Evakuierung stockt

Nebuloser Assad-Deal: Rebellen geben Aleppo auf

Ausland
14.12.2016 07:44

Die syrischen Regierungstruppen haben laut russischen Angaben nach erbittertem Kampf am Dienstag die vollständige Kontrolle über Aleppo übernommen. Die Gefechte im Osten der Metropole seien beendet, nun beginne die humanitäre Versorgung der Menschen, sagte der russische UN-Botschafter Witali Tschurkin in New York. Die Rebellen hatten sich zuvor mit dem Regime von Präsident Bashar al-Assad auf einen Abzug der Kämpfer und Zivilisten geeinigt. Dieser könnte ein Wendepunkt in dem jahrelangen Konflikt sein.

"Jeder" werde Ost-Aleppo noch in der Nacht auf Mittwoch verlassen, teilte ein Sprecher von Ahrar al-Sham, einer der wichtigsten Rebellengruppen, am Dienstagnachmittag mit. Das hätte bedeutet, dass alle rund 100.000 Zivilisten, bewaffnete Aufständische und deren Familien, die bislang noch in Ost-Aleppo festsitzen, innerhalb weniger Stunden aus der Stadt gebracht werden hätten sollen.

Geplante Massenevakuierung verzögert sich
Die Evakuierungsaktion geriet allerdings ins Stocken, noch bevor sie richtig angelaufen war: Prosyrische Milizen verhinderten laut Angaben von Rebellen, dass die Menschen aus den bis zuletzt von der Opposition gehaltenen Gebieten abziehen konnten. Die oppositionsnahe Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte teilte Mittwochfrüh mit, bisher hätten kein Kämpfer und kein Zivilist Ost-Aleppo verlassen. Die Evakuierung verzögere sich, der Grund dafür sei unbekannt.

Aus syrischen Regierungskreisen hieß es, die Rebellen sollten die Stadt in Richtung der von oppositionellen Milizen kontrollierten Provinz Idlib verlassen. Ein Vertreter des syrischen Militärs bestätigte, dass für Aleppo eine Feuerpause vereinbart worden war. Die Rebellen würden ab Mittwoch 4 Uhr MEZ das von ihnen zuletzt noch gehaltene Gebiet im Osten der Großstadt räumen, sagte der Insider. "Das ist also fast das Ende", erklärte der russische UN-Botschafter Tschurkin der Agentur Tass zufolge.

Türkei will Zeltstadt für 80.000 Aleppo-Flüchtlinge bauen
Doch was geschieht mit den bis zuletzt in Ost-Aleppo verbliebenen Zivilisten, die nun laut dem Deal Assads mit den Rebellen die Stadt verlassen sollen? Einige der rund 100.000 Betroffenen werden wohl im Bürgerkriegsland bleiben, für zahlreiche andere will das Nachbarland Türkei eine riesige Zeltstadt aufbauen. Bis zu 80.000 Aleppo-Flüchtlinge sollen dort unterkommen, kündigte der stellvertretende türkische Ministerpräsident Mehmet Simsek am Dienstagabend an, allerdings ohne Details zu nennen. Schon jetzt beherbergt die Türkei rund 2,7 Millionen Flüchtlinge aus Syrien.

Aleppo hat sich zu einem der Symbole des mittlerweile mehr als fünf Jahre andauernden syrischen Bürgerkriegs entwickelt. Fast seit Beginn der Kämpfe war die Stadt geteilt: Das Regime kontrollierte die westlichen Stadtviertel, Rebellen den Osten. Aleppo ist die größte Stadt im Norden Syriens und war vor dem Krieg eine wichtige Handelsmetropole. Zudem kommt ihr eine wichtige strategische Bedeutung zu.

Mit dem endgültigen Sieg über die Rebellen in Ost-Aleppo würde der Spielraum der syrischen Armee und ihrer Verbündeten enorm wachsen. Ein entscheidendes Schlachtfeld fällt weg, die Armee kann sich dann auf die anderen Fronten im Land konzentrieren - der Kampf um Aleppo hat viele Kräfte gebunden. Zudem kontrolliert das Regime nach dem Abzug der Rebellen wieder eine wichtige Achse von Nordsyrien Richtung Süden bis in die Hauptstadt Damaskus.

Symbolische Bedeutung für Assad
Mit der vollständigen Rückeroberung Aleppos hätte Machthaber Assad wieder alle wichtigen Großstädte im Land unter Kontrolle. Angefangen von Aleppo im Norden über Homs bis Damaskus würde die Armee dann wieder jene Gebiete Syriens kontrollieren, in denen die meisten Menschen leben. Die komplette Einnahme einer Metropole, die fast fünf Jahre lang heftig umkämpft war, wäre eine Demonstration der Macht Assads - trotz der Hilfe durch Syriens Verbündete.

Die Front zwischen Ost- und West-Aleppo war lange Zeit fast statisch. Erst mit dem Eingreifen Moskaus und der Luftunterstützung durch die russische Armee verschoben sich die Frontverläufe innerhalb der Stadtgrenzen. Wie verwundbar die Armee von Assad ohne die Unterstützung seiner Verbündeten Russland und der schiitischen Hisbollah ist, hat erst vor wenigen Tagen der überraschende Einmarsch der Terrormiliz Islamischer Staat in der zuvor von Regierungstruppen beherrschten antiken Stadt Palmyra in Zentralsyrien gezeigt.

Nun baldiges Ende des Bürgerkriegs?
Ziehen die Rebellen nun tatsächlich aus Aleppo ab, wäre der Sieg über die Aufständischen in der Stadt sicherlich ein Wendepunkt im Syrien-Krieg. Dessen Ende bedeutet das aber noch lange nicht: Der IS kontrolliert weiter größere Abschnitte in Zentral- und Ostsyrien, verschiedene Rebellengruppen halten Gebiete in ländlicheren Regionen. Unter diesen Gruppen - von moderaten bis zu islamistischen - könnten sich jetzt neue Bündnisse ergeben. Zudem könnten einzelne Gruppen dazu übergehen, gezielt Anschläge zu verüben. Zu viele unterschiedliche Interessen und Gruppen spielen in Syrien mittlerweile eine Rolle, als dass das Ende einer Schlacht auch das Ende des Krieges bedeuten würde.

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