European Studies

Studie der Uni Salzburg: „Brexit trifft uns alle“

Salzburg
14.02.2019 15:30

Eineinhalb Monate vor dem EU-Ausstieg der Briten herrscht immer noch völlige Unklarheit darüber, wie dieser vollzogen werden soll. „Es ist aber unübersehbar, dass der Brexit schwerwiegende Folgen haben wird, besonders für Großbritannien“, sagte Sonja Puntscher-Riekmann, Politologin am Salzburg Centre of European Studies. „Auch die anderen werden nicht ungeschoren davonkommen.“

Auch Österreich nicht. Im Falle eines „Hard Brexit“, also wenn das Vereinigte Königreich per Ende März ohne vertragliche Einigung mit der EU schlagartig zu einem Drittland wird, kommt es laut einer Studie der Universität Salzburg zu einem unmittelbaren Einbruch der britischen Wirtschaftsleistung (gemessen an der Industrieproduktion) von bis zu rund 7,6 Prozentpunkten im Vergleich zum Vorjahr. Für die Briten würden per 30. März die Regelungen wirksam, die in der Welthandelsorganisation WTO (World Trade Organization) gelten. In Österreich würde die Produktion im Industriebereich demzufolge in der maximalen Ausprägung um rund 4,5 Prozentpunkte gedämpft, in Deutschland um 4,2 Prozentpunkte. Noch wesentlich stärker betroffen wären Frankreich und Italien mit minus 5,8 bzw. 5,9 Prozentpunkten.

„Soft-Brexit“ wäre entspannter

Deutlich entspannter, aber ebenfalls mit spürbaren Auswirkungen, liefe ein „Soft Brexit“ ab: Für die Briten bedeutete diese Variante den Berechnungen der Universität Salzburg zufolge eine Beeinträchtigung der Industrieproduktion um bis zu 1,3 Prozentpunkte, für Österreich und Deutschland jeweils ein Minus von rund 0,7 Prozentpunkten, in Frankreich und Italien von jeweils minus 1 Prozentpunkt.

Die genannten Folgen für Österreich bildeten auch „Spillover-Effekte“ aus dem Ausland, etwa Deutschland und Südosteuropa, ab, erklärte der Studienautor und Professor für Makroökonomie an der Universität Salzburg, Florian Huber. Deutschland exportiere jährlich 800.000 Autos nach Großbritannien - und österreichische Betriebe seien signifikante Zulieferer für die deutsche Automobilindustrie. „Wenn die deutschen Exporte nach Großbritannien einbrechen, hätte das unmittelbare Auswirkungen auf Österreich, Tschechien und die Slowakei“, sagte Huber zur APA. Weiters würde die Arbeitslosigkeit in Deutschland steigen, der private Konsum dadurch sinken, die Exportnachfrage nach Waren und Dienstleistungen aus Österreich ebenso.

Der starke Effekt auf Österreich lasse sich generell anhand des Grades der Offenheit der österreichischen Wirtschaft und der auch starken Abhängigkeit von den südosteuropäischen Ländern erklären. Deren voraussichtlich geringere Wirtschaftsaktivität wirke sich ebenfalls negativ auf die Nachfrage nach österreichischen Gütern aus.

„Brexit-Schock“ könnte in Italien „das Fass zum Überlaufen bringen“

„Die Effekte sind insgesamt substanziell“, betonte Huber und sprach von einem „Brexit-Schock“. Vor allem in Italien könnte dieser angesichts der dort ohnehin hochkritischen Budgetkrise „das Fass zum Überlaufen bringen und zu Reaktionen auf den internationalen Finanzmärkten führen“, sagte er vor Journalisten in Wien.

Der Effekt auf den Verbraucherpreisanstieg sei im Falle eines harten Brexit ebenfalls um ein Vielfaches stärker als bei einem geregelten EU-Ausstieg. In Großbritannien wären es bei der Inflation 7,6 Prozentpunkte gegenüber 1,3 Prozentpunkten, in Österreich 4,5 (0,7) Prozentpunkte und in Deutschland 4,2 (0,7) Prozentpunkte. Das britische Pfund verliere in einem No-Deal-Szenario voraussichtlich um 7,5 Prozent massiv an Wert, bei einem sanften Ausstieg um 1,3 Prozent, wohingegen der Euro leicht aufwerte. „Das spiegelt den Verlust an Vertrauen in die britische Wirtschaft und Kapitalabflüsse wider“, so Huber. Insgesamt erwartet er „sehr starke makroökonomische Reaktionen“.

„Wenn etwas evident geworden ist, dann wie verflochten die Wirtschaften in Europa sind, wie schwierig es ist, sich daraus zu lösen und Verhandlungen zu führen, die am Ende die Zustimmung von allen finden“, strich Puntscher-Riekmann hervor.

Problem mit Nordirland und Irland erschwert Einigung

Kommt es zu einem sanften EU-Ausstieg, „tritt für das Vereinigte Königreich eine Übergangszeit bis Ende 2020 ein, wo sich ökonomisch nichts ändert, die Briten sich ans gesamte EU-Recht halten müssen, aber nicht mehr mitwirken“, erklärte Stefan Griller, Professor für Europarecht an der Uni Salzburg. Derzeit spießt sich eine Einigung der Briten mit der EU an der Grenzfrage zwischen Nordirland (Teil des Vereinigten Königreichs) und Irland (Teil der EU). Die EU will keine harte Grenze (mit Kontrollen) zwischen Nordirland und Irland, die Briten wollen keine Grenzkontrollen zwischen dem britischen Festland und Nordirland, also innerhalb des Vereinigten Königreichs.

Zur Pattstellung zwischen den Verhandlungspartnern meinte Puntscher-Riekmann: „Man wartet, bis der Erste zurückzieht und verloren hat - was dann passiert, ist offen.“ Niemand weiß, „was sich mit dem 30. März herauskristallisieren wird“. In Polit-Kreisen werde jedoch erwartet, dass es in letzter Sekunde eine Einigung auf den Austrittsvertrag, wie er vorliegt, geben wird - aber vermutlich mit einem „Side Letter“ zur Irland-Regelung, zum sogenannten „Backstop“, dass dieser nicht - wie derzeit vorgesehen - ewig dauert, also eine Kündigungsklausel für die Briten eingebaut wird. „Deshalb bin ich nicht überzeugt, dass es in Richtung ‘Hard Brexit‘ geht“, so die Politologin. „Wir sind der Überzeugung, dass es am Ende des Tages zu einer Lösung kommt, die gangbar wird“, bekräftigte Huber. Die EU werde „die Verhandlungsperiode wahrscheinlich verlängern“.

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