Tierschützer-Affäre

“Amtsmissbrauch” und “Freiheitsberaubung”

Österreich
03.09.2008 22:15
Der Fall der über 100 Tage inhaftierten Aktivisten des "Vereins gegen Tierfabriken" sorgt weiter für Wirbel - und nicht nur wegen der Kandidatur des Obmannes Martin Balluch (Foto) für die Grünen: Am Mittwoch sind die Gründe für die überraschende Enthaftung bekannt geworden. Die Wiener Oberstaatsanwaltschaft hatte sie nämlich angeordnet, weil ihr schlicht der Geduldsfaden gerissen war. Die ermittelnde Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt sei nicht in der Lage gewesen, einen Zeitpunkt für das Ende ihrer Untersuchungen anzugeben. Die "Bildung einer kriminellen Organisation" konnte die eigens eingerichtete Soko der Polizei offenbar nicht beweisen. Die Grünen orten in der Causa "Amtsmissbrauch mit den Ziel der Freiheitsberaubung".

Die zehn Tierschützer waren im Mai in U-Haft genommen worden, nachdem man sie zuvor lange Zeit überwacht hatte. Eine eigene Sonderkommission hatte man einberufen. Es gab Hausdurchsuchungen, Online-Durchsuchungen, Beschlagnahmung von Vereinsakten - bis im Mai 2008 die Handschellen klickten. Vereinsobmann Martin Balluch und neun Mitgliedern wird vorgeworfen, sie hätten versucht, mit teils gewalttätigen und illegalen Protestaktionen Bekleidungsfirmen zum Ausstieg aus dem Handel mit Pelzen zu zwingen und somit Einfluss auf die Wirtschaft zu nehmen, was unter anderem das Wesen einer kriminellen Organisation ausmache, so die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt.

Weiters wird ihnen neben kleineren Vandalenakten zur Last gelegt, "Buttersäure-Anschläge" auf Geschäfte gemacht zu haben; ein Brandanschlag gegen eine Hühnerfarm und einen Schweinezüchter sollen auf das Konto des Vereins ebenso gehen wie umgesägte Jäger-Hochstände. Dennoch kam es am Dienstag zur Enthaftung.

Anklage brachte durch Beschwerde Enthaftung ins Rollen
Die Oberstaatsanwaltschaft (kurz: OStA) hatte sich dabei pikanterweise ausgerechnet aufgrund einer Haftbeschwerde der Wiener Neustädter Anklagebehörde mit den Tierschützern auseinandergesetzt. Bereits am 13. August war ja einer der ursprünglich zehn festgenommenen Aktivisten aus der U-Haft entlassen worden, was die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt aber nicht akzeptierte. Sie legte dagegen Rechtsmittel ein.

Der Schuss ging nach hinten los: Die OStA befand, dass die Enthaftung des Mannes in Ordnung war - und prüfte bei dieser Gelegenheit auch, ob die Anhaltung der übrigen neun Tierschützer noch zu rechtfertigen ist. Man kam zu dem Schluss, dass eine weitere Inhaftierung im Hinblick auf die zu erwartende Strafe (es konnten zu den vorgeworfenen Delikten anscheinend keine Beweise vorgelegt werden) unverhältnismäßig wäre.

Wie OStA-Sprecherin Marie-Luise Nittel nun darlegt, habe man die Tierschützer nicht weiter eingesperrt sehen wollen: „Es wäre nicht vertretbar gewesen, sie bis in den Herbst hinein oder gar bis Weihnachten in Haft zu behalten.“ Die Wiener Neustädter Behörde soll zwar argumentiert haben, dass eine Freilassung der Verdächtigen, die aus taktischen Gründen in verschiedenen Gefängnissen untergebracht waren, die noch notwendigen Vernehmungen und damit den Abschluss der Ermittlungen weiter verzögern würde. Der OStA reichte die Begründung nicht.

Anwalt: Kein Tag U-Haft für vorgeworfene Delikte
„Die Enthaftungen sind eine schallende Ohrfeige für die Staatsanwaltschaft in Wiener Neustadt“, meinte Michael Dohr, einer der Verteidiger der Aktivisten, am Mittwoch. Die Anordnung der OStA, die Beschuldigten auf freien Fuß zu setzen, sei aber „eindeutig  zu spät“ gekommen, sagte der Anwalt. „Die Verdunkelungsgefahr ist bereits am 24. Juli ex lege weggefallen, weil eine solche nur zwei Monate angenommen werden kann“, erläuterte Dohr. Für die Tierrechtler hatten Ende Mai die Handschellen geklickt. Auf Basis des zweiten Haftgrunds Verdunklungsgefahr eine mehr als dreimonatige U-Haft zu rechtfertigen, sei im gegenständlichen Fall mit den Menschenrechten nicht in Einklang zu bringen: „Die angebliche Tatbegehungsgefahr war schon lange unverhältnismäßig. Das, was den Leuten vorgeworfen wird, wird - sollte es zu einer Anklage kommen - von einem Einzelrichter verhandelt.“ Unbescholtene Bürger mit einem festen Wohnsitz, die vor einem Einzelrichter landen, hätten üblicherweise keinen einzigen Tag in U-Haft verbracht, betonte Dohr.

Pilz: „Platter ist vor dem Rechtsstaat nicht sicher!“
In der Causa schießt sich der Grüne Sicherheitssprecher Peter Pilz nun auf die ÖVP und den ehemaligen Innenminister, Tirols Landeshauptmann Günther Platter ein. Die ÖVP und das BMI hätten „ein Exempel statuieren“ wollen, wetterte er am Mittwoch bei einer Pressekonferenz mit VGT-Obmann Balluch. Pilz attestierte angeordneten Machtmissbrauch, bei dem man über Kriminalpolizei und Steuerfahndung den Tierschützern zu Leibe gerückt sei und die Ermittler als politisches Instrument missbraucht habe.

„Ich habe erst einen Teil meiner Unterlagen vorgelegt“, drohte Pilz in Richtung ÖVP (siehe Nachlese in der Infobox). Die Grünen würden in Folge die Vorgänge „Stück für Stück und Thema für Thema einzeln aufklären“, kündigte er an und stellte „Amtsmissbrauch mit dem Ziel der Freiheitsberaubung“ in den Raum. Die Unterlagen, die Pilz aufrollen will, würden für die bei dem Fall tätige polizeiliche Sonderkommission und den damaligen Innenminister Folgen haben, so der Grüne Sicherheitssprecher: „Wir sind entschlossen, dafür zu sorgen, dass auch der Herr Platter davon erfährt, dass auch er vor einem Rechtsstaat nicht sicher ist.“ Pilz möchte die Vorgänge auch im U-Ausschuss zum Innenministerium zum Thema machen.

Die Tierschützer seien wegen ihrer politischen Erfolge und wegen ihrer Proteste gegen Pelzbekleidung vor Textilketten Opfer von Repressalien geworden, mutmaßen Pilz und der erst am Dienstag auf freien Fuß gesetzte Obmann des Vereins gegen Tierfabriken, Martin Balluch, der nunmehr gemeinsam mit einer 30-Jährigen Kollegin auf Listen der Grünen für die Nationalratswahl kandidiert. Balluch ortet steigenden Druck auf die Tierschützer, seit im Jahr 2004 im Tierschutzgesetz das Verbot von Legebatterien festgeschrieben worden war. Daraufhin sei es beispielsweise deutlich schwieriger geworden, Demonstrationen genehmigt zu bekommen. Pilz brachte außerdem den Besuch von Vertretern einer Textilkette im Innenministerium ins Spiel, bei dem sie erklärt hätten, „wie sie sich vorstellen, wie sie die Tierschützer nicht nur vom Gehsteig entfernen“.

Balluch: Hälfte der Inhaftierten kannten einander gar nicht
Balluch betonte erneut sein Unschuld und brachte sein Unverständnis für die Ermittlungen und seine Verhaftung zum Ausdruck. Von den ursprünglich zehn Leuten, die in U-Haft genommen worden waren, hätte sich die Hälfte untereinander nicht gekannt, meinte er. Überhaupt sei die mit Tierschutzaktivitäten einhergehende Kriminalität im internationalen Vergleich in Österreich sehr niedrig: „Im Gegensatz dazu wurde beschlossen, dass man den großen Schlag führen wird“, kritisierte er. Man habe einen Lauschangriff gegen den VGT geführt, Büros und Handys abgehört, sowie einen Peilsender an seinem Auto angebracht. Die Grenze zulässiger Gesetzesübertretungen im Tierrechts-Aktionismus liege für ihn dort, wo kriminelle Handlungen anfangen würden, betonte Balluch. Verwaltungsstrafen seien noch zulässig, aber „Sachbeschädigung sei ganz deutlich abzulehnen, das geht zu weit“.

Kürschner und Pelzhandel: „Recht muss Recht bleiben“
„Recht muss Recht bleiben und begangene Straftaten müssen bestraft werden.“ Mit diesen Worten reagierte am Mittwoch der Pelzhandel gemeinsam mit der Bundesinnung der Kürschner auf die Enthaftung der Tierschützer. Es könne nicht sein, dass im Namen des Tierschutzes schwerwiegende und vor allem für die betroffenen Betriebe teure Sabotageakte mit Hunderttausenden Euro Sachschaden verübt werden, hieß es. Mögliche Straftaten, die unter dem Deckmantel des Tierschutzes begangen wurden, bedürfen daher einer umfassenden und nachhaltigen Aufklärung. Denn für Taten, die einen Schadensfall für betroffene Personen zur Folge haben, müssen vom Verursacher die Konsequenzen getragen werden. Die Ankündigung des enthafteten Sprechers, er „würde das sofort wieder machen“ (siehe Nachlese in der Infobox), ist in den Augen der betroffenen Branchen als Provokation zu werten. „Vandalismus darf nicht mit Tierschutz verwechselt werden, denn keinem Tier ist damit gedient, wenn in mut-oder böswilliger Absicht Sachschäden oder gar Personenschäden verursacht werden.“

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