"Verkauft" an Fremde

Pakistan: Mädchen büßen für Taten der Familie

Ausland
15.11.2013 09:34
Geraten in Pakistan zwei Familien in einen erbitterten Streit, landet der Fall nicht zwangsläufig vor einem ordentlichen Gericht. In den Stammesgebieten löst oft ein Jahrhunderte alter Brauch den Konflikt - mit verheerenden Folgen für junge Mädchen.

Dass es ein wichtiges Treffen werden sollte, dürfte die siebenjährige Gul Meena geahnt haben, als sie zum Spielen vor das Haus der Eltern geschickt wurde. Im Nordwesten Pakistans ist es schließlich nichts Ungewöhnliches, wenn ein aus älteren Männern bestehender Stammesrat zusammenkommt, um einen Konflikt zwischen zwei Familien zu schlichten. Kinder sind da fehl am Platz.

Mädchen muss für Taten des Bruders büßen
Anlass war Gul Meenas Bruder, der mit einem Mädchen durchgebrannt war und nun bestraft werden sollte. Nachdem der Rat getagt hatte, eilten einige Männer jedoch auf das kleine Mädchen zu und nahmen es mit. Die verzweifelten Schreie und Hilferufe blieben unerwidert, sowohl vom Vater als auch von den Brüdern. Zurück blieben die Puppen, mit denen das Kind Minuten zuvor noch auf dem Feld gespielt hatte.

Gul Meena war das Opfer eines Stammesbrauchs geworden, bei dem Mädchen mit Männern rivalisierender Familien zwangsverheiratet werden, um einen Konflikt beizulegen. "Es ist schrecklich, aber so etwas gibt es noch immer", sagt die Aktivistin Samar Minallah, die für die Abschaffung des Jahrhunderte alten "Brauches" kämpft.

Mädchenhandel verboten - Verfolgung schwierig
Bereits im Jahr 2005 habe Pakistan Mädchenhandel per Gesetz als Straftatbestand festgeschrieben, berichtet der in Islamabad ansässige Anwalt Rizwan Khan der Nachrichtenagentur dpa. Dabei drohe den Beteiligten eine Gefängnisstrafe von bis zu zehn Jahren. Doch wirklich abgeschreckt scheinen die Täter nicht zu sein. So nahm die Polizei kürzlich im Nordwesten des Landes mehrere Personen im Zusammenhang mit dem Handel von fünf Frauen, darunter auch Minderjährigen, fest.

Die Handlungsmöglichkeiten der Polizei in den entlegenen Gebieten seien begrenzt, sagt der für das Swat-Tal zuständige Polizeichef des Bezirks, Sher Akbar Khan. Zusätzliche Probleme bei der Strafverfolgung entstünden auch dann, wenn politisch einflussreiche Personen beteiligt seien, gibt Aktivistin Minallah zu bedenken.

"Blutgeld" oder Töchter als Entschädigung
Seinen Ursprung hat der Brauch nach Darstellung von Menschenrechtsaktivisten in der islamischen Vorstellung, mittels des sogenannten Blutgeldes die Familie des Opfers im Fall von Mord oder anderer Verbrechen zu entschädigen.

Diejenigen, die weder Geld noch Land zur Verfügung hätten, würden eben ihre Töchter anbieten, sagt Minallah. Allerdings verbiete es der Islam, eine Person für das Verbrechen einer anderen zu bestrafen, sagt der Religionsgelehrte Mufti Muhammad Ashraf. "Der Islam sagt, dass derjenige, der ein Verbrechen begangen hat, auch bestraft werden sollte - und nicht seine Schwester oder seine Tochter."

"Mädchen, die sich weigern, werden womöglich getötet"
Offiziellen Zahlen zufolge hat sich der Oberste Gerichtshof seit 2005 mit 90 Vorfällen dieser Art befasst. Doch nach Meinung von Aktivisten mangelt es an Informationen. Zudem würden Fälle aus entlegenen Gebieten kaum Aufmerksamkeit bekommen, sodass die Mädchen ihren Familien ausgeliefert seien.

Laut Minallah müssten die Mädchen die Entscheidung der männlichen Familienmitglieder akzeptieren, weil sie keine andere Wahl hätten. "Die Mädchen werden gezwungen, mit den Männern der rivalisierenden Familie mitzugehen. Wenn sie sich weigern, werden sie womöglich getötet."

Strengere Strafen und härteres Vorgehen gefordert
In ihrem neuen Umfeld würden die Mädchen zumeist misshandelt, weiß Minallah, die Fälle aus ganz Pakistan gesammelt hat. Sheeren Javed von der Aurat-Stiftung, einer Frauen-Lobbygruppe, ist der Ansicht, dass sich die kulturellen Eigenheiten ändern müssten, um solche Praktiken abzuschaffen. "Gesetze und Polizei-Einsätze alleine werden das Problem nicht lösen. Wir müssen dahin kommen, dass solche Bräuche von der Gesellschaft in einem kollektiven Bewusstsein abgelehnt werden", sagt Javed.

Die Aktivistin Minallah plädiert dafür, bei der Umsetzung des Gesetzes gezielt die einflussreichen Anführer eines Stammes in den Blick zu nehmen, unter deren Protektorat solche Praktiken weiter stattfinden könnten.

Anwalt Khan findet die Strafen nicht hart genug, vor allem vor dem Hintergrund, dass das Leben eines Kindes durch solch eine Tat völlig zerstört werden könne. "Wenn man diesen Brauch wirklich abschaffen will, sollte die Strafe abschreckend sein."

Loading...
00:00 / 00:00
play_arrow
close
expand_more
Loading...
replay_10
skip_previous
play_arrow
skip_next
forward_10
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
explore
Neue "Stories" entdecken
Beta
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.

Kostenlose Spiele