Von Streit zermürbt

NGOs ziehen ab: “Tödliche Lücke” im Mittelmeer

Ausland
13.08.2017 13:59

Die einen wollen Flüchtlinge retten, die anderen wollen diese Pläne durchkreuzen: Die Situation im Mittelmeer ist höchst angespannt. Da sie sich von der libyschen Küstenwache bedroht fühlen, haben vier NGOs ihre Hilfseinsätze ausgesetzt. "Wir hinterlassen eine tödliche Lücke im Mittelmeer", sagt der Chef einer Organisation. Probleme bereiten den Rettern auch rechtsextreme Initiativen wie jene der Identitären. Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) sieht daher Maßnahmen zur Schließung der Mittelmeerroute "nötiger denn je".

Seit August unterstützt die italienische Marine die libysche Küstenwache technisch und logistisch. Die Regierung in Rom erhofft sich von dem Einsatz, dass weniger Migranten nach Italien kommen. Nach Ärzte ohne Grenzen wollen nun auch Sea Eye, Save the Children und Sea-Watch vorerst keine Einsätze zur Rettung von in Seenot geratenen Flüchtlingen im westlichen Mittelmeer mehr fahren. Grund dafür sei eine veränderte Sicherheitslage, nachdem die libysche Regierung eine unbestimmte und einseitige Ausdehnung ihrer Hoheitsgewässer angekündigt hatte - verbunden mit einer ausdrücklichen Drohung an private NGOs, teilten die Gruppen am Sonntag mit.

Sea Eye: "Haben rund 12.000 Menschen vor dem Ertrinken gerettet"
Sea Eye rettete nach eigenen Angaben seit Beginn ihrer Missionen im April 2016 rund 12.000 Menschen vor dem Ertrinken. Hunderte ehrenamtliche Helfer waren im Einsatz. "Wir hinterlassen eine tödliche Lücke im Mittelmeer, aber eine Fortsetzung unserer Rettungsarbeiten ist unter diesen Umständen aktuell nicht möglich. Wir können dies auch gegenüber unseren Crews nicht mehr verantworten, das wäre zu riskant", sagte Sea-Eye-Gründer Michael Buschheuer. Heuer starben laut der Organisation bereits mehr als 2400 Menschen auf der Mittelmeerroute.

Ärzte ohne Grenzen: "Klima wird immer feindseliger"
Bereits am Samstag hatte Ärzte ohne Grenzen mitgeteilt, den Mittelmeer-Einsatz zu unterbrechen. "Für NGOs wird das Klima auf dem Mittelmeer immer feindseliger. Das wird eine riesige Lücke in die Such- und Rettungskapazitäten reißen und Menschenleben fordern", twitterte die Organisation. Der italienische Chef von Ärzte ohne Grenzen, Loris De Filippi, fügte hinzu: "Wir setzen unsere Aktivitäten aus, weil wir nun das Gefühl haben, dass das bedrohliche Verhalten durch die libysche Küstenwache sehr ernst ist. Wir dürfen unsere Kollegen keiner Gefahr aussetzen."

Verhaltenskodex für NGO-Missionen nicht unterschrieben
Ärzte ohne Grenzen hat den Verhaltenskodex der Regierung in Rom für NGO- Rettungsmissionen im Mittelmeer im Gegensatz zu anderen Hilfsorganisationen nicht unterschrieben. Rom wolle alle NGOs kriminalisieren, begründete De Filippi diese Entscheidung. Das Papier umfasst zahlreiche Punkte und enthält etwa ein Verbot der Einfahrt in libysche Küstengewässer sowie jeglicher Kommunikation mit Schleppern.

Spanische NGO will Einsätze fortsetzen
Die spanische Proactiva Open Arms will dagegen weitermachen. "Für uns ändert sich nicht viel im Vergleich zu den vergangenen Wochen", sagte der Aktivist Riccardo Gatti der italienischen Zeitung "La Repubblica". "Wir werden unsere Rettungseinsätze ohne Pause fortführen." Nach Angaben der Organisation war ihr Schiff in der vergangenen Woche im Mittelmeer von der libyschen Küstenwache mit Warnschüssen bedrängt worden.

Sobotka vs. Identitäre: "Feld nicht Ewiggestrigen überlassen"
Neben dem Schlepperunwesen habe sich für Innenminister Sobotka die Situation im Mittelmeer durch rechtsextreme Organisationen verschärft. "Politische Extremisten, die im Mittelmeer NGOs angreifen, sind ein klares Zeichen für Radikalisierungstendenzen in Europa", warnte Sobotka. "Wir müssen dieser Entwicklung klar entgegentreten und auf europäischer Ebene dafür Sorge tragen, dass sich die Situation auf dem Mittelmeer normalisiert und die Fluchtroute geschlossen wird." Die Staatengemeinschaft dürfe "dieses Feld nicht Ewiggestrigen überlassen".

Neben einem wirkungsvollen Schutz der EU-Außengrenze sei dafür auch "eine klare Auslegung und Anwendung der Asylgesetze notwendig", so Sobotka. Die Schließung der Mittelmeerroute erfordere ein Bündel an Maßnahmen, vor allem eine Zusammenarbeit auf europäischer Ebene. "Wir müssen weiterhin die italienischen Behörden bei ihrer schwierigen Aufgabe bestmöglich unterstützen. Ich halte vor allem die italienische Unterstützung der libyschen Küstenwache für eine der Schlüsselaufgaben", sagte Sobotka.

Schwerpunktkontrollen in Tirol ab kommender Woche
Sobotka gab zudem am Sonntag bekannt, dass ab der kommenden Woche auf seine Anordnung hin in Tirol Schwerpunktkontrollen im grenznahen Bereich durch die Polizei und das Bundesheer durchgeführt werden. "In den vergangenen Tagen wurden vermehrt illegale Migranten in Güterzügen aufgegriffen. Die Schlepperrouten und die Formen der illegalen Migration haben sich in den letzten Wochen verlagert. Auf diese Entwicklungen müssen wir reagieren", begründete Sobotka diese Maßnahme.

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