„Krone“ vor Ort

Spurensuche nach Mord an slowakischem Journalisten

Ausland
04.03.2018 08:28

Privat führte der junge Slowake Jan Kuciak ein biederes, ruhiges Leben. Doch im Job legte er sich mit der Mafia und der Regierung an. War die Gräueltat an ihm und seiner Verlobten ein Racheakt seiner beruflichen Gegner? Die „Krone“ auf Spurensuche am Ort des Dramas.

Rund um die Uhr stehen jetzt Polizisten vor dem alten grau gestrichenen Haus am Rande von Velka Maca, einem 2500-Seelen-Dorf in der Mittelslowakei. Und immer wieder kommen vermummte Beamte einer Sondereinheit hierher und gehen dann in das Innere des Gebäudes. Um Spuren zu sichern und Analysen anzustellen, zu dem Verbrechen an Jan Kuciak und Martina Kusnirova.

Am vergangenen Sonntag waren die Leichen des Paars gefunden worden, die Frau lag in der Küche, der Mann im Keller. Beide wurden durch gezielte Schüsse getötet. Zuerst sie, in den Kopf. Dann er, ins Herz. Die Tat, einer Hinrichtung gleich, wahrscheinlich geschehen in der Nacht vom 21. auf den 22. Februar, sorgt weit über die Grenzen des Landes hinaus für Entsetzen. Denn Jan Kuciak war Journalist - ein Journalist, der wiederholt über mögliche Verbindungen der sozialdemokratischen Regierungspartei Smer zur italienischen Mafia berichtet hatte.

Mitglieder von kalabrischem Clan verhört
„Natürlich“, so Nancy Zavodska, leitende Redakteurin des auflagenstärksten Wochenmagazins und der zweitgrößten Tageszeitung der Slowakei, „besteht deshalb der Verdacht, dass die Morde einen politischen Hintergrund haben könnten.“ Mehrere Mitglieder eines kalabrischen Clans wurden mittlerweile verhört. Dubiose Vorgänge an Gerichten werden nun durchleuchtet, genauso wie die Machenschaften eines Waffenhändlerrings. „Wir ermitteln in viele Richtungen“, ist in Presseaussendungen der Kripo zu lesen, ein privates Motiv sei jedoch „mit Sicherheit auszuschließen“.

„Wollten gemeinsame Existenz aufbauen“
Jan Kuciak und Martina Kusnirova: Beide wuchsen in geordneten Verhältnissen auf. Beide galten von Kindheit an als besonders intelligent und strebsam. Beide studierten nach der Matura an der Uni von Nitra; Kuciak Publizistik, Kusnirova Archäologie. Beide machten 2015 ihren Abschluss. Beide begannen danach in Bratislava zu arbeiten; sie in einem Museum, er zunächst bei einer Wirtschaftszeitung, zuletzt war er für das Onlinemedium Aktuality.sk tätig. „Und beide wollten nichts mehr als sich gemeinsam eine gesicherte Existenz aufbauen“, schluchzt die Mutter der toten Frau.

Seit 2012 waren ihre Tochter und Jan Kuciak ein Paar, seit 2016 verlobt, am 5. Mai 2018 hätte ihre Hochzeit stattfinden sollen: „Deswegen hatten sie in der vorvergangenen Woche Urlaub genommen.“ Das tiefgläubige Paar besuchte da einen Trauungskurs in der Kirche, am 21. Februar zum letzten Mal: „Am Abend habe ich noch mit Martina telefoniert, sie wirkte fröhlich, sprach von ihrem positiven Stress. Sie und Jan schienen ja am Ziel ihrer Träume angelangt.“

Im Sommer 2017 hatten die zwei damals 27-Jährigen in Velka Maca, knapp eine Autostunde von der Hauptstadt entfernt – um 50.000 Euro, auf Kredit –, das alte grau gestrichene Haus gekauft, „das sie nun in jeder freien Minute umbauten“. Und sonst? „Versuchten sie, Karriere zu machen. Besonders Jan.“

27-Jähriger schlug „schnell Investigativ-Schiene ein“
„Schnell“, erinnern sich Kollegen, „schlug er die Investigativ-Schiene ein.“ Schrieb über kriminelle Vorgänge im Land; über – angeblich von der Politik gedeckte – Waffenschiebereien, unsaubere Immobilienprojekte, Drogenkartelle: „Jan recherchierte hauptsächlich vom Schreibtisch aus, beschaffte sich am Computer Grundbuchauszüge, Unterlagen zu Firmenkonstruktionen und Akten der Justiz. Er hatte mitunter tolle Exklusivgeschichten, aber nie die ganz großen.“

Es gebe Reporter in der Slowakei, die laufend Mega-Skandale aufdecken würden: „Warum wurde nicht einer von ihnen - sondern er - umgebracht?“ War Kuciak, ohne noch das Ausmaß erkennen zu können, auf eine bedeutende Story gestoßen? Oder sollte das Verbrechen an ihm und seiner Verlobten eine Warnung sein an andere Journalisten?

Es bestehen Auffälligkeiten in der Causa. An dem Gebäude konnten keine Einbruchsspuren festgestellt werden. Machte Kuciak den Fehler, einen vermeintlichen Informanten zu sich einzuladen? An seinem Esstisch wurden drei halb leere Tassen mit Kaffee gefunden. Kamen in der Folge noch mehr Menschen in das Haus? Aufgrund diverser Spuren am Tatort ist davon auszugehen, dass die Morde von einer Tätergruppe verübt wurden. Die in Mafia-Manier agierte, sogar ‘Ndrangheta-Zeichen hinterließ. Sind damit bewusst falsche Hinweise gelegt worden?

„Staat hat zumindest Mitschuld“
Fakt ist: Seit November fühlte sich Kuciak bedroht. Davor hatte er über dubiose Baugeschäfte berichtet. Die Polizei nahm seine Anzeigen nicht ernst. „Sie unternahm nichts, um ihn und unsere Tochter zu beschützen“, klagt Kusnirovas Mutter: „Der Staat hat demnach zumindest Mitschuld an ihrem Tod.“

Die Opfer-Familien engagierten nun den Wiener Anwalt Gabriel Lansky und seinen Mitarbeiter in Bratislava, Stefan Holy: „Mit Privatermittlern wollen wir versuchen, den Fall aufzuklären.“ Die Angehörigen der beiden Ermordeten haben nämlich kein Vertrauen in die slowakischen Behörden: „Wir befürchten, dass sie die Killer unserer Kinder decken könnten ...“

Martina Kusnirova wurde am Freitag, Jan Kuciak am Samstag begraben. In ihren Heimatdörfern. In den Städten des Landes fanden währenddessen von Journalisten organisierte Mahnmärsche statt.

Martina Prewein, Kronen Zeitung

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