Das große Interview

Haben wir Trump unterschätzt, Herr Diekmann?

Ausland
08.04.2017 16:55

Das erste Interview mit Donald Trump war sein großer Coup und zugleich sein Abschiedsgeschenk: Kai Diekmann, langjähriger Chefredakteur und Herausgeber der deutschen "Bild"-Zeitung, spricht mit Conny Bischofberger über Sound, Code und die Launen des US-Präsidenten, der am Freitag exakt 77 Tage im Amt war.

Über dem Traunsee geht gerade die Sonne unter, als Kai Diekmann, in Jeans, hellblauem Hemd und dunkelblauem Sakko, am Bootssteg des gleichnamigen Seehotels erscheint. Mit seinem iPhone schießt er mehr Fotos als der "Krone"-Fotograf, anschließend teilt er die Österreich-Werbung mit seinen 161.000 Followern auf Twitter.

"Die Stimmung erinnert mich an Potsdam", sagt Diekmann und erkundigt sich, welche Fische im Traunsee schwimmen (Reinanken und Riedlinge). Mit der Autorin Katja Kessler, die zuletzt das Buch "Silicon Wahnsinn: Wie ich mal mit Schatzi nach Kalifornien auswanderte" schrieb, bewohnt der ehemalige "Bild"-Chef im Südwesten Berlins eine Villa am Jungfernsee. Der 52-Jährige ist zum Symposium der "Academia Superior" nach Österreich gekommen, als Key-Note-Speaker zum Thema "Alles außer Kontrolle?"

"Wie ein Fisch im Wasser" fühlt er sich hier, die Deutschen und die Österreicher trenne schließlich nur die gemeinsame Sprache, lacht er. Diekmanns Lieblings-Ösi-Sprüche: "Das geht sich aus!" Und: "Paasst scho!"

"Krone": Herr Diekmann, verraten Sie uns, wie Sie es als erster - und bislang einziger - deutschsprachiger Journalist geschafft haben, Donald Trump für ein Interview zu gewinnen?
Kai Diekmann: Man muss sich bemühen. Egal ob es um Donald Trump, den Papst oder Wladimir Putin geht: Journalisten erschließen sich Zugang über alle möglichen Kanäle. Ich habe mich schon vor über einem Jahr für Donald Trump interessiert und damals schon die ersten Kontaktpersonen angeschrieben. Ivanka Trump schrieb mir dann, dass während des Wahlkampfs kein Interview möglich sei. Am 9. November 2016 war ich in New York - aber eher zufällig. Ich hatte, wie viele andere, nicht mit seinem Wahlsieg gerechnet. Nachdem er Präsident wurde, unternahm ich einen weiteren Versuch. Und da ich im Board der "London Times" bin, lag es nahe zu sagen: Machen wir eine Koproduktion. Die "London Times" für den englischsprachigen Raum und "Bild" für den Kontinent, das bedeutet für Trump: Maximale Abdeckung! Dieser Vorschlag ist angenommen worden.

Haben Sie auf diese Weise auch Putin geködert?
Bei Putin habe ich den ehemaligen deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder gebeten, ein gutes Wort für uns einzulegen. Als Journalist stellst du dir die Frage: Wer könnte ein Interesse am Interview haben und wer könnte das Anliegen befördern? Dann man muss hartnäckig bleiben. Immer nach den Sternen greifen! Häufig ist es vergebens, aber irgendwann hat man dann Glück. An meinem ersten und einzigen Interview mit George W. Bush habe ich fast sechs Jahre gearbeitet.

"Verstörend ehrlich, verstörend anders" - so hat "Bild" damals Ihr Interview mit Trump beworben. Was war Ihr Eindruck vom amerikanischen Präsidenten, und hat sich dieser Eindruck nach drei Monaten Amtszeit bestätigt?
In den USA werden Interviews gedruckt, wie sie gegeben werden. Das ist für uns sehr ungewöhnlich. Diese Tatsache haben wir genutzt und haben den Präsidenten, der ja ein unbeschriebenes Blatt war, so getreu im Wortlaut dokumentiert wie irgendwie möglich - auch Stellen, die nicht glatt oder stimmig waren. So bekamen die Leser einen Einblick in seine Art zu denken. Diese Ausführlichkeit gab dem Interview diesen besonderen Sound. Dazu kommt noch, dass Trump eben kein Politiker ist und deshalb den Code der Politikersprache nicht drauf hat. Er denkt und spricht wie ein Unternehmer. Die NATO beispielsweise hat der obsolet genannt, was verstörend ehrlich war. Da gab es über Wochen einen Aufschrei.

Zu Recht?
Nein. Denn was Trump sagt, ist ja bei genauerer Betrachtung nicht nur unwahr. Der Warschauer Pakt hat sich 1991 aufgelöst, in der NATO ist nichts passiert, die ist bis heute bestehen geblieben in ihren Strukturen. Trump hat auch gesagt, dass er mit dem Austritt weiterer Mitgliedsstaaten aus der EU rechnet. Auch hier gab es einen Aufschrei. Aber Tatsache ist: Wenn Marine Le Pen die Wahl in Frankreich gewinnt, dann gibt es ein Referendum, und dann ist möglicherweise nicht nur ein Austritt von Frankreich zu befürchten, sondern überhaupt das Ende der EU. Trump spricht Dinge aus, die Politiker normalerweise nur hinter vorgehaltener Hand in der Politik aussprechen, und das macht ihn so verstörend.

Ist er ein Glückfall für einen Journalisten?
Ganz ehrlich: Ja. Ich dachte immer, die Interviews mit Waldimir Putin sind ungewöhnlich, aber das Interview mit Donald Trump hat es bei Weitem übertroffen. Mir war in der Sekunde klar, dass es Schlagzeilen machen wird. Es ist im Übrigen das meistzitierte Interview in der Geschichte von "Bild". Nun sagen Politiker ja oft irgendetwas Brisantes, aber anschließend wollen sie es aus dem Interview herausstreichen. Bei Trump war klar: Er wird das nicht tun.

Mauer zu Mexiko, Einreiseverbot für Muslime und zuletzt der Raketenangriff auf Syrien: Haben wir Trump unterschätzt?
Zunächst bin ich davon ausgegangen, auf jemanden zu treffen, der gegenüber Journalisten aggressiv ist. Ich hatte einen nervösen, schlecht gelaunten Donald Trump erwartet - am Tag unseres Gesprächs lagen gerade die Vorwürfe auf dem Tisch, er sei durch Russland erpressbar. Das Gegenteil war der Fall. Ich traf einen völlig tief entspannten Donald Trump. Da war auch kein Stab dabei, und er hat sich alle Zeit der Welt genommen. Und ich denke, Trump hat bereits gelernt. Für diese Aussage bin ich kritisiert worden. Ich finde tatsächlich, dass man eine Lernkurve erkennen kann. Bei vielen Positionen in der Außenpolitik hat das State Department in weiten Teilen die Regie übernommen. Trump äußert sich heute viel differenzierter - zu China, zu Russland und den Sanktionen etwa. Auch seine Äußerungen zur EU klingen heute anders. Trotzdem macht er etwas, was für Politiker eher ungewöhnlich ist: Er nimmt das, was er während des Wahlkampfs versprochen hat, auch in Angriff. Auch bei "Obamacare" hat er mittlerweile gelernt. Entscheidend wird sein, ob es ihm gelingt, seine Reformen in der Steuerpolitik umzusetzen.

Welche Frage würden Sie ihm gerne noch mal stellen?
Sein Eindruck von Angela Merkel nach dem gemeinsamen Treffen würde mich brennend interessieren. Ich glaube, dass das eine vielschichtigere Begegnung war, als sie in den Medien rübergekommen ist.

Aber Trump hat Merkel den Handschlag verweigert.
Mitunter wird in solche Gesten zu viel hineininterpretiert. Ich halte nicht für ausgeschlossen, dass das unabsichtlich gewesen ist.

Video: Trump verweigert Merkel den Handschlag

Könnte es sein, dass Sie ein Trump-Fan sind?
Ich bin überhaupt gar kein Fan. Ich bin auch kein Trump-Versteher. Ich finde nur, wir müssen uns einen differenzierten Blick leisten. Es nützt nichts zu sagen: Trump ist ein dummer Kerl, er liest zu wenig Akten und Bücher. Er ist Präsident und wir sind mit unseren Vorhersagen furchtbar danebengelegen. Auch was den Brexit angeht. Und wenn Sie mich heute fragen, ob Marine Le Pen die Wahl in Frankreich gewinnt, dann sage ich: Nach menschlichem Ermessen nicht. Aber nach menschlichem Ermessen bin ich bei der US-Wahl auch dramatisch danebengelegen. Wir Journalisten sind in einer großen Glaubwürdigkeitskrise, also stünde es uns gut an, einen etwas differenzierteren Blick auf das Geschehen zu werfen.

Wird Trump die Legislaturperiode schaffen?
Ich bin fest davon überzeugt, dass Donald Trump alles tun wird, diese vier Jahre durchzuhalten. Er hat ein ganz gutes und spannendes Team um sich versammelt, wie ich finde. Und er hat sich im Übrigen auch nicht ins Amt geputscht, sondern er ist ins Amt gewählt worden.

War das Ihr letzter Coup für Bild" - oder kommt da noch was?
Das war die Abschlussarbeit, das Abschiedsgeschenk. Es wird aber weitere journalistische Projekte für "Bild" geben.

In Deutschland ist gerade der Wahlkampf angelaufen. "Mister Hundert Prozent" Martin Schulz gegen Kanzlerin Angela Merkel. Wie lautet Ihre Prognose?
Bei den vergangenen Wahlen ging es für die Sozialdemokraten ja immer nur um die Frage: Wer muss als nächstes gegen Angela Merkel verlieren? Und jetzt ist hier plötzlich jemand, der die Sozialdemokraten elektrisiert, der SPD möglicherweise den Glauben zurückgibt, weil er eben auch ein guter Wahlkämpfer ist. Also eins muss man Martin Schulz zugestehen: Er ist eine richtig gute Rampensau. Meine Prognose: Wir werden einen spannenden Wahlkampf sehen, einen Wahlkampf, in dem sich tatsächlich wieder Alternativen zur großen Koalition auftun, die ja der Demokratie nicht nur guttut. Aber Sie kennen bestimmt den Spruch von Henry Kissinger: "Welche Nummer wähle ich, wenn ich Europa anrufen will?" Es ist die Nummer des Berliner Kanzleramtes. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir auf Merkels Führungsqualitäten, auf ihre Erfahrung verzichten können. Die Art und Weise, wie sie Krisen gemeistert hat, hat sie übermächtig gemacht.

Wie sehr hat die doch liberale Flüchtlingspolitik Merkel geschadet?
Die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel hat in Teilen der Union zu einer Ernüchterung, um nicht zu sagen zu einer Enttäuschung geführt. Von der Kanzlerin eine Symbolpolitik zu verlangen - wie es die CSU ja getan hat - mit dieser imaginären Obergrenze war einfach unsinnig und falsch. Das hat zum Eindruck geführt, dass die Union tief zerstritten ist und sich nicht mehr hinter Angela Merkel sammelt. Insofern ist der Sieg im Saarland für die Union auch ein ganz besonderer Sieg für Angela Merkel selbst gewesen.

Verfolgen Sie auch die österreichische Politik?
Natürlich! Wahrscheinlich setze ich mich jetzt in alle Nesseln, aber ich bin großer Fan von Sebastian Kurz. Ich finde es superspannend, was hier in Österreich gerade passiert. Die Sozialdemokraten, die sich eingerichtet hatten auf eine Auseinandersetzung mit der FPÖ. Heinz-Christian Strache, der sich umgekehrt auf die Sozialdemokraten gefreut hat. Und auf einmal ist da ein überzeugender, glaubwürdiger Konservativer. Mit seiner Entscheidung vor einem Jahr, die Grenzen dichtzumachen, mit dem Dominoeffekt auf der Balkanroute, hat Kurz einen unglaublich relevanten Beitrag zur Lösung der Flüchtlingskrise geleistet. Ich finde ihn unheimlich gewinnend, charmant, überzeugend, klug. Man weiß gar nicht, ob man ihm wünschen möchte, dass er jetzt schon an die Spitze kommt. Oder ob man ihm nicht sagen sollte: Du bist noch so jung, du hast noch so viel Zeit! Geh noch mal vier Jahre raus und mach was völlig anderes! Sebastian Kurz hat auch in Deutschland viele, viele Fans.

Herr Diekmann, seit ihrem Abgang Ende 2016 rätselt die Branche, wo Sie in Zukunft tätig sein werden. Verraten Sie es?
Nein, die Branche wird weiter rätseln müssen. Aber keine Sorge, ich habe genug zu tun. Ich bin im Board von "Hürryiet", der größten türkischen Zeitung, und im Board der "London Times". Das sind Mandate, die mir viel Spaß machen. Darüber hinaus mache ich auch noch das eine oder andere journalistische Projekt.

Apropos Türkei: Wird Erdogan das Referendum für sich entscheiden können?
Schwierig vorherzusagen. Bis zu der Auseinandersetzung mit Berlin und mit Holland fehlte ihm das emotionale Momentum für seine Kampagne. Aber die Bilder von dem Hundeeinsatz in Holland haben zu einer Zwangssolidarisierung geführt, und jetzt setzt sich etwas fort, was ich seit vielen Jahren zutiefst betrübt beobachte: Dass wir mit unserer Ablehnung der Türkei ganz viel zu dem Erfolg, den Erdogan in der Türkei hat, beitragen.

Sie waren viele Jahre Chefredakteur und Herausgeber der größten deutschen Tageszeitung "Bild". Ihre persönliche Bilanz?
Ich denke, dass wir die Marke "Bild" immer wieder neu erfunden, für neue Zielgruppen geöffnet und interessant gemacht haben. Wir haben in dieser Zeit auch unser Themenspektrum ganz erheblich erweitert. Es ist uns gelungen, ein ernsthaftes Feuilleton zu schaffen, für eine Boulevardzeitung eher untypisch. Wir haben unseren Mitbewerbern "Stern" und "Spiegel" auch das Agenda Setting abgenommen. Indem wir Politiker, Regierungschefs, Präsidenten davon überzeugen konnten, dass "Bild" das richtige Forum ist, wenn man richtig viele Menschen erreichen will. "Bild" ist ein Leitmedium geworden.

Wird Print überleben?
Lassen Sie es mich so beantworten: Die Leute haben auch heute noch Pferde, aber sie reiten darauf nicht mehr ins Büro. Ich höre auch immer: Es gibt eine Renaissance der Vinylschallplatte. Ja, im ganz kleinen Segment! Entscheidend ist doch die Frage: Wollen wir Papier verkaufen oder Geschichten? Das Trägermedium ändert sich. Das muss man verstehen, mit all seinen gesellschaftlichen und politischen Konsequenzen. Digitalisierung ist Entmaterialisierung, das heißt, die physische Substanz wird in Bits und Bytes aufgelöst. Das gilt für die Schallplatte, das gilt für die CD, das gilt für die Videokassette und es gilt eben auch für die Zeitung. Die Frage, die sich uns in Zukunft stellt: Wird es uns gelingen, unseren Journalismus so monetarisieren zu können, wie wir das auf Papier jahrzehntelang konnten? Das ist die große Herausforderung, darauf gibt es noch keine Antwort. Für die allermeisten Zeitungen muss man ganz brutal sagen: Das, was sie an Auflage und Werbung verlieren, können sie auf der digitalen Seite nicht kompensieren.

Als kleiner Junge in Bielefeld: Haben Sie sich Ihr Leben eigentlich so vorgestellt oder von etwas ganz anderem geträumt?
Ich wollte immer Tierarzt werden. Privat habe ich mir diesen Traum in gewisser Weise erfüllt. Meine Frau und unsere vier Kinder haben jede Menge Geraffel zu Hause. Katzen, Hühner, Ziegen, zigtausend Bienen. Beruflich hatte ich aber nur mehr mit hohen Tieren zu tun (lacht).

Seine Karriere
Geboren am 27. Juni 1964 in Ravensburg, aufgewachsen in Bielefeld. Das Studium bricht er ab und beginnt 1985 seine Karriere beim Axel-Springer-Verlag. 1998 wird er Chefredakteur von "Welt am Sonntag", 2001 Chefredakteur von "Bild", 2004 auch Herausgeber - bis Ende 2016. Im Silicon Valley forschte Diekmann nach Potenzialen für digitales Wachstum bei Medien. Er war der erste deutschsprachige Journalist, der US-Präsident Donald Trump interviewte.

Conny Bischofberger, Kronen Zeitung

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