„Krone“-Interview

Hans-Joachim Roedelius: Der Kampf für ein Utopia

Musik
10.10.2018 07:00

Als Klangtüftler von Harmonia und Cluster prägte er in den 70er-Jahren die experimentelle Elektronik. Er kreierte Klänge buchstäblich bis zum Hörsturz, überstand die Nazi-Zeit und Stasi-Spionage, kooperierte mit Brian Eno und veröffentlichte dieser Tage mit Christoph H. Müller das variantenreiche Album „Imagori II“. Im Interview reflektiert der 83-jährige Hans-Joachim Roedelius noch einmal sein Leben, Wirken und den Einfluss auf die gesamte Szene.

(Bild: kmm)

„Krone“: Hans-Joachim, in den letzten Jahren, aber auch schon viel früher in deiner Karriere, hast du stets mit anderen Künstlern kooperiert. Warst du immer ein Verfechter der gemeinschaftlichen Ideenfindung?
Hans-Joachim Roedelius:
Es blieb mir am Anfang gar nichts anderes übrig. Wir waren ganz am Anfang drei Leute, die etwas auf die Beine stellen wollten, von dem wir keine Ahnung hatten. Das hat sich dann stets weiterentwickelt, aber ich habe auch viele Sologeschichten gemacht. Zusammenarbeit ist etwas Schönes.

Viele Künstler finden dafür nur alleine ihre wahre Bestimmung, weil sie keine Kompromisse eingehen können und müssen.
Ich habe weder Schwierigkeiten damit, etwas im Team oder alleine zu machen. Ich bin sowieso vom Augenblick abhängig und kann mir nichts vornehmen. Ich brauche eine Eingebung und setze mich dann ans Klavier, um das auszuführen. Bei anderen Produktionen setzen wir uns zusammen. Es ist wie das Spielen in der Sandkiste. (lacht)

Wenn man mit Musik seinen Lebensunterhalt verdient, dann bleibt das Spielerische aber oft unweigerlich zurück.
Das ist für die meisten das Problem. Man muss Glück und auch eine gewisse Hartnäckigkeit haben. Es war nicht immer einfach, fröhlich durch marginale Zeiten zu kommen. 1968 war ich noch als Physiotherapeut und Masseur unterwegs, damit ich Geld verdiene und bis ich das von der Musik schaffte, vergingen viele weitere Jahre. (lacht) Das gehört aber zu diesem Job dazu.

Waren Heilmasseur sein und das Musikmachen zwei parallel zueinander laufende Leidenschaften?
Nein, ich wollte Arzt werden und habe dann in Ostberlin Physiotherapeut erlernt. Ich musste dort aber abhauen und sie haben meinen Beruf im Westen nicht anerkannt. Auf diesem Wege kam ich dann gottseidank zur Musik.

Kann man aus dem einen Bereich für den anderen etwas für sich gewinnen? Ist da ein direkter Vergleich möglich?
Ich mache in der Musik genau dasselbe, wie als Masseur. Ich fasse die Menschen nur nicht mehr direkt an, sondern helfe ihnen über die Ohren.

Hat die Musik eine heilende Wirkung?
Das kommt auf die Musik an. (lacht) Ich will mich hier nicht ins Licht stellen, aber ich weiß, dass ich in den Fußstapfen meiner Ahnen zugange bin. Ich habe viele Kantoren, Pastoren, Prediger und Lehrer als Vorfahren und einer davon war Zeitgenosse von Bach. Er war zu dieser Zeit Kantor in Leipzig. Ich habe nicht die Absicht zu heilen, sondern will Spaß haben. Meine Soloarbeiten sind doch zeitgeistiger als das, was ich mit anderen mache.

Fehlt bei deinen Soloprojekten manchmal das nötige Korrektiv?
Nein, meine Frau hört mir schon 40 Jahre zu und sie findet manchmal, dass ich die Leute mit Stille quäle. Das ist aber gut so, denn ich muss das selbst aushalten.

Du warst Mitbegründer unterschiedlichster Substile in der elektronischen Musikwelt. Hat sich das Interesse an Experimentierfreudigkeit und am Finden vom Neuen niemals gelegt?
Ich war immer neugierig und hatte den Willen, die Klangsprache zu verfeinern. Im Laufe unseres Lebens versuchen wir alle, das, was wir als Beruf ergreifen, in aller Pracht und Vielfarbigkeit zu elaborieren.

Kann es nicht auch überfordern, wenn man unendlich viele Möglichkeiten zum Experimentieren hat?
Ich stehe immer wieder vor der Tatsache, dass ich schon so viel veröffentlicht habe, dass kein Mensch mehr durchblickt. Ich weiß oft selber nicht mehr, ob ich ein Stück gemacht oder nur darauf mitgewirkt habe. Ich mache all das mit großer Freude, denn es ist nicht nur mein Beruf, sondern auch meine Berufung. Produzenten und andere haben immer versucht, mir reinzureden, aber das ging stets schief. Ich muss immer meinen eigenen Weg gehen.

Außer bei den Kooperationen mit anderen Künstlern - da kannst du nicht durchgehend stur sein.
Bei den Kooperationen ist das natürlich klar, aber das passiert alles mit Freunden. Ich kann nur mit Freunden und Leuten arbeiten, die die gleichen Werte teilen. Es müssen Leute sein, die für ihre Familien da sind und Kindern helfen. Ich brauche da keine Menschen, die den Kopf wegstecken, wenn private Probleme auftauchen. Ich bin immer offen für Neues, aber mein Programm ist schon jetzt ziemlich dicht. (lacht)

Für eine Zusammenarbeit müssen also nicht nur die Fähigkeiten, sondern auch der Charakter eines Menschen stimmen?
Wenn man zusammenarbeitet, fordert man sich mit der eigenen Geschichte heraus und muss dem anderen zuhören und im Machen von ihm lernen. Auf diese Weise passiert Neues und nicht nur Abgekautes. Ich kann nur jedem empfehlen mit jemandem zusammenarbeiten, weil das ein schönes Experiment ist. Jede Begegnung mit einem anderen Menschen ist vorbestimmt und bereichernd. Wir müssen aufpassen und zuhören.

Wie unterscheidet sich die Arbeit mit einem Arnold Kaiser, mit dem du letztes Jahr „Einfluss“ aufgenommen hast und einem Christoph H. Müller, mit dem nun „Imagori II“ entstand?
Es geschieht immer alles aus dem Augenblick heraus. Wir haben keine vorgefertigten Muster im Kopf und fangen bei null an. Meistens ist es so, dass sich dann was Tolles daraus entwickelt. Mittlerweile sind ja alle - auch ich - in ihrer Ausbildung, ihrem Wissen und ihrer Authentizität so weit, dass da gar keine Pannen mehr passieren.

„Einfluss“ hatte von dir her gesehen den Wunsch zu heilen. Gibt es auf „Imagori II“ auch eine überbordende Botschaft, die du den Leuten mitteilen möchtest?
Wir geben den Leuten das mit, was sich mit der Musik entwickelt. Es gibt nicht die Absicht, einen Kick zu erzeugen, weil das nicht so geht. Wir müssen uns sozusagen dem Augenblick des Entstehens dieses Kunstwerkes hingeben. Machen wir das vernünftig, entsteht auch was Vernünftiges.

War es vor zwei Jahren nach dem ersten Teil von „Imagori“ schon klar, dass es einen zweiten geben wird?
Das erste Album entstand quasi zur Gänze online. Ich habe Christoph Sachen geschickt und er war ganz begeistert von den neuen Ideen. Wir blieben in Kontakt, hatten dann Zeit und haben bei mir in meinem kleinen Studio in Baden samt Heurigenbesuchen und viel Freizeit mit Radfahren daran gearbeitet.

Du kommst aus Berlin. Die Stadt, die heute das Epizentrum für Hipness und Elektronik ist, aber du wohnst seit Jahrzehnten in Baden. Einer Stadt, die einen immens angestaubten Ruf hat. Ist das nicht ein Widerspruch in sich für einen elektronischen Klangtüftler?
Ich bin auch in Baden immer noch ein Geheimtipp. (lacht) Ich bin froh, dass ich hier sein kann. Ich kann in meinem Elfenbeinturm leben und werde immer von Leuten besucht. Die Familie ist da und ich habe mein Hündchen. Wir dürfen in einer Wohnung mitten in der Stadt leben, die einen Garten hat und total verkehrsberuhigt liegt. Der Bürgermeister hat uns diese Wohnung besorgt und ich kriege Kulturförderungen. Da meine Schwiegermutter zur Pflege bei uns ist, ist sie auch ein bisschen größer. Ich bin Baden und Niederösterreich sehr dankbar. Ich wurde nicht nur durch staatliche Situationen, sondern auch von Freunden ungemein gefördert. Seit wir seit 1978 hierher gekommen sind, wurden wir immer unterstützt. Mir wurde immer viel Vertrauen entgegengebracht und ich liege vor Österreich und dem österreichischen Steuerzahler auf Knien.

Braucht ein kreativer Geist wie der deine nicht manchmal mehr Action und Großstadtatmosphäre? Ist es in Baden nicht oft zu ruhig?
Ich lebe hier ja quasi trotzdem anonym und werde in gesunden Abständen besucht. (lacht)

Auf „Imagori II“ hört man viele Stimmen. Deine Frau, deine Tochter und die beiden Töchter von Müller. War das immer als Familienprojekt konzipiert?
Das hat sich so entwickelt. Ich hatte ein paar Sachen im Archiv, wie etwa „La Vie En Bleu“, wo ich mich ein bisschen über die französische Sprache lustig mache. Wir fanden das ulkig und meine Tochter ist schon seit Ewigkeiten in unserem Verein beim „More Ohr Less“-Festival und macht dort das Bühnenbild. Es ist schön, dass andere Farben als beim ersten Album drinnen sind. Wir haben es dieses Mal auch zuhause produziert.

Waren diese vielen Stimmen geplant oder entstanden die zufällig?
Ich weiß noch nicht einmal genau, wie Kenichi als Stimme zu uns gekommen ist. Sie hatte ihren eigenen Text und die eigene Chemie und das Ergebnis ist wirklich schön geworden.

Gäbe es noch Wunschgäste, die du dir für Zusammenarbeiten gerne aussuchen würdest?
Wir haben gerade mit Arnold Kasar an Filmmusiken gearbeitet und erste Ideen für eine neue Platte gemacht. Bei diesen Sachen würde ich mir Anna von Hauswolff wünschen. Das wäre eine tolle Idee.

Was wiederum bedeutet, dass du die aktuelle Szene in der elektronischen Musikwelt durchaus verfolgst.
Das kann ich gar nicht, dafür fehlt mir die Zeit. Wenn ich etwas anderes höre, dann Radio im Auto. Ich war gerade in Korsika und habe eine Kollaboration gemacht. Korsika ist das geistige Zentrum der Rettung des Glaubens. Gott geht überall verloren und dort bemüht man sich, das aufzufangen. Ich bin dort in ein UNESCO-Projekt eingebunden. Es geht darum, die Idee von St. Martin lebendig zu machen. Er war der erste Europäer, hat viele Länder bereist und überall seinen geistigen Schatz hinterlassen. Nach dem Jakobsweg gibt es jetzt auch den St. Martinsweg. Vom Geburtstort in Ungarn über Slowenien, Serbien, Österreich, Deutschland bis hinunter nach Frankreich, wo er gestorben ist. Grundsätzlich geht es darum, die Idee präsent zu machen, dass nur Verständnis und Liebe helfen und der ganze Scheiß, den wir gerade fabrizieren, uns nur kaputt macht.

Willst du mit deiner Musik auch politische oder humanistische Botschaften aussenden?
Von mir wurde einmal ein Text vorgetragen, der in korsisch übersetzt ist. Dieses Mal bringe ich mich ein mit Beten für Verständigung. Die Musik kommt auch aus dem Bauch heraus und ich bin immer wieder in der Gegend. Auch die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg wird wachgehalten. Das Nest dort in Korsika heißt Patrimonio. Mein Vater war im Ersten Weltkrieg Sanitäter und hat Giftgas eingeatmet. Er musste dadurch schon mit 48 gehen. Meine Geschichte wird dort eingebunden.

Du bist - wenn auch damals noch sehr jung - ein Zeitzeuge des Zweiten Weltkriegs. Wie schlimm fühlt es sich für dich an zu sehen, wie die Gesellschaft immer stärker verroht?
Ich bin nicht zu 100 Prozent sicher, ob die jungen Menschen nicht doch mehr dem verbunden sind, was scheinbar verloren geht, als man vielleicht sieht. Die sitzen alle vor ihren Smartphones und sind von allem unberührt. Sie können nicht loslassen, weil es eine Sucht ist. Man sucht nach neuen Informationen, die keine sind. Am Schlimmsten ist aber, dass unsere Politiker verdorben sind. Was sich die Merkel und andere leisten, das ist wirklich schlimm. Hier in Österreich klingt es manchmal besser, aber im Prinzip kommt immer wieder durch, dass sie die Tendenz dazu zu haben, die Armen zu verteufeln. Wir produzieren aber die Armen und die Flüchtlinge, wir haben das ganze Theater gemacht. Wir haben auch Afrika ausgeraubt. Jetzt sollen die darunter leiden, die nichts zu essen haben und von überall zerbombt werden. Das ist einfach nicht zu verstehen.

Du hast 1968 begonnen Musik zu machen. Da war die Welt vor allem in Europa eine ganz andere.
Vor allem auf dem Weg, ganz woanders hinzugehen. Sie haben das aber nicht geschafft. Es wurde damals schon davor gewarnt, dass das Geld nicht die Macht übernehmen darf. Ich war ein gebranntes Kind. Ich saß im Osten zwei Jahre im Gefängnis und die Stasi nahm mich in die Mangel. Früher hatten mich auch die Nazis, denn ich musste als Pimpf mit erhobenem Arm stehen und Nazi-Lieder singen. Als es vorbei war, kamen die Kommunisten und das war für mich als Kind noch schlimmer. Ich musste in die Armee bei der DDR, bin abgehauen, musste wieder zurück, sollte nicht eingesperrt werden und wurde doch eingesperrt. In der Nachbetrachtung muss ich mich von allem anderen rausnehmen, weil ich meine, dass all diese Erfahrungen wichtig waren und mich in dem, was ich machte, bestärkt haben. Ich hatte Kraft und Energie, mich fest an meine Arbeit zu klammern. Ich kann mich in der Musik daran erinnern, dass es ein friedliches Utopia gibt. Im Christentum ist uns vorausgesagt, dass wir dort hingelangen, wenn wir uns darum bemühen.

Einerseits war die Musik für dich immer eine Zuflucht, andererseits hast du den Hörern offensiv Eskapismus angeboten?
Man kann sich eine Weile vom Alltag und dem üblichen Stress erholen. Ich mache Musik nicht absichtlich so, aber wenn sie diese Wirkung hat, ist das gut. Ich denke mir oft, was ich da überhaupt mache, weil ich ein Utopia erzeuge, das die Realität nicht abbildet und nicht machbar zu sein scheint. Ich kreiere offenbar Klangwelten, die Visuelles erzeugt, das nicht zu erfüllen ist.

Wie wichtig ist eigentlich die Religion in deinem musikalischen Kontext?
Ganz wichtig. Die Kirche hat sich sowas von danebenbenommen, da will man gar nicht mehr hinsehen. Die Kirche hat aber nicht direkt mit Religion zu tun. Sie ist eine sich irrende Konstitution, von Menschen besetzt, denen man nicht böse sein darf und denen man auch verzeihen muss, weil sie es offenbar nicht besser wissen. Mit dem Kindermissbrauch haben sie sich aber schuldig gemacht und sie sind dabei, dort weiterzumachen. Das ist unglaublich. Kardinal Schönborn muss irgendwie hinkriegen, dass da was passiert. Er kann da vielleicht aktiv eingreifen. Papst Franziskus ist aber gut, er hat sich schon einige Male gut eingebracht.

Bei Themen wie der Homoehe vertritt er aber immer noch sehr konservative, rückschrittliche Ansichten. Sollte die Kirche nicht mit der Zeit gehen und liberaler, toleranter und offener werden?
Die Kirche muss sich grundsätzlich ändern. Sie muss sich auch der Wissenschaft bedienen. Diese armen alten Männer im Vatikan kann man sich gar nicht anschauen. Man muss Stellung beziehen und sich klar artikulieren - einfach mit der Zeit gehen. Ich habe mich der Bewegung „Aufwachen“ von Oscar Lafontaine angeschlossen. Inzwischen hat er schon über 200.000 Anhänger. Er ist einer der wenigen, der im deutschen Bundestag etwas bewirken möchte. Die wenigen Leute, wie auch Gregor Gysi, müssten sich aber auch dafür zusammentun, was leider nie passiert.

Ist Religion für dich eher etwas Spirituelles?
Die Religion ist eine Rückbindung an das „Wahre“. An das Machbare, aber offenbar nicht zu machende. Alles Böse klebt an den Menschen, aber sie lassen es nicht los.

Das nicht Machbare etwa kann man auch auf deine Musik ummünzen. Du hast oft Klangwelten erschaffen, die dir niemand jemals zugetraut hätte. Warst du selbst oft überrascht davon?
Dieser Gedankengang ist nicht meine Sache. Ich bin froh, wenn ein Stück aus sich selbst heraus entsteht und ich mit meinen Gedanken dabei herumfummle. Die große Kunst meiner Kunst ist, dass ich ihr als Medium zur Verfügung stehe. Ich mache dort nichts persönlich, das wäre der völlig falsche Ansatz. Natürlich ist man selbst tief beteiligt, aber man dient der Kunst.

Gerade am Anfang deiner Karriere waren deine Klangexperimente nur sehr schwer zu fassen. Hast du die Liebe zur Melodie erst mit den Jahren erfahren?
Das hat sich so ergeben. Wir haben am Anfang den Klang erzeugt, den wir zur Verfügung hatten. Das ging nicht anders und wir haben gesucht, was zusammenpasst und wie das auf die Leute wirkt. Anfangs war das purer Aktionismus und sehr schmerzhaft für die Ohren. Ich selbst habe einen Hörverlust erlitten, weil wir zu laut und zu schrill gespielt haben. Uns wurde dann bewusst, dass wir das so nicht machen können und als ich von der Stadt ins Ländliche zog, hat sich auch die Musik total geändert. Auf einen Schlag war die Harmonie da.

Von da an ging der Schritt zur Melodie wie von selbst?
Das kam dadurch, dass wir nach vier Jahren Wanderschaft anfangs in Deutschland sesshaft wurden. Wir führten ein autonomes Leben, haben selbst Marmelade gekocht, haben Holz im Wald geholt, es geschnitten und richtig bäuerlich gelebt. Wir hatten nie Geld und mussten uns sieben Jahre von den eigenen Erzeugnissen ernähren. In Österreich habe ich anfangs auch Knoblauch und Karotten angepflanzt, aber dann ging es los und ich war viel unterwegs. Heute kann ich im Badener Innenhof wieder Kräuter anbauen.

Gibt es von deiner Musik her gesehen Phasen oder Zeiten, die du rückblickend bereust?
So analytisch gehe ich das nicht an, aber es hatte nicht alles Hand und Fuß. Es war vieles experimentell und auch nicht als Ohrenschmaus gedacht. Da hat sich schon so einiges angesammelt. Gerade beim Livespielen passierte das oft. Meinem langjährigen Partner Dieter Moebius und mir ging nach 40 Jahren der Zusammenarbeit am Ende als Künstler der Atem aus. Wir haben den Absprung nicht so geschafft wie andere. Wir haben mit einer Platte unseren Schwanengesang gemacht, es wäre komplett gewesen. Wir haben aber weitergetourt und live gespielt und dann mussten wir uns 2010 gewaltsam voneinander trennen - nach immerhin 40 Jahren. Wir gingen durch dick und dünn, haben Freud und Leid geteilt und auch den Erfolg gemeinsam ausgekostet. Offenbar ist es aber so, dass man nicht ewig denselben Nagel einschlagen kann.

Du hast auch einige Male mit Brian Eno, einem Hohepriester der Elektronik, zusammengearbeitet. War das ein eher ein Ritterschlag, oder ein Begegnen zweier Künstler auf Augenhöhe?
Er ist ein ganz freundlicher und zugänglicher Mensch. Als wir mit Harmonia in Hamburg spielten kam er auf die Bühne und klinkte sich einfach ein. Er kannte unsere Arbeit schon vorher und wusste, was zu tun war. Das hat uns so gefallen, dass wir ihn ins Studio einluden. Zwei Jahre später hat er mit uns das Kommunenleben geteilt. Er hat uns noch einmal auf unsere Wurzeln zurückberufen und die Zusammenarbeit kam dann 20 Jahre später raus. Das waren dann die „Harmonia & Eno `76 Remixes“. Wir waren dann mit ihm und Conny Plank im Studio und dann schrieb er mir das Vorwort für mein Buch auf Englisch. Wir sind immer noch in Kontakt und ich würde ihn gerne mal zu uns locken. Das ist aber schwierig bei so einem großen Hohepriester - vor allem, wenn man kein Geld hat. (lacht) So einer verlangt für ein Vorwort normal 20.000 Euro. Als ich anfragte, schickte er mir Kontodaten, auf die ich 60.000 Pfund zahlen sollte, aber es war natürlich ein Scherz. (lacht) So ganz sicher war ich mir aber trotzdem nicht.

Bist du ein Workaholic, bei dem es andauernd im Kopf rattert und der eigentlich nicht runterkommen kann?
Nein, überhaupt nicht. Ich bin keinesfalls getrieben, kein bisschen. Mir wird alles geschenkt und das ist ein wirklich großes Glück. Hätte meine Frau mich nicht nach Österreich locken können, wäre es wohl ganz anders gekommen. Ich habe ja auch die Nationalhymne verändert. Ich habe geschrieben „Heimat bist du für das Schöne, große Töchter bringst und Söhne“. Die Christina Stürmer hat das nicht so gut gemacht, da gab es einen Holperer im Rhythmus. Die Kulturministerin Schmied hat das damals angenommen. Ich fragte mich immer, warum sie nicht meine nehmen? Die klingt doch viel schöner. (lacht)

Ist das noch ein großes Ziel für den Lebensabend - die Nationalhymne Österreichs nachhaltig zu verändern?
Ich würde mich sehr freuen, wenn Österreich diese Version ihrer Nationalhymne so nehmen würde, denn inhaltlich stimmt es. Vom Textmaß und vom Textfluss klappt das auch ideal.

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