Todesstrafe droht

Boston-Attentäter erstmals von Ermittlern befragt

Ausland
22.04.2013 14:28
Der überlebende Boston-Attentäter Dzhokhar Tsarnaev ist am Sonntagabend (Ortszeit) im Krankenhaus aufgewacht. Der 19-Jährige antworte in seinem Krankenbett schriftlich auf Fragen der Ermittler, berichteten mehrere US-Medien. Tsarnaev droht bei einem Schuldspruch die Todesstrafe.

Der gebürtige Tschetschene wird im Beth Israel Deaconess Medical Center von Boston unter anderem wegen einer schweren Schusswunde am Hals behandelt. Der 19-Jährige wird künstlich beatmet und kann daher nur schriftlich auf die Fragen der Ermittler antworten. Zuvor hatte es geheißen, es könne noch Tage dauern, bis er vernehmungsfähig sei. Die Ermittler konzentrierten sich bei ihrem ersten Verhör auf die Frage, ob es noch weitere Komplizen oder versteckte Sprengsätze gibt.

Selbstmordversuch vor Festnahme?
Fahnder der Bundespolizei FBI mutmaßen, dass sich der 19-Jährige die Schusswunde am Hals selber zugefügt haben könnte, um sich vor seiner Ergreifung durch die Polizei am Freitag das Leben zu nehmen. Tsarnaev liegt unter schwerer Bewachung in der Klinik, in der auch elf der Opfer des Attentats vom vergangenen Montag liegen. Rund 40 weitere Verletzte werden noch immer in anderen Krankenhäusern der Stadt im Bundesstaat Massachusetts behandelt.

Der junge Mann soll nach Aussagen der Ermittler frühestens am Montag von einem Bundesrichter angeklagt werden. Da er sich in einem derart kritischen Zustand befinde, werde der Richter oder ein Vertreter ihn an seinem Krankenbett über die Anklagepunkte informieren. Die Anklageverlesung werde dann später erfolgen.

Tsarnaev droht Todesstrafe nach Bundesrecht
Der Verdächtige muss mit der Todesstrafe rechnen. Massachusetts hat diese zwar abgeschafft, nach Bundesrecht gibt es sie aber. Der TV-Sender CNN zitierte einen Beamten aus dem Justizministerium mit den Worten, Tsarnaev müsse sich wohl nach Bundesrecht wegen Terrorismus verantworten und nach Landesrecht wegen Mordes.

Streitpunkt ist auch, ob er bei seiner ersten Anhörung ein Recht zu schweigen oder auf einen Anwalt hatte. Das Justizministerium hatte vorläufig entschieden, ihn ohne diese sogenannten Miranda-Rechte zu vernehmen. Eine Ausnahmeregelung macht dies möglich, wenn unmittelbare Gefahr für die Bevölkerung besteht und der Festgenommene als "feindlicher Kämpfer" identifiziert ist.

Polizei: Brüder planten womöglich weitere Attentate
Die mutmaßlichen Bombenattentäter des Boston-Marathons planten nach Auffassung der Ermittler womöglich noch weitere Anschläge. Wie der Bostoner Polizeichef Ed Davis am Sonntag dem TV-Sender CBS sagte, hätten die Beamten im Rahmen ihrer Verfolgung der beiden Brüder Tamerlan und Dzhokhar Tsarnaev ein ganzes Arsenal hausgemachter Bomben und Materialien sichergestellt. "Wir haben auf Basis der gefundenen Beweise allen Grund zu der Annahme, dass sie noch weitere Menschen attackiert hätten", so Davis. Bei dem Anschlag am vergangenen Montag waren drei Menschen getötet worden - unter ihnen ein achtjähriger Bub. Rund 180 Läufer und Zuschauer wurden verletzt.

Genau eine Woche nach dem Anschlag sind die Bewohner des US-Staates Massachusetts am Montag aufgerufen, der Opfer zu gedenken. Bostons Bürgermeister Thomas Menino und Gouverneur Deval Patrick riefen zu einer Schweigeminute um 20.50 Uhr MESZ, dem Zeitpunkt der Explosionen, auf. Anschließend sollen in ganz Massachusetts die Kirchenglocken läuten.

Gab es Drahtzieher im Hintergrund?
Unterdessen rätseln die Ermittler, ob Tsarnaev und sein getöteter Komplize und Bruder Tamerlan (26) Drahtzieher im Rücken hatten. Das FBI hatte Tamerlan 2011 als "radikalen Islamisten" im Visier. Wie die Behörden nach der Festnahme mitteilte, hatte die Bundespolizei ihn auf Wunsch einer ausländischen Regierung überprüft. Laut US-Medien bestätigte die Behörde inzwischen, dass es sich dabei um Russland gehandelt habe.

Das Ersuchen habe sich auf Informationen gestützt, wonach Tamerlan dem radikalen Islam anhänge und sich von 2010 an drastisch verändert habe. Zuletzt habe er Vorbereitungen getroffen, die USA zu verlassen, um sich Untergrundgruppen in Russland anzuschließen, hieß es. FBI-Agenten verhörten damals ihn und Familienangehörige.

Die Bundespolizei nahm ihre Untersuchungen allerdings nicht wieder auf, als Tamerlan im Sommer 2012 von einer sechsmonatigen Reise nach Dagestan und Tschetschenien in die USA zurückkehrte. Nach Recherchen der "New York Times" hatte er sich nach seiner Rückkehr sichtbar radikalisiert. Auf der Internetplattform YouTube verlinkte er islamistische Videos. Wie CNN am Sonntag meldete, war darunter auch das Video eines tschetschenischen Jihadisten. Unklar ist noch, ob es einen Kontakt zwischen beiden Männern gab.

Kritik am FBI: "Geheimdienstliches Versagen"
Die Kongressabgeordneten Michael McCaul und Peter T. King kritisierten am Montag das FBI und sprachen von "geheimdienstlichem Versagen", weil man den Hinweisen nicht genügend nachgegangen sei. Der Fall werfe ernsthafte Fragen über die Wirksamkeit der Terrorbekämpfung in den USA auf, schrieben die beiden Republikaner in einem an das FBI, das Heimatschutzministerium und den Chef der Nationalen Nachrichtendienste adressierten Brief.

Vater glaubt weiter an Unschuld seiner Söhne
Indes ist der Vater der Tsarnaev-Brüder weiter von der Unschuld seiner Söhne überzeugt. Sein Sohn Tamerlan "hätte das, was ihm vorgeworfen wird, niemals tun können", sagte Ansor Tsarnaev der russischen Tageszeitung "Komsomolskaja Prawda". Der 26-Jährige sei "ein guter Moslem" gewesen - nach seiner Hochzeit sei Tamerlan "sehr religiös" geworden und jeden Freitag in die Moschee gegangen. Zuletzt habe er mehrere Monate lang keine Arbeit gehabt und sich zuhause um sein dreijähriges Kind gekümmert.

Auch seinen Sohn Dzhokhar verteidigte der Vater. Der 19-Jährige habe "große Pläne" gehabt: Dzhokhar habe Arzt werden und eine Praxis eröffnen wollen. "Jetzt ist die Rede von Bombenanschlägen. Wie ist das möglich?", fragte Ansor Tsarnaev. Er bezeichnete die Ermittlungen gegen seine Söhne als "politischen Auftrag" und als "Hollywoodshow".

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