Islam an Wiens Schulen

Stadtrat lehnt „jede Form von Tugendterror“ ab

Wien
11.09.2018 06:00

Mit ihrem soeben erschienenen Enthüllungsbuch „Kulturkampf im Klassenzimmer“ hat die Wiener Pädagogin Susanne Wiesinger eine massive Diskussion ausgelöst. ÖVP und FPÖ sehen sich in ihrer Sichtweise bestätigt, dass eine schleichende Islamisierung an Wiens Schulen droht. Kritik gibt es vor allem an der Stadt, die ihre Augen „davor verschließen“ würde. Stadtschulrat Heinrich Himmer weist das zurück. Und Bildungs- und Integrationsstadtrat Jürgen Czernohorszky gibt zu bedenken, dass niemand etwas davon habe, Probleme, ohne die konkreten Fälle zu kennen, hochzustilisieren. „Es geht darum, sie zu lösen.“

Rund 700 Pflichtschulen gibt es in Wien - wovon laut Stadtschulrat 266 eine „sehr hohe soziale Belastung“ aufweisen. Besonders betroffen: Neue Mittelschulen und Polytechnische Schulen. Ein hoher Anteil gilt bereits als Brennpunktschule, wo die Situation besonders schwierig ist. Verständnis für Terroristen, eine „Kleiderpolizei“, radikaler Islam und Brennpunktschulen - die Schilderungen der Lehrerin Susanne Wiesinger über den „Kulturkampf im Klassenzimmer“ - Conny Bischofberger sprach vor der Veröffentlichung mit der Lehrerin - sorgen für Wirbel. Höchste Zeit, dass etwas passiert.

Stadtschulrat Himmer: „Situation wird auf keinen Fall verharmlost“
Die Situation würde auf keinen Fall verharmlost, wies Stadtschulrat Himmer (SPÖ) die Kritik von ÖVP und FPÖ, wonach die Stadt ihre Augen vor den Problemen im Zusammenhang mit dem Islam verschließen würde, zurück. Es habe sogar ein persönliches Gespräch mit der Pädagogin gegeben. Eine Arbeitsgruppe mit Vertretern aller Parteien, Religionsgemeinschaften, Polizei und Jugendämtern seit außerdem eingerichtet worden, um Probleme an den Schulen zu besprechen. Himmer appelliert in diesem Zusammenhang auch selbst an Wiesinger, an ihrer Schule aktiv zu werden: „Ich würde es sehr begrüßen, wenn sie vor Ort einen kleinen Arbeitskreis einrichtet.“

Beim Thema Kopftuchverbot bleibt der Präsident zurückhaltend: „Wir sollten zuerst einen Diskussionsprozess führen, was in der Klasse an religiösen Zeichen erwünscht ist.“

Auch bei Bildungs- und Integrationsstadtrat Czernohorszky (SPÖ) fragte die „Krone“ mit Blick auf Wiesingers Enthüllungsbuch in Sachen Radikalisierung, Deutschproblemen und Sanktionen nach.

„Krone“: Herr Stadtrat, die Schilderungen von Susanne Wiesinger sind eine Bankrotterklärung sämtlicher Wiener Integrationsfantasien, oder?
Jürgen Czernohorszky: Ich will bei diesen Themen gar nichts kleinreden. Wir werden Frau Wiesinger zu einem persönlichen Gespräch einladen. Denn jeder Fall, bei dem ein Lehrer oder Schüler unter Druck gerät und ein Lehrer findet, es gibt zu wenig Unterstützung, ist ein Fall zu viel. Es hat aber niemand etwas davon, wenn man ein Problem, ohne die konkreten Fälle zu kennen, hochstilisiert. Es geht darum, sie zu lösen.

Aber die Probleme sind für Sie ja nicht neu, oder?
Das Thema ist alles andere als neu, 2014 hat die Stadt Wien ja mit dem Netzwerk für Deradikalisierung ein bis heute einzigartiges Projekt etabliert. Unser Zugang ist eine enge Vernetzung von allen Stellen der Stadt mit der Polizei, der Kinder- und Jugendanwaltschaft und den Pädagogen. Es hat mehr als 2000 Schulungen für Lehrer gegeben. Dieses Wiener Modell wurde auf Bundesebene nachgemacht und verstärkt.

Frau Wiesinger schreibt, dass es in Favoriten „nur noch Brennpunktschulen“ gebe. Das sind längst keine Einzelfälle mehr, das ist ein System.
In Favoriten gibt es viele Schulen mit großen Herausforderungen, aber viele Pädagogen zeigen, wie man ihnen gut begegnet. Mit einer intensiven Zusammenarbeit mit der Kinder- und Jugendhilfe etwa.

Zitat aus dem Buch: „Islamische Gebote und Verbote, gepaart mit desolaten Deutschkenntnissen, haben den Lehrplan für Volks- und Mittelschulen de facto abgeschafft. Da müssen ja bei Ihnen jetzt alle Alarmglocken schrillen, oder?
Der Lehrplan ist selbstverständlich nicht abgeschafft. Was man sich überlegen muss, ist, wie man Lehrer bestmöglich unterstützen kann. Wovon ich gesellschaftspolitisch gar nichts halte, ist, dass man sich Probleme wegwünscht. Es braucht konkrete Antworten und wir arbeiten seit Jahren sehr intensiv daran. Alleine das Netzwerk für Deradikalisierung hat den Staatspreis für Verwaltung gewonnen. Das heißt aber nicht, dass wir am Ende einer Arbeit sind, wir sind mittendrin.

Was wird denn jetzt noch konkret passieren?
Der Stadtschulrat hat bereits vor Monaten eine wichtige Initiative im Bereich Gewalt an Schulen gesetzt. Da gibt es Maßnahmen und auch ein Follow-up. Man wird schauen, was man an der Schule von Frau Wiesinger machen kann. Ich habe mir gerade ihr Buch bestellt und werde es lesen.

In Schulen gibt es eine Kleiderpolizei, die muslimischen Mädchen Sommerkleider verbietet. Können solche Kinder und Jugendliche überhaupt noch integriert werden?
Jede Art von Tugendterror ist abzulehnen! Schule ist dafür da, den Schülern einen sicheren Raum zu geben, in dem sie sich entfalten können. Und gegen jede Einflussnahme wehre ich mich mit aller Kraft.

Frau Wiesinger fühlt sich als heimatlose Linke“ nicht mehr zur SPÖ hingezogen. Die Probleme würden dort ignoriert. Leben die Roten nur in ihrem Elfenbeinturm“?
Mein Zugang zur Politik ist der, Menschen ernst zu nehmen. Wenn der Eindruck entsteht, wir tun das nicht, muss man dem entgegenwirken. Ich kann nur ein offenes Ohr anbieten.

Brennpunktschulen wurden unbenannt in Schulen mit besonderen Herausforderungen. Das ist doch nur eine Form des Etikettenschwindels und ändert wenig, oder?
Ich weiß nicht, wer das umgeformt hat. Bei mir kommen immer beide Wörter vor. Brennpunktschulen zeichnen sich ja dadurch aus, dass es besondere Herausforderungen für die Lehrer gibt. Brennpunktschulen haben mehr Schüler, die die Sprache nicht ordentlich können und daheim keine Unterstützung bekommen, vielleicht sogar die einzigen sind, die in der Früh aufstehen. Diese Auseinandersetzung führen wir mit dem Bund. Der Integrationstopf war ein Topf mit Mitteln nur für solche Schulen und der ist gestrichen worden.

Die Bundesregierung versucht aber, das Problem zu lösen. Etwa mit Deutschklassen oder dem Kopftuchverbot.
Ganz ehrlich, bei den Deutschklassen wäre mir lieber, wenn man auf die Expertise vor Ort hört. Es geht darum, die Schulleiter zu fragen, und das ist in dem Fall nicht passiert. Das Thema ist doch, dass mehr Deutschförderung mehr Ressourcen braucht. Wir haben im Vorjahr dafür 360 Lehrer zur Verfügung gehabt und heuer 200. Das ist doch kein Modell, das die Brennpunktschulen besser macht. Und beim Kopftuchverbot gibt es immer noch keinen konkreten Vorschlag. Im Werteleitfaden wird genau der Weg geschildert, den wir in Wien praktizieren. Wir wollen auf keinen Fall, dass Mädchen im Kindergarten Kopftücher tragen, und wir suchen das Gespräch mit den Eltern.

Das kann an der Sprache scheitern. In Margareten haben nur zwölf Prozent der Kinder an öffentlichen Volksschulen Deutsch als Umgangssprache, in Favoriten 19 Prozent, in Rudolfsheim-Fünfhaus und Ottakring 18 Prozent. Wie will man diesen Anteil erhöhen?
Dass Kinder mehrsprachig sind, ist nicht das Problem der Großstadt, sondern eher ein Vorteil. Wir müssen sicherstellen, dass Kinder so schnell wie möglich bestes Deutsch sprechen. Und dafür brauchen wir genug Ressourcen.

Hat Frau Wiesinger mit Sanktionen zu rechnen?
Natürlich nicht. Das hatte noch nie eine Lehrerin in meiner Stadt.

Kronen Zeitung

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