„Krone“-Interview

Algiers: Die Revolution von Übermorgen

Musik
13.02.2018 07:00

Mit dem zweiten Album "The Underside Of Power" hat sich das transatlantische Gospel-Punk-Projekt Algiers auch in Europa einen Namen gemacht. Vor ihrem ersten Österreich-Auftritt im ausverkauften Wiener B72 haben wir die politisch hochmotivierte Band zum Gespräch über überhastete Revolutionsgedanken, Jamey Joyce und die Unnötigkeit der Grammy-Verleihung gebeten.

(Bild: kmm)

Manche Bands verstehen sich als fleischgewordene Maschinerie des Entertainments, andere haben eine darüberhinausgehende Mission, die ihr Seelenheil nicht durchs bloße Musizieren im Studio oder auf Bühnen findet. Als Franklin James Fisher, Lee Tesche und Ryan Mahan bereits in den 90er-Jahren in Atlanta aufeinandertreffen, schwamm ihr Bandprojekt Algiers noch in Abrahams Wurstkessel. Erst 2007 schnitzt das Trio aus all seinen Erlebnissen, Einflüssen und Erfahrungen diese Band, deren Name als Referenz für die historische Seite des Antikolonialismus und dem vor allem in Afrika vorherrschenden Zwischenspiel aus Gewalt, Rassismus, Widerstand und Religion dient.

Alles im Topf
All das vermischt das um Bloc-Party-Drummer Matt Tong komplettierte Quartett seit zwei Alben mit einer so kruden, wie einnehmenden Stilmischung aus Gospel, Funk, Punk, Blues, Soul und Electro-Zitaten. Unlängst übrigens auch das erste Mal in Österreich, als mit unzweideutigem „Power To The People“-Banner am Bühnenhintergrund das restlos ausverkaufte B72 in Wien beschallt wurde.

„Offenbar erreichen wir mit unserem Sound unterschiedliche Typen von Hörern“, erklärt Bassist Mahan vor dem Gig im „Krone“-Interview. Sänger Fisher ergänzt schmunzelnd: „Wir liefern eine Art von penetranter Beschallung, der sich viele Menschen nicht wirklich entziehen können. Es ist vielleicht dasselbe, wie wenn du einen postmodernen Roman liest – du blickst auch mal unter die Oberfläche. Du wählst das, was deiner Seele und deinem Geist guttut. Wenn du Algiers hörst, liest du vielleicht lieber James Joyce als John Grisham und kochst dir eher ein gemüsehaltiges Essen, als dass du zu McDonalds gehst.“

Ehrlich und schmerzhaft
Algiers lassen sich musikalisch nicht einordnen, verstehen sich aber als Gegenbewegung zum nonsensträchtigen Stangenpop der Formatradios und fordern ihre Hörer nicht nur mit partiell eingesetzten Noise-Verzerrungen, sondern auch mit eindringlichen, manchmal sogar schmerzhaft ehrlichen Texten, die sich kritisch und offensiv mit Rassismus, der Trumpisierung Amerikas und ähnlicher Alltagskatastrophen auseinandersetzt.

Der mit einem magischen Kirchenstimmtimbre ausgestattete Fisher bringt die inhaltliche Essenz seiner Texte auf den Punkt. „Im Groben geht es darum, dass du als bewusst lebender Mensch in einer industrialisierten Welt wissen solltest, dass es verschiedene Wahrheiten gibt und du dich immer wieder hinterfragen musst. Natürlich – Faschismus ist schlecht, Hass ist schlecht, aber wir wollen nicht predigen. Bist du daran interessiert, mit uns in einen Dialog zu treten, bist du immer herzlich willkommen.“

Verstanden werden
Mit ihrem Zweitwerk „The Underside Of Power“, das laut Band Optimismus in schweren Zeiten verbreiten und die schändlichen Taten der Reichen und Mächtigen anprangern soll, gelang ihnen ein vertontes Manifest des Widerstands, das sich nicht nur in den USA, sondern auch in Europa in die Spitzenlisten vieler Musikexperten katapultierte. Oft auch in Ländern, die Algiers noch nicht einmal live besuchten. „In Europa fällt es uns kurioserweise leichter Fuß zu fassen, als in den USA. Dort geht es vorwiegend um Selbstvermarktung, während die Menschen in Europa einfach mehr Geschichtsbewusstsein haben und aktiv nach dem Kern unserer Musik suchen.“

Die größte Stärke Algiers ist das fehlende Trendbewusstsein. Mit ihren exaltierten Bühnenshows und der nicht zu kategorisierenden Musik lässt sich das transatlantische Quartett in keine Schublade stecken und findet gerade deshalb eine immer größer werdende Publikumsschicht, die aktiv auf der Suche nach etwas Neuem, Frischem und Inhaltsreichem ist. „Es liegt an uns, für positive Energien zu sorgen und gegen Unterdrückung anzukämpfen. Wir sind aber dennoch nur Musiker und keine Politiker oder Anführer von Revolten. Natürlich ist unsere Rolle im Weltgeschehen limitiert, aber die Welt wurde schon des Öfteren im Kleinen verändert.“

Glanz und Glamour
Selbstverständlich ist auch die Band an sich nicht vollständig vor dem Kapitalismus des Musikgeschäfts gefeit, sonst würden sie nicht kommerziell verwertbare Alben auf einem Plattenlabel veröffentlichen. Für Fisher ist die Industrie aber nicht mehr als ein notwendiges und unumgehbares Übel. „Sieh dir zum Beispiel die Grammys an. Mir sind sie völlig egal und im Endeffekt wurden sie von der Musikindustrie ins Leben gerufen, um ihre eigene Existenz zu bestätigen. Es geht darum, die Illusion aufrechtzuerhalten, dass es um so viel Geld und noch mehr Glamour geht. Darum, dass die Leute glauben es wäre es wert, all das zu feiern. Was für ein Bullshit.“

Wenn Algers nicht gerade im Studio oder in gegenseitigen Gesprächen über die kleinen und großen Schieflagen der Welt debattieren, tun sie es gerne mit ihrem Publikum. „In die Tiefe können solche Diskussionen natürlich nicht gehen, aber tatsächlich werden wir oft von der extrem linken Seite zum Gespräch aufgefordert“, lacht Mahan, „ich würde mich ja eher links der Mitte bezeichnen, als Realist. Ich muss den Menschen leider oft sagen, dass die nächste große Revolution nicht schon am kommenden Dienstag stattfinden wird.“ Derart große Missionen können manchmal ganz schön belastend sein.

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