Von Leiter gestürzt

Ex-EU-Kommissar Karel Van Miert ist tot

Ausland
23.06.2009 10:39
Der frühere EU-Wettbewerbskommissar Karel Van Miert ist tot. Wie belgische Medien am Dienstag berichteten, kam Van Miert im Alter von 67 Jahren bei einem Sturz von der Leiter in seinem Garten in der flämischen Gemeinde Beersel bei Brüssel ums Leben. Van Miert war zuletzt EU-Koordinator für den Brenner-Basistunnel. Als EU-Wettbewerbskommissar kämpfte er Ende der 90er-Jahre gegen die Buchpreisbindung.

Karel van Miert war auch in Österreich kein Unbekannter. Als EU-Koordinator für den Brenner-Basistunnel unterzeichnete er noch vor einem Monat gemeinsam mit Verkehrsministerin Doris Bures und ihren Amtskollegen aus Deutschland und Italien ein "Memorandum of Understanding" zum Ausbau der Brennerbahnstrecke. Als Verkehrskommissar vor dem EU-Beitritt Österreichs verhandelte Van Miert für Brüssel den Transitvertrag. Als EU-Wettbewerbskommissar kämpfte er Ende der 90er-Jahre gegen die Buchpreisbindung.

In Belgien war Van Miert eine Galionsfigur der flämischen Sozialisten. Von 1978 bis 1988 führte er den Parteivorsitz. Von 1979 bis 1985 war er sozialistischer Abgeordneter im Europaparlament. 1989 wurde er im zweiten Kabinett des legendären Kommissionspräsidenten Jacques Delors EG-Kommissar für Verkehr. In dieser Funktion war er der Hauptansprechpartner der damaligen österreichischen Regierung bei allen Transitfragen. Zunächst ging es 1989 um Ausnahmeregelungen für das Nachtfahrverbot für Lkw in Österreich. 1992 einigten sich Van Miert und der damalige österreichische Verkehrsminister Viktor Klima auf den Transitvertrag, der die Zahl der Durchfahrten und die Berechnung der Ökopunkte für Lastwagen aus der Europäischen Gemeinschaft regelte.

Genaue Kenntnis von Dossiers, keine Angst vor Lobbys
1993 übernahm Van Miert in der Delors-Kommission den mächtigen Posten des Wettbewerbskommissars. Wurde Van Miert zu Beginn seiner Karriere in der EU-Kommission noch als "kleiner Belgier" belächelt, verschaffte er sich rasch Respekt durch seine genaue Kenntnis von Dossiers. Als oberster Wettbewerbshüter in der EU legte er sich mit mächtigen Konzernen und politischen Lobbygruppen an. Van Miert setzte etwa Auflagen gegen die umstrittenen staatlichen Beihilfen für die französische Großbank Credit Lyonnais durch. Er untersagte den deutschen Medienkonzernen Kirch und Bertelsmann ein Zusammengehen auf dem deutschen Pay-TV-Markt und eröffnete ein Verfahren gegen die FIA und Firmen des Formel-1-Veranstalters Bernie Ecclestone wegen möglichen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung.

Die grenzüberschreitende Buchpreisbindung zwischen Österreich und Deutschland musste im Jahr 2000 durch zwei nationale Systeme ersetzt werden. Van Miert leistete dazu die Vorarbeiten, er plante auch einen Eingriff in die nationalen Buchpreissysteme. Van Miert betrieb 1999 auch das Kartellverfahren gegen acht österreichische Banken wegen Absprachen im Bankgeschäft. Der Fall wurde unter dem Namen "Lombard Club" bekannt. Mit dem Rücktritt der Santer-Kommission im Jahr 1999 wegen Korruptionsaffären schied auch Van Miert aus der Brüsseler EU-Behörde aus.

Van Miert blieb bis zuletzt aktiv in der Privatwirtschaft und in der Politik. Er war unter anderem Mitglied im Aufsichtsrat des deutschen Energiekonzerns RWE, er saß auch im Vorstand der niederländischen Elektro-Firma Philips und des Technikkonzerns Agfa-Gevaert. Zum Koordinator für den Brenner-Basistunnel - dem vorrangigen europäischen Schienenverkehrsprojekt - wurde er 2005 bestellt.

Barroso: "Mit starkem sozialen Gewissen gearbeitet"
EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso hat Van Miert als "überzeugten und engagierten Europäer" gewürdigt. Van Miert habe dieses Engagement während seiner gesamten politischen Laufbahn beibehalten, "seit seinen Anfängen als Praktikant bei der Kommission bis zu den höchsten Verantwortlichkeiten in dieser Institution", teilte Barroso am Dienstag in Brüssel mit.

Als Kommissar für Verkehr und Wettbewerb habe Van Miert von 1989 bis 1999 "mit Energie und einem starken sozialen Gewissen gearbeitet, und so nachhaltige Ergebnisse erzielt". "Er hat auf der sozialen Funktion des Binnenmarktes bestanden, indem er die Wettbewerbsregeln so anwendete, dass er die Schwächsten vor den schwersten Missbräuchen schützte", so Barroso. Van Miert habe die Vision des Binnenmarktes als Projekt im Dienste der europäischen Bürger verteidigt.

Platter: "Tirol verliert einen großen Verbündeten"
"Geschockt" hat sich Tirols Landeshauptmann Günther Platter nach dem überraschenden Tod Van Mierts gezeigt. "Tirol verliert einen großen Verbündeten im Bemühen um eine Reduzierung des Lkw-Transitverkehrs", sagte Platter. Noch letzte Woche habe er Van Miert in Innsbruck getroffen, um die jüngsten Fortschritte bei der Realisierung des Brenner-Basistunnels zu besprechen. Van Miert sei immer überzeugt von diesem Projekt gewesen und habe sich "unermüdlich für die Realisierung" eingesetzt.

Außerdem habe der Tunellkoordinator erkannt, wie wichtig die entsprechenden Rahmenbedingungen seien, um ein Projekt in der Größe des Brenner-Basistunnels zu verwirklichen. "Nicht zuletzt die am 18. Mai in Rom unterzeichnete Gemeinsame Absichtserklärung sowie der Brenner Aktionsplan sind auf sein großes Engagement zurückzuführen. Meine Anteilnahme gilt seiner Familie", erklärte Platter.

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