"Ungerechtfertigt"

Türkei sinnt nach Jet-Abschuss durch Syrien auf Rache

Ausland
24.06.2012 11:19
Nach dem Abschuss einer türkischen Militärmaschine durch Syrien berät die Führung in Ankara über Konsequenzen. Man könne jetzt nicht zur Tagesordnung übergehen, sagte Präsident Abdullah Gül am Samstag. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan traf mit Spitzenmilitärs zu einer Krisensitzung zusammen und kündigte entschlossene Schritte an. Am Sonntag erklärte er dann, dass sich das Flugzeug beim Abschuss in internationalem Luftraum befunden habe - hierbei war man sich zuvor allerdings nicht so sicher gewesen.

Vorerst hatte die türkische Regierung nicht ausgeschlossen, dass der Jet vor dem Abschuss am Freitag möglicherweise versehentlich den syrischen Luftraum verletzt haben könnte. Am Sonntag hieß es dann sowohl in syrischen als auch türkischen Medien, das Wrack sei geortet worden - wo genau, ist allerdings unklar. Lediglich bei der Wassertiefe von "1.000 Metern" war man sich einig.

Türkeis Außenminister Ahmed Davutoglu erklärte, die F-4 Phantom habe sich auf einem Ausbildungsflug befunden und keinen Geheimauftrag im Zusammenhang mit den bürgerkriegsähnlichen Unruhen in Syrien gehabt. Die Maschine sei unbewaffnet gewesen und habe die Radar- und Verteidigungssysteme der Türkei testen sollen.

"Werden alles unternehmen"
Syrien hatte am Samstag den Abschuss der F-4 bestätigt, die allerdings in den Luftraum des Landes eingedrungen sei. Nach syrischer Darstellung wurde der Jet in niedriger Höhe in syrischem Hoheitsgebiert fliegend aufgespürt und zerstört. Der türkische Präsident hatte noch gemeint, es sei angesichts der hohen Geschwindigkeit von über dem Meer fliegenden Jets normal, wenn diese vorübergehend in fremden Luftraum eindrängen. Dies geschehe ohne "böse Absicht".

"Über einen derartigen Zwischenfall kann man nicht einfach hinweggehen", so Gül am Samstag. Was immer notwendig sei, werde unternommen. "Wir hegen keine feindlichen Absichten gegen die Türkei", versuchte ein Sprecher des Außenministeriums in Damaskus zu beruhigen. Dort wurde auch behauptet, man habe den Flieger nicht als türkischen erkannt, weil er nicht dementsprechend gekennzeichnet gewesen sei - Ankara widersprach vehement.

Nun Debatte über Ausrufung des NATO-Bündnisfalls?
Der türkische Professor für internationale Beziehungen, Ilter Buran, betonte, selbst bei einer Verletzung des Luftraums sei es normalerweise üblich, den Eindringling zu jagen oder zur Landung zu zwingen, statt ihn abzuschießen.

Der Politikwissenschaftler Hüseyin Bagci sagte, der Abschuss könne die Debatte über die Ausrufung des NATO-Bündnisfalls wiederbeleben. Nach dem Beschuss türkischen Bodens durch die syrische Armee im April, durch den mehrere Syrer und zwei Türken getötet wurden, hatte Ankara gewarnt, die Türkei könnte sich in einem solchen Fall auf Artikel 5 des NATO-Vertrags berufen. Dieser bezieht sich auf den Bündnisfall, bei dem ein Angriff auf einen NATO-Staat als Attacke auf das gesamte Bündnis angesehen wird und daher von allen Mitgliedern vergolten werden kann.

Die Türkei kündigte jedenfalls an, kommende Woche mit ihren NATO-Partnern über eine mögliche Reaktion beraten.

"Assad spielt mit dem Feuer"
"Assad spielt mit dem Feuer", titelte die türkische Zeitung "Hürriyet" am Samstag, die Zeitung "Vatan" kündigte an: "Sie werden den Preis bezahlen." Der stellvertretende türkische Regierungschef Bülent Arinc rief dennoch zur Zurückhaltung auf. Es handle sich zwar um einen "bedenklichen Zwischenfall", dieser müsse jedoch zunächst vollständig aufgeklärt werden. UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon hofft, dass "dieser ernste Vorfall von beiden Seiten mit Zurückhaltung auf diplomatischem Wege behandelt wird".

Schon mehr als 10.000 Tote in Syrien
Die Türkei gehört zu den schärfsten Kritikern des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad, seitdem dieser mit militärischer Gewalt gegen die Opposition in seinem Land vorgeht. Viele Syrer haben auf der Flucht vor den blutigen Auseinandersetzungen in der benachbarten Türkei Schutz gesucht. Die türkische Regierung plädierte für die Einrichtung von Schutzkorridoren in Syrien, um Flüchtlinge vor Übergriffen zu bewahren. Da dies aber den Einsatz von Soldaten erfordert hätte, nahm die türkische Regierung von solchen Überlegungen Abstand, solange der UNO-Sicherheitsrat kein Mandat dafür erteilt.

Seit Beginn des Volksaufstands gegen Assad im März 2011 sind nach UNO-Schätzungen mehr als 10.000 Menschen getötet worden. Mindestens 500.000 Menschen sind im eigenen Land auf der Flucht. Insgesamt soll sich die Zahl der Hilfsbedürftigen seit März auf 1,5 Millionen verdoppelt haben.

Saudis wollen Rebellen Sold zahlen
Unterdessen wurde bekannt, dass Saudi-Arabien den Rebellen der Freien Syrischen Armee Sold zahlen will. Das berichtete die britische Zeitung "The Guardian". Dadurch sollen Mitglieder des regulären Militärs dazu ermutigt werden, zu desertieren und sich der FSA anzuschließen. Die "Freie Syrische Armee" besteht überwiegend aus desertierten Soldaten und Offizieren, die sich dem seit März 2011 anhaltenden Aufstand der Opposition angeschlossen haben.

Assad ernennt per Dekret neue Regierung
Eineinhalb Monate nach der Parlamentswahl ernannte Assad derweil per Dekret eine neue Regierung, der ausschließlich loyale Genossen aus der Baath-Partei und alte Gefolgsleute angehören. Querdenker und Reformer finden am Kabinettstisch von Ministerpräsident Riyad Hijab keinen Platz.

Das Staatsfernsehen meldete am Samstag, Walid al-Moualem werde weiterhin Außenminister bleiben. Auch Verteidigungsminister Daoud Rajha und Innenminister Ibrahim al-Shaar bleiben im Amt. Der frühere Landwirtschaftsminister Hijab, der schon Anfang des Monats von Assad zum neuen Regierungschef bestimmt worden war, gilt ebenfalls als "Falke". Die Parlamentswahl Anfang Mai war von der Opposition boykottiert und angesichts der Gewalt als "Farce" bezeichnet worden und auch international auf Kritik gestoßen.

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