Lokalaugenschein

Olympia: Rio-Wegweiser für den Besuch ohne Reue

Ausland
23.07.2016 09:17

Zwei Wochen vor Olympia: Wegweiser für den Besuch ohne Reue. Rio de Janeiro, spätnachts, Straßenkreuzung an der Rua Sá Ferreira gleich hinter der Copacabana. Die Ampel schaltet auf Rot. Der landeskundige Beifahrer ruft entsetzt: "Bist du verrückt. Hier bleibt um diese Zeit niemand bei Rot stehen!" - "Aber das Auto ist doch von innen verriegelt." - "Darum schert sich keine Kugel! Wir haben nichts zu verschenken."

Die Rua Sá Ferreira liegt unweit der Favela Cantagalo, die sich von oben herab immer näher an die Copa heranzüngelt. Sie war lange Zeit Herrschaftsgebiet und Kampfzone des Comando Vermelho. So rücken unten Diebstahl und Raub, besser gesagt: soziale Umverteilung, immer näher an die Copa oder an Ipanema heran. Die Ironie von Rio: Diese Ärmsten auf den Bergspitzen oben haben die beste Aussicht auf die Stadt von paradiesischer Schönheit.

Gewalt gegen Frauen ist Kavaliersdelikt
Für Ausländer heißt das Problem: nur nicht auffallen. Einheimische spielen! Also: keine Kettchen (werden vom Hals gerissen), keine sichtbaren Uhren, Handys, Fotoapparate (unfreiwillige Übergabe), keine teuren Schuhe (Buben klatschen Tintenpaste darauf und bieten sich dann gegen Lösegeld zur Reinigung an). Gewalt gegen Frauen ist ein Kavaliersdelikt.

Österreichs Generalkonsulat an der Copa gibt es nicht mehr. Auch nicht den legendären Generalkonsul Rudi Lenhart, der nicht nur einmal und höchst inoffiziell Österreicher aus den ärgsten Schlamassel herausgeholt hatte.

Die Cariocas, die Einheimischen, leugnen hartnäckig die Gefahr für Touristen in ihrer Cidade maravilhosa, der wunderbaren Stadt. Ausnahme: die Polizei. Polizisten begrüßen die Ankommenden am Flughafen mit einem Transparent "Welcome to Hell". Sie protestieren gegen ausbleibende Bezahlung. Olympia hat den Bundesstaat Rio de Janeiro in die Pleite getrieben, und allein in diesem Jahr sind schon 58 Polizisten im Kampf gegen die Drogenkriminalität gefallen.

Überhaupt erlebt Brasilien (größer als der australische Kontinent und mit schon 200 Millionen Einwohnern) derzeit einen Absturz sondergleichen: ärgste Wirtschaftskrise seit hundert Jahren und die Präsidentin abgesetzt.

Viel bewundert wird die Rassentoleranz in Brasilien. Bei einer Volksbefragung gaben die Menschen auf die Frage nach ihrer Hautfarbe 102 Bezeichnungen an. Am häufigsten: "Milchkaffee". Stattdessen ist jedoch die soziale Apartheid viel ärger. Je höher hinauf, desto weißer die Hautfarbe.

Brasilien ist ein veruntreutes Paradies
Dieser Gesellschaft wachsen so gut wie alle Probleme über den Kopf. Brasilien ist ein veruntreutes Paradies. Der österreichische Weltkriegs-Exilant Stefan Zweig nannte Brasilien das "Land der Zukunft". "... und wird es immer bleiben", ergänzen sarkastisch einheimische Publizisten. Zweig wird in Brasilien hoch verehrt. In dem Widerstreit der Gefühle zwischen der bukolischen Schönheit seines Gastlandes und dem Elend seiner Heimat war er verzweifelt und beging 1942 Selbstmord.

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