Datenanalyse zeigt:

Geburt während Hungersnot erhöht Diabetes-Risiko

Wissenschaft
04.03.2013 21:00
Wenn eine Mutter während der Schwangerschaft hungert, ist die Chance, dass ihr Baby im fortgeschrittenen Alter an Diabetes leidet, deutlich größer als bei normal ernährten Müttern. Das haben Forscher der Medizinischen Universität Wien mithilfe statistischer Untersuchungen festgestellt. So ist die Wahrscheinlichkeit, dass jemand, der während der Hungersnot 1920/21 im Burgenland geboren wurde, heute Diabetes hat, mehr als doppelt so hoch wie für davor oder danach Geborene.

Den Wissenschaftlern waren im Rahmen einer völlig anderen Untersuchung bei den Geburtsjahren von 325.000 österreichischen Diabetes-Patienten drei Zacken aufgefallen – nämlich 1920/21, 1938 und 1946/47. "Als wir das zum ersten Mal sahen, war ich sicher, dass dies ein Fehler in den Daten ist", erklärte Stefan Thurner vom Institut für Wissenschaft komplexer Systeme der Medizinischen Universität Wien. Doch je sauberer die Daten wurden, desto größer war auch der Effekt.

Die Forscher brauchten lange, bis sie den entscheidenden Hinweis bekamen: Die gehäuften Geburtsjahrgänge von Diabetes-Patienten stimmen mit dem Auftreten von drei Hungersnöten im vergangenen Jahrhundert in Österreich überein. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und der Monarchie anno 1918 brach die Nahrungsmittelversorgung in Österreich ein, 1938 führten Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit und schlechte Ernten zu Hunger, und schließlich waren weite Teile Europas, darunter auch Österreich, 1946/47 vom Hungerwinter betroffen.

Vor allem Burgenländer sind betroffen
Bei Menschen, die in bzw. kurz nach diesen Hungerjahren geboren wurden, fanden die Forscher ein massiv erhöhtes Diabetes-Risiko, vor allem von Typ-2-Diabetes. Vor allem bei jenen Menschen, die in zur damaligen Zeit ärmeren Gegenden wie etwa dem Burgenland geboren wurden, ist das Risiko besonders hoch, so die Forscher, deren Arbeit in den "Proceedings" der US-Akademie der Wissenschaften ("PNAS") veröffentlicht wurde.

Bereits in früheren Untersuchungen war ein Zusammenhang zwischen Unterernährung in den ersten Lebensjahren und langfristigen negativen Gesundheitsauswirkungen festgestellt worden, etwa beim Niederländischen Hungerwinter 1944, der Chinesischen Hungersnot 1959 bis 1961 oder der Biafra-Hungersnot während des nigerianischen Bürgerkrieges (1967 bis 1970). Allerdings würden diese Studien jeweils nur auf Daten von ein paar Tausend Personen basieren, "weit weniger als in unserer Arbeit", so Thurner.

"Hypothese des sparsamen Phänotyps"
Die Wissenschaftler verweisen auf die "Hypothese des sparsamen Phänotyps", die im Lichte dieser Daten entwickelt wurde. Demnach würden Föten, deren Mutter unter Mangelernährung leidet, Strategien entwickeln, die eine fortgesetzte schlechte Ernährung nach der Geburt voraussetzen, um die Überlebensrate nach der Geburt zu maximieren. Sind sie dann – entgegen der "Erwartung" – mit normaler Ernährung konfrontiert, könnte das Probleme verursachen, etwa mit den insulinproduzierenden Zellen (Betazellen) der Bauchspeicheldrüse. Immerhin entwickle sich etwa die Hälfte aller Betazellen eines Erwachsenen bereits im ersten Lebensjahr.

Sollten sich die Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Hunger und Diabetes verdichten, "müsste man dort, wo schwangere Frauen heute hungern, in den nächsten 30 bis 50 Jahren deutlich höhere Diabetes-Raten erwarten", betonte Thurner. Zudem könnten Ärzte Menschen, die in Hungerzeiten geboren wurden, besser screenen und mit der Behandlung viel früher als derzeit beginnen. Die Wissenschaftler wollen nun systematisch nach unerwarteten Mustern in den Daten aller zu behandelnden Krankheiten in Österreich suchen.

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