"Krone" vor Ort

Libanon: Hinter den Bergen tobt der Krieg

Ausland
12.12.2016 06:10

Im sechsten Jahr des Bürgerkriegs sind in Syrien mittlerweile insgesamt 470.000 Tote zu beklagen. Fünf Millionen sind außer Landes geflohen. Nun hat die Krise jede Ecke im angrenzenden Libanon erreicht - das Land wird von Flüchtlingen überrollt ...

Noch ist Beirut pulsierende Zwei-Millionen-Metropole am Mittelmeer. Doch schon tauchen immer mehr Bettler zwischen den blitzenden Hochhäusern und Nobelkarossen der ebenso geschickten wie reichen libanesischen Geschäftsleute auf: verzweifelte Flüchtlinge, die der syrischen Bürgerkriegshölle entkommen oder vor IS-Killern geflohen sind. Straßenkinder wie Zohra (12) aus Damaskus betteln beim Touristentreff am Taubenfelsen.

Selbst der Caritas-Präsident des Zedernstaates, Paul Karam, warnt unverblümt davor, dass die syrische Krise bald jede Ecke im Land erreicht haben wird. "Vor allem die Spannungen auf dem Arbeitsmarkt werden immer schlimmer", so der Geistliche. Gleichzeitig macht er keinen Hehl aus seinem Ärger, "dass Saudi-Arabiens König 100 Arbeiter aufgenommen hat und der EU Gratismoscheen verspricht". Denn mittlerweile ist der libanesische Ministaat, etwas kleiner als Tirol und mit 4,5 Millionen Einwohnern, zum "Weltmeisterland der Gastfreundschaft" im Nahen Osten geworden.

Schon mehr syrische als libanesische Geburten
Mehr als 1,8 Millionen Syrer hat die Flüchtlingswelle ins Land gespült. Und: Es werden hier schon mehr syrische als einheimische Kinder geboren! Zu horrenden Preisen darben nun bis zu zehnköpfige Familien - zu 75 Prozent alleinstehende Frauen mit ihren Kindern - in Garagen, Rohbauten, Verschlägen, Kellerlöchern. Oder sie frieren nächtens wie jene Hunderttausende Syrer, die jetzt im Winter auf der auf 800 Metern gelegenen Bekaa-Hochebene in 25 traurigen Zeltlagern dahinvegetieren.

"Die einstige Kornkammer der Römer, das blühende Agrargebiet vergangener Jahrhunderte, ist nun das Armenhaus des Libanon", bringt Caritas-Nahostexperte Stefan Maier das Problem auf den Punkt. Er begleitet den oberösterreichischen Integrationslandesrat Rudi Anschober (Grüne) bei der Fact-Finding-Mission am Fuße des Anti-Libanon. Knapp zehn Kilometer von der Grenze entfernt, wo hinter den Bergen der Krieg liegt ...

Allein das Schicksal der 40-jährigen Fatima und ihrer acht Kinder spiegelt die Ausweglosigkeit vieler Kriegsflüchtlinge wider. Nachdem bei Bombenangriffen Haus und Hof in Syrien in Schutt und Asche gelegt wurden, wagte sie die Flucht - allein mit den Kindern, denn ihr Ehemann interessierte sich plötzlich nur noch für seine Zweitfrau und tauchte mit dieser im Bürgerkriegsgewirr unter.

350.000 Kinder besuchen keine Schule
Ihr nunmehriges Familienzelt bei Zahlé ist ein desolater Verschlag aus zusammengenagelten Planen. Es zieht ständig. Morast, Lehm und Dreck sind allgegenwärtig. "Dennoch muss ich 100 Euro fürs Zelt, 100 fürs Wasser und 30 für den Strom bezahlen", klagt die verhärmte Frau. Fragt man Fatima, wovon sie träumt, so schwärmt sie von Europa: "Dort wird einem alles geschenkt." Dass sie dann Kanada als schönstes EU-Land anführt, zeigt das Kernproblem der Situation auf: das Bildungsmanko vieler Migranten.

Auch wenn derzeit 216.000 syrische und 203.000 libanesische Kinder Schulen besuchen, so bleiben 350.000 syrische Mädchen und Buben den Klassenzimmern fern. Entweder weil es niemanden interessiert oder weil der Transport zur Schule zu teuer ist.

Kollabiert der Libanon, hat die EU ein Problem
"Hier tickt eine riesige Zeitbombe", so das Resümee Anschobers. Weil eines klar ist: Diese Generation der Flüchtlingskinder muss den Wiederaufbau im eigenen Land anpacken. Die Zukunft von Millionen Menschen in der Region und auch die Zukunft Europas ist somit eng mit dieser Bildungs- und Ausbildungsfrage verknüpft.

"Wenn der Libanon kollabiert, erwächst auch Europa ein Riesenproblem", so der Grüne weiter. Deshalb bedürfe es einer historischen Kraftanstrengung, um dem Elend entgegenzuwirken. "Wir haben eine Riesenmitverantwortung! Sonst wächst hier eine 'Lost Generation' heran." Hunderttausende Ungebildete sind genau das menschliche Reservoir, aus dem Hassprediger die IS-Terroristen der Zukunft für den Krieg gegen Europa rekrutieren.

DATEN UND FAKTEN:
Die Libanon-Reise der Grünen
Integrationslandesrat Anschober besuchte mit seiner Tiroler Amtskollegin Christine Baur sowie Salzburgs Martina Berthold den Zedernstaat, um vorherrschende Probleme und die benötigte Hilfe vor Ort auszuloten. Dabei wurden Projekte der Caritas, des Roten Kreuzes, der EU, des UNHCR, von UNICEF sowie vom SOS-Kinderdorf visitiert. Gleichzeitig fanden Treffen mit Botschafter Marian Wrba und Militär-Attaché Oberst Heinz Assmann statt.

Christoph Matzl, Kronen Zeitung

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