Wurst in Brüssel

Das war Conchitas großer Toleranz-Auftritt

Adabei
08.10.2014 15:24
Eurovisionsgewinnerin Conchita Wurst auf "Werbetour" für mehr Toleranz in Europa: Der vollbärtige Travestiestar stattete am Mittwoch dem Europaparlament einen Besuch ab. Bei einer Pressekonferenz warb Wurst alias Thomas Neuwirth für Menschlichkeit und Gleichstellung, am Nachmittag gab sie unter dem Motto "Conchita, die europäische Stimme" ein Konzert vor dem Parlament, das für viele EU-Mandatare, Beamte und "einfache" Brüsseler zur umjubelten Mittagspauseneinlage wurde.

In einem mit Europaflaggen dekorierten Partyzelt bezirzte Conchita Wurst eine halbe Stunde lang ihre Zuhörer mit Coverversionen von Chers "Believe", Joe Cockers "Unchain my heart" und James Cottrialls "Unbreakable" sowie ihren beiden eigenen Nummern "That's what I am" und ihrem Siegerlied "Rise like a Phoenix".

"Für vielfärbiges Europa"
Zuvor hatte sie vor der beschirmten Menge eine kleine Rede zu Europa gehalten und auf die Parallelen zwischen dem 1956 erstmals ausgestrahlten Eurovision Song Contest und den ein Jahr später als Vorläufer der EU begründeten Europäischen Gemeinschaften verwiesen. In beiden Fällen gehe es um Variantenreichtum und ein vielfarbiges Europa: "Und ich bevorzuge eine komplizierte Demokratie gegenüber einem System, in dem einer alleine entscheidet." Wenn jeder für ein vielgestaltiges Europa eintrete, gelte ihr bereits sprichwörtliches Motto: "Dann sind wir unstoppable."

Vor dem Konzert war die Sängerin der versammelten Presse eine Stunde lang Rede und Antwort gestanden. "Europa ist für mich eine sehr starke Gemeinschaft", lobte Wurst gleich zu Beginn der Konferenz die europäische Gemeinschaft. "Das ist ein wunderschöner Kontinent mit der Einheit, die wir haben." Von Abspaltungstendenzen, wie sie in Großbritannien gehegt werden, hält sie nichts.

"Botschaft für alle, die diskriminiert werden"
Der österreichische Star nützte die Gelegenheit, um für Toleranz gegenüber Minderheiten und Diskriminierte einzutreten: "Ich habe eine Botschaft für alle, die diskriminiert werden. Es ist traurig, dass wir im 21. Jahrhundert immer noch darüber diskutieren müssen. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass es schmerzt, nicht zu wissen, wer man ist. Als ich festgestellt habe, dass ich homosexuell bin, brauchte ich ein paar Monate, um zu realisieren, dass meine Umwelt nicht so positiv darauf reagieren kann. Aber als ich wusste, was ich bin, wusste ich, dass mich niemand mehr verletzen kann."

Sie kenne sich mit dem Politbetrieb ja nicht aus, aber es sei für sie schlicht unbegreiflich, dass solche Themen noch immer diskutiert würden oder man darüber erst langsam nachdenken wolle: "Ich brauche niemanden, der nachdenkt - ich brauche Entscheidungen." Sicher sei das Leben eines Politikers nicht leicht: "Aber diese Menschen haben sich ihren Job genauso ausgesucht, wie ich mir meinen. Und ich erwarte Ergebnisse."

"Akzeptanz seit Song Contest besser"
Seit dem Song Contest sei die Akzeptanz besser geworden, "ich bin aber nicht blauäugig, aber ich bin Optimist". Dennoch: "Kleine Dinge haben sich geändert, aber der Weg ist noch lang", so Wurst. Vor allem sei es wichtig, miteinander respektvoll umzugehen, so Wurst weiter. "Man muss mich ja nicht lieben, man muss sich nur gegenseitig respektieren. Denn jeder vertritt eine andere Meinung." Aber man sollte über diese unterschiedlichen Anschauungen auch ohne Untergriffe diskutieren können.

Eine Karriere im Europäischen Parlament könne sie sich aber nicht vorstellen, denn: "Wir Künstler können noch mehr über die Stränge schlagen als die Politiker, und dieses Recht möchte ich mir nicht vergeben."

"Symbol der Offenheit und Freiheit"
Wurst folgt mit dem Besuch in der belgischen EU-Metropole der Einladung von Abgeordneten aus fünf Fraktionen und aus den verschiedensten Ländern.

"Conchita Wurst ist ein Symbol dafür, dass man zu sich selbst stehen kann", freute sich die niederländische Abgeordnete Sophie In't Veld von den Liberalen über den Auftritt, zu dem sie unter anderen die Einladung ausgesprochen hatte. Aber auch Mandatare der Sozialdemokraten, der Europäischen Volkspartei, der Linken und nicht zuletzt der Grünen rund um die österreichische Delegationsleiterin Ulrike Lunacek hatten Wurst nach Brüssel gebeten.

Und dort blieb das im Vorfeld von einigen rechtsgerichteten Politikern geäußerte Missfallen aus. Dies dürfte vielleicht auch damit zusammenhängen, dass sich das Parlament derzeit in der Hochphase der Entscheidung über die neue Kommission befindet.

Großes Thema auch auf Twitter
Umso mehr Raum nahmen die Befürworter via Twitter ein. Noch-Kommissarin Viviane Reding konstatierte: "Europa von seiner besten Seite: kreativ, tolerant und vielfältig!" NEOS-Mandatarin Angelika Mlinar beschied via Twitter: "Ich freue mich, Sie als Symbol der Offenheit und Freiheit begrüßen zu dürfen."

Und die deutsche Grüne Terry Reintke frohlockte: "Die wunderbare Conchita Wurst kommt zu uns." Und: "Wir glitzern, Conchita scheint!" Der österreichische Sozialdemokrat Josef Weidenholzer sah sogar himmlische Zeichen: "Dafür hat sogar der Regen aufgehört", während sich Pawel D. Wisniewski, ein Mitarbeiter der Europäischen Volkspartei, wunderte: "Conchita Wurst hat mehr Journalisten angezogen als UN-Generalsekretär Ban Ki Moon."

Die Vollbart-Diva gewann am 10. Mai den Eurovision Song Contest in Kopenhagen mit dem Titel "Rise Like a Phoenix" - als erster Gesangsstar aus Österreich seit Udo Jürgens im Jahr 1966.

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(Bild: kmm)



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