Order versprochen, wonach auch nach der Reform kein staatliches Geld für Abtreibungen aufgewendet werde.

Immerhin noch 34 Demokraten stimmten am Sonntag mit sämtlichen Republikanern gegen die Gesetzesvorlage aus dem Senat, mit der künftig 95 Prozent der US-Bürgern eine leistbare und dauerhafte Krankenversicherung ermöglicht wird. Wie der Sprecher des Weißen Hauses, Robert Gibbs, am Montag bekanntgab, will Obama schon am Dienstag seine Unterschrift unter das Paket setzen. Unterdessen drohten nach Medienberichten Generalstaatsanwälte aus mindestens zwölf US-Staaten damit, dass sie die verabschiedete Reform anfechten wollen, weil sie das Gesetzeswerk für nicht verfassungskonform halten. Gibbs räumte dem Vorhaben jedoch keine großen Chancen ein.

Republikaner mit geschicktem Manöver ausgetrickst
Der Abstimmungs-Krimi im "House" war zustande gekommen, weil die Demokraten die erforderliche Beschlussmehrheit von 60 Stimmen in der ersten Kongresskammer, dem Senat, verloren hatten. Der Republikaner Scott Brown hatte sich im Jänner überraschend den Senatssitz des verstorbenen Demokraten Teddy Kennedy geholt. Die demokratischen Senatoren hatten da zwar ihre Version der Reform bereits beschlossen und ans Repräsentantenhaus geschickt, wären in weiterer Folge aber hilflos den Blockier-Maßnahmen der Republikaner ausgeliefert gewesen, wenn die geänderte Vorlage aus dem Repräsentantenhaus wieder zurückgekommen wäre.

Die Demokraten in der zweiten Kammer haben nun mithilfe eines "Reconciliation" genannten Manövers kurzerhand die Reform-Version aus dem Senat ohne Änderungen beschlossen und mit einem geschickt verschnürten Zusatzpaket an Haushaltsgesetzen versehen, das in Wahrheit die wichtigsten Punkte aus ihrer Version der Gesundheitsreform enthält. Es wird erwartet, dass der Präsident die Reform bereits am Dienstag in Kraft setzt. Der Senat muss sie dann - ebenso wie das Zusatzpaket - nur mehr mit einfacher Mehrheit von 51 Stimmen abnicken. Nach einer finalen Unterschrift durch Obama wird die Gesundheitsreform endgültig Realität.

Obama hat wichtigstes innenpolitisches Ziel erreicht
Die Reform sei nicht radikal, aber doch umfassend, jubelte Obama am Sonntagabend. "So sieht Wandel aus!" Die Reform sei "ein weiterer Baustein im Fundament des amerikanischen Traums", meinte der Präsident (siehe vollständige Rede in der Infobox).

Obama hat mit der Gesundheitsreform in der Tat das wichtigste innenpolitische Ziel seiner Amtszeit erreicht und etwas geschafft, an dem mehrere Präsidenten, inklusive seiner Vorgänger Bill Clinton und George W. Bush, kläglich gescheitert waren. "Heute Abend, nach fast 100 Jahren Gerede und Enttäuschung, nach jahrzehntelangen Versuchen und einem Jahr andauernder Bemühungen und Debatten hat der Kongress der Vereinigten Staaten endlich erklärt, dass die Arbeiter in Amerika und die Familien in Amerika und die Kleinunternehmen in Amerika das sichere Bewusstsein haben können, dass hier in diesem Land weder Krankheit noch ein Unfall die Träume gefährden soll, für deren Erfüllung sie ein Leben lang gearbeitet haben", sagte Obama in seiner Ansprache.

Strenge Vorschriften für Versicherungsindustrie
Mit dem neuen Gesetz sollen 32 Millionen bisher unversicherte US-Amerikaner eine Absicherung im Krankheitsfall bekommen. Die bisherige Gesundheitsversicherung für Bedürftige, Medicaid, wird erheblich ausgeweitet, die Gesundheitsversicherung für Senioren, Medicare, dagegen etwas eingeschränkt. Staatliche Unterstützung erhalten künftig auch Familien mit einem Jahreseinkommen bis 88.000 Dollar (65.000 Euro). Eltern können ihre Kinder bis zu einem Alter von 26 Jahren in ihrer Familienversicherung einbeziehen. Finanziert werden die Ausgaben zum Teil mit einer höheren Abgabenlast für Haushalte mit einem Einkommen von mehr als 200.000 Dollar (147.600 Euro) bei Ledigen oder 250.000 Dollar (184.500 Euro) bei Verheirateten. Auch gibt es eine Art Zwang zu Versicherung in Form von Steuerpönalen für nichtversicherte.

Für die milliardenschwere Versicherungswirtschaft bedeutet das Gesetz, dass sie einer strengeren Aufsicht der Behörden unterstellt werden. Die Unternehmen der Branche dürfen Versicherungsnehmer nicht mehr wegen ihrer Krankengeschichte ablehnen oder bestehende Verträge kündigen, wenn eine mit hohen Kosten verbundene Krankheit (Krebs, Aids, etc.) eintritt. Die Konzerne dürfen auch keine Aufschläge mehr wegen des Geschlechts oder des Gesundheitszustandes von Versicherten verlangen.

Ab 2014 sollen Bundesstaaten sogenannte Gesundheitsbörsen einrichten, an der Amerikaner Polizzen vergleichen und kaufen können. Geringverdiener erhalten als Unterstützung Steuererleichterungen. Eine staatliche Krankenversicherung als Konkurrenz zu Privaten, wie sie sich vor allem das linke Spektrum der Demokraten gewünscht hatte, wird es jedoch nicht geben.

Republikaner: "Wir haben versagt, auf Amerika zu hören"
Die Republikaner schäumten nach der Abstimmung vor Wut und bekräftigten weiterhin ihre Ablehnung des Reformwerks. Sie kritisierten vor allem die hohen Kosten von mehr als 900 Milliarden Dollar bis 2020 - laut Regierung soll die Reform tatsächlich aber eine Verringerung der Staatsschulden um 124 Milliarden Dollar in den nächsten 10 Jahren bringen - und das Vordringen staatlicher Regulierung in einen bisher ausschließlich privat geregelten Bereich. Die Demokraten würden die Rechnung bei den Kongresswahlen im November präsentiert bekommen, hieß es.

Der Protest der Republikaner war am Sonntag sogar von verbalen Entgleisungen begleitet worden. Im Repräsentantenhaus kam es kurz vor den Abstimmungen zu Zwischenrufen. Ein Republikaner rief "Babymörder" in Richtung der demokratischen Abtreibungsgegner, die sich von Obama im letzten Moment umstimmen hatten lassen. "Werden wir den Pfad der Freiheit wählen oder den Pfad der Regierungs-Tyrannei?", fragte der republikanische Abgeordnete Ted Poe. Sein Parteikollege Paul Ryan nannte das Gesetz einen "haushaltspolitischen Frankenstein".

Nach Angaben eines demokratischen Abgeordneten erhob sich ein Demonstrant in der Galerie des Hauses und rief: "Kill the Bill!" (Tötet das Gesetz!). "Die Menschen wollen es nicht." Als Ordner den Demonstranten aus dem Gebäude führten, hätten sich republikanische Abgeordnete erhoben und applaudiert, sagte der Demokrat Barney Frank. "So etwas habe ich noch nicht erlebt. Die Republikaner sind Clowns." Vor dem Capitol hatten Regierungsgegner für Aufregung gesorgt, als sie demokratische Abgeordnete auf dem Weg zur Abstimmung beschimpften und bespuckten.

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