"Nichts gewusst"

Goebbels-Sekretärin mit 106 Jahren gestorben

Ausland
30.01.2017 14:08

Nichts gewusst, gehört, gesagt: Die frühere Sekretärin des NS-Propagandaministers Joseph Goebbels ist tot. Brunhilde Pomsel sei im Alter von 106 Jahren in der Nacht auf Samstag in München gestorben, bestätigte am Montag der österreichische Filmemacher Christian Krönes von der Produktionsfirma blackbox, der den Dokumentarfilm "Ein deutsches Leben" über die Erinnerungen Pomsels produziert hat.

Pomsel wurde am 11. Jänner 1911 geboren. Sie wuchs in Berlin auf, ihre Eltern erzogen sie im damaligen Zeitgeist - streng, "preußisches Pflichtbewusstsein, ein bisschen auch dieses Sich-Unterordnen". Nach der Schule arbeitete sie bei einem jüdischen Rechtsanwalt, dann beim Rundfunk und ab 1942 im Propagandaministerium. Ab 1942 war sie Sekretärin in Goebbels' NS-Propagandaministerium in Berlin.

Sie arbeitete einem Mann aus dem Innersten des Terrorregimes zu, der als einer der schrecklichsten Demagogen in die Geschichte einging und mit Adolf Hitler, Heinrich Himmler und Co. schlimmste Machtfantasien grausame Realität werden ließ. Pomsel behelligte das nicht, sie habe davon nichts mitbekommen, erklärte sie stets. Erst nach dem Krieg sei ihr das Ausmaß der Schrecken klar geworden.

Das Vermächtnis der betagten Dame: Der Dokumentarfilm "Ein deutsches Leben", in dem Pomsel dem Wiener Produzenten Christian Krönes und drei anderen Regisseuren fast zwei Stunden lang aus ihrem Leben erzählt und der am 7. April ins Kino kommen soll. Während des Drehs war sie bereits 103 Jahre alt. Sie wirkt zerbrechlich, das Gesicht ist von Falten zerfurcht. Doch ihr Verstand ist hellwach.

Da mutet es eigenartig an, dass sie vor mehr als 70 Jahren so wenig mitbekommen haben will: Wie Juden gedemütigt wurden und verschwanden, darunter ihre Freundin Eva Löwenthal. Die Pogromnacht von 1938, die alltäglichen Grausamkeiten und vor allem die Propaganda, mit der die Nazis die arische Herrenrasse beschworen und Juden, Sinti, Roma und Andersdenkende als minderwertig brandmarkten.

"Wir haben nichts davon gewusst"
Doch Pomsel blieb dabei: "Das schwöre ich Ihnen, wir haben nichts davon gewusst", bekräftigte sie anlässlich der Doku-Premiere im Sommer 2016 auf dem Filmfest München im Interview der Deutschen Presse-Agentur. Sie sei höchstens zwei Mal in das Büro von Goebbels gerufen worden. "Wenn da gerade eine Besprechung war und jemand gesagt hat, das muss festgehalten werden, dann ging die Tür auf und eine von uns ging rein und hat irgendetwas mitgeschrieben und ging wieder raus. Das war alles."

"Gehorchen und ein bisschen schwindeln dabei oder lügen und die Schuld auf jemand anders schieben", so sei sie als Kind in Berlin erzogen worden, sagt sie im Film. "Preußisches Pflichtbewusstsein, ein bisschen auch dieses Sich-Unterordnen." Die Folge: "Wenn ich an einem Platz stand, dann hatte ich ihn auszufüllen."

Diese Einstellung zahlte sich aus, in barer Münze, schon bei ihrer vorherigen Stellung beim Rundfunk. Während Juden nach und nach alle Habseligkeiten verloren, freute sich die junge Frau mit dem Spitznamen "Pomseline" über ein üppiges Gehalt, ließ sich schöne Kleider maßschneidern, traf Freundinnen und war glücklich über die "nett angezogenen, freundlichen Menschen" im Büro. "Das habe ich schon sehr genossen." Politik? "Bin ja auch 'ne Frau, muss ja nicht."

"Wenn sie den Mund gehalten hätten, dann lebten sie heute noch"
Als Konzentrationslager für unliebsame Zeitgenossen errichtet wurden, bekam Pomsel das mit, aber: "Man wollte sie ja auch nicht gleich ins Gefängnis tun, die kamen in ein KZ zur Umerziehung, keiner hat sich Gedanken darüber gemacht." Offene Kritik? "Das war nicht möglich, oder man musste sein Leben dafür einsetzen." So wie die Mitglieder der "Weißen Rose". "Es war jedoch dumm von ihnen, dass sie solche Dinge taten. Wenn sie den Mund gehalten hätten, dann lebten sie heute noch", ist sich Pomsel sicher und bedauert das grausame Urteil gegen die Studenten, die Flugblätter gegen das Naziregime verteilt hatten und deshalb hingerichtet wurden, "wegen eines scheiß Papiers".

Dass die Nazis furchterregend waren, musste aber auch der Sekretärin gedämmert haben, spätestens als sie Goebbels 1943 in Berlin bei der Rede im Sportpalast erlebte, wo er die Masse aufpeitschte mit der Frage "Wollt ihr den totalen Krieg?". Ein Saal voller rasender, hysterischer Menschen, die nach Einschätzung Pomsels "behext" waren von diesem "tobenden Zwerg". "Es war ein Naturereignis, die ganze Menge konnte nichts dafür und er selber wahrscheinlich auch nicht."

Schuldfrage: "Das sind wir alle gewiss gewesen, auch ich"
Da ist wieder das Gefühl, unschuldig verführt worden zu sein. Als sie nach den Nürnberger Prozessen fünf Jahre lang in sowjet-russische Gefangenschaft kam, empfand sie dies als zutiefst ungerecht, "weil ich ja nichts getan hatte, als bei Herrn Goebbels getippt und was dahinter steckte, wusste ich ja alles gar nicht, jedenfalls nur wenig". Schuldig sei sie nur, wenn man dem ganzen deutschen Volk vorwerfe, Hitler zur Macht verholfen zu haben. "Das sind wir alle gewiss gewesen, auch ich."

Wie lebte es sich mit den Erinnerungen und mit dem Wissen, welche Gräuel Goebbels, Hitler, Göring und Konsorten angerichtet haben? "Wenn man durch so eine Zeit gegangen ist, (...) und letzten Endes doch nur an sich gedacht hat, da habe ich manchmal ein schlechtes Gewissen." Die Erinnerungen seien täglich präsent gewesen, "so wie jeden Morgen die Sonne aufgeht", beschrieb sie im vergangenen Sommer. "Das hat sich natürlich in mein Leben eingefressen, was alles an Schrecklichem passiert ist."

"Warnung an heutige und künftige Generationen"
Der Dokumentarfilm "Ein deutsches Leben" lief bisher nur auf Festivals, ab 7. April ist er in Österreich im Kino zu sehen. Regisseur Krönes sagte, er habe zuletzt an ihrem 106. Geburtstag am 11. Jänner mit Pomsel gesprochen. Sie sei bis zuletzt "eine scharfe politische Beobachterin" gewesen und habe angesichts des wachsenden Nationalismus in Europa, des weltweit aufkommenden Rechtspopulismus und der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten ihre Lebenserinnerungen als "Warnung an die heutige und künftige Generationen" bezeichnet.

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