Chaotiker, Populisten

Italiener wählen – wer ist das geringste Übel?

Ausland
03.03.2018 06:00

Europa schaut gespannt auf den Wahlausgang am Sonntag in der drittgrößten Volkswirtschaft der Union. Drei Lager kämpfen in Italien mit alten Gesichtern und unerfüllbaren Versprechen verbittert um die Mehrheit im Parlament und damit um den Ministerpräsidenten. In einem Land, das gar nichts anderes mehr gewohnt ist.

Ein eiskalter Wind pfeift dieser Tage durch die Gassen der ansonsten sonnenverwöhnten Hauptstadt. „La Capitale“, wie sie die Römer ehrfürchtig nennen, versinkt im Winterchaos. Die Metro bleibt öfter stecken, Zehntausende kommen zu spät zur Arbeit. „Das ist Rom – man liebt es, oder man hasst es“, sinniert Angelino Salvetti, ein Barbesitzer in der Nähe des Bahnhofs Termini. Aufgeregt wird bei Espresso und Aperitif diskutiert, welches „Übel“ am Sonntag gewählt werden soll: „Es bleibt nichts anderes übrig. Wir wollen das male minore, das mindere Übel.“ Doch keiner weiß so wirklich, welches das ist.

Italien steckt seit Jahrzehnten in der Populismusfalle – gelähmt zwischen hausgemachtem Stillstand und Versprechen von denselben Polit-Eliten, die immer wieder aufs Neue Milliarden an Euro ankündigen, die der Staat schon längst nicht mehr hat.

Drei Lager kämpfen um Mehrheit
Die Italiener verzweifeln an ihren Politikern, doch das Land – und das ist das italienische Phänomen – läuft nach jeder von gesteuerten Medien und Parteistrategen ausgerufenen „Schicksalswahl“ trotzdem weiter. Zerrissen zwischen dem maroden Süden und dem einigermaßen stabilen Norden, droht nach der Wahl eine Pattsituation. Drei Lager kämpfen um die notwendige Mehrheit von 40 Prozent, die mit dem Wahlsystem so gut wie unmöglich zu erreichen scheint.

Wer siegt, dem winkt der Ministerpräsident. Wer sich dennoch nicht auf eine Koalition einigen kann, der beschert dem Land Neuwahlen.

Mitte-rechts liegt vorne, Tajani kündigt sich an
Die größte Chance hat laut variierenden Umfragen das Mitte-rechts-Bündnis aus Forza Italia, Lega und den ultrarechten Fratelli d’Italia, in dem eine – auch dank der hervorragenden Arbeit von Mailänder Schönheitschirurgen – bestens konservierte politische Mumie alle Fäden in der Hand hält. Viermal war Silvio Berlusconi Premier, 2011 trieb der „Cavaliere“ (der Ritter) das Land fast in den Ruin. Korruptionsprozesse, Verurteilungen, Politikverbot, all dies half nichts. Berlusconi ist stärker da denn je.

Sein Bündnispartner Matteo Salvini führt die europa- wie ausländerfeindliche Lega Nord an, die sich nur noch Lega nennt. Der Mann, der Donald Trump und Viktor Orban seine Vorbilder („Italien den Italienern“) nennt, will Ministerpräsident werden. Dass die Lega jahrelang brutal für eine Abspaltung des Nordens vom Süden kämpfte, zählt heute nichts. Sein größter Konkurrent ist der Präsident der EU-Parlaments, Antonio Tajani, den wenig überraschend Berlusconi für seine Forza Italia aus dem Hut zauberte. Tajani will an die Staatsspitze, falls das Bündnis den Sieg einfährt.

Grillo will mit niemandem, Renzi kommt nicht an
„Lachhaft“, wettert Starkomiker Beppe Grillo, Gründer der Hoffnungspartei Cinque Stelle. Der brillante Rhetoriker schließt jede Koalition aus, er selbst hat sich zurückgezogen und überlässt das Feld seinem Vertrauten und Emporkömmling Luigi di Maio. Doch gerade in Rom kommt die Bewegung kaum noch an. Bürgermeisterin Virginia Raggi gelang es nicht, die Ewige Stadt in Schwung zu bekommen.

Ein Debakel dürfte das regierende Mitte-links-Bündnis mit dem Partito Democratico (PD) einfahren, das mit der Ex-Lichtgestalt Matteo Renzi in Umfragen abstürzte. Die Partei ist seit dem versenkten Verfassungsreferendum 2016 wie paralysiert. Renzi kommt innerparteilich nicht mehr in die Gänge, Premier Paolo Gentiloni ist gleichzeitig nicht Spitzenkandidat, obwohl die Italiener seine Arbeit schätzen.

Mit dem Auftritt Tajanis steigen jedoch auch Gentilonis Chancen, die Italiener zu überzeugen, das „mindere Übel“ zu wählen. Beide gelten als Männer des Konsenses, eine Einstellung, die nicht nur Italien in Europa gut brauchen kann.

Michael Pichler, Kronen Zeitung, aus Rom

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