Die Sex-Expertin

Das sagt Gerti Senger über “Fifty Shades” und SM

Adabei
15.02.2015 07:54
Stiletto-Power und Unterwerfung, Sex, Attraktivität und Reichtum, seelische Gesundung durch Liebe - dieser Mix macht eine Hollywood-Schmonzette zum einzigartigen Kassenschlager.

Zu "Fifty Shades of Grey - Geheimes Verlangen" hat fast jeder eine Meinung. Die einen belächeln Buch und Film als "Kitsch", für andere ist die sadomasochistische Romanze nur ein "Hausfrauenporno". Wie immer man über die Romantrilogie, die sich um Reichtum, Unterwerfung und Schmerzlust dreht, denken mag - wir haben es mit einem einzigartigen Hype zu tun: Über 100 Millionen Mal verkauften sich die Erotik-Romane der damals 49-jährigen E. L. James, Übersetzung in 52 Sprachen, fünf Millionen Dollar für die Verfilmungsrechte, ein fulminanter Filmstart. Das ist kein Zufallserfolg. (Lesen Sie auch: Der Mega-Hype um "Fifty Shades of Grey")

Geheimes Verlangen nach Extremsex
Für alle, die zu wenig Zeit hatten, die 1.600 Seiten der Erotik-Trilogie zu lesen, und zu wenig Interesse, sich den Film anzuschauen, ist die Grundgeschichte schnell erzählt: Anastasia Steele, eine schüchterne Studentin, interviewt für eine Studentenzeitung den attraktiven, jungen Multimillionär Christian Grey. Sie verliebt sich, wird von ihm gefühlvoll entjungfert und in die BDSM-Welt eingeführt. (Der Code setzt sich aus den Anfangsbuchstaben der englischen Begriffe "Bondage & Discipline" - Fesselung und Disziplin, "Dominance & Submission" - Dominanz und Unterwerfung, "Sadism & Masochism" zusammen.)

Bevor Christian seine Vorliebe preisgibt, klärt er Ana auf: "Romantik liegt mir nicht. Ich mache nicht Liebe, ich f...e hart." Ana ist beseelt von dem Wunsch, sein kaltes Herz doch noch zum Schmelzen zu bringen, und entdeckt gleichzeitig Christians Fixierung auf BDSM als ihre Leidenschaft.

Egal, ob Fesselspiele oder Unterwerfungsrituale, egal, ob mit Augenbinde, Handschellen, Peitsche, und sogar dann, wenn der superpotente Christian nur auf ihre intimste Zone bläst - Ana kommt verlässlich.

Kontrolle ist Kernthema von SM
In Christians "Spielzimmer" ist alles, was das Herz eines SMlers begehrt, säuberlich geordnet. "Ich behalte über alles die Kontrolle, Ms. Steele", gesteht er. Ein Schlüsselsatz, wenn man den Hintergrund dieses Welterfolges verstehen will. Kontrolle und Kontrollverlust sind Kernthemen einer SM-Neigung.

Als Kontrollfreak will Grey die Beziehung zu Ana in einem Vertrag festhalten, in dem sie sich bereit erklärt, seine Sklavin zu sein. Damit tauchen aktuelle Fragen auf: Will die Frau des dritten Jahrtausends einen Mann, der stark genug ist, sie zu unterwerfen, der phantasievoll genug ist, den Wechsel von Zupacken und Zartsein zu beherrschen, der selbstsicher genug ist, den Designer-Anzug abzulegen und schamlos zu sein, der verlässlich genug ist, Sicherheit zu geben, und der dominant genug ist, damit sie die Kontrolle aufgeben und ihm überlassen kann?

Es ist denkbar, dass die SM-Abmachung zwischen diesem Pärchen das Liebes-Chaos unserer Zeit abbildet. Weder Tradition noch die Kirche noch die Gesellschaft geben Beziehungen Regeln und Grenzen vor. Jedes Paar muss sich seine "Ordnung" selbst aushandeln. Keine leichte Sache, wenn man die diffusen Grenzen zwischen männlich und weiblich, die Flüchtigkeit und Unverbindlichkeit der modernen Beziehungen, die Stärke der Frauen und die Verunsicherung der Männer bedenkt.

Schmerz wird streng ritualisiert
Verschärft wird diese Liebesunordnung auch noch dadurch, dass das Autonomie-Bedürfnis jedes Menschen oft in Widerspruch mit dem Verlangen steht, Autonomie aufgeben zu können - die dazu notwendige Sicherheit vorausgesetzt. BDSM-Beziehungen bieten dieses Setting. Nichts geschieht willkürlich. Alles ist geregelt, körperlicher Schmerz ist freiwillig, klar und streng ritualisiert. Eine Handlung, die zu weit geht, wird mit einem vereinbarten Code verlässlich abgebrochen. In diesem Fall wären sexuelle Handlungen Trigger für Bedürfnisse, die in der modernen Paarkultur zu kurz kommen: Sicherheit, Klarheit, Verbindlichkeit, Vertrauen.

Das große Interesse für SM-Themen, das die Hollywood-Romanze aufzeigt, kann auch noch andere Ursachen haben. Zum Beispiel extrem unterdrückende Erziehungsmaßnahmen. "Ich habe es in der Kindheit sehr schwer gehabt", deutet Christian Ana gegenüber an. In einer tabulosen Welt ist auch sexuelle Übersättigung, die den Wunsch nach designten erotischen Erfahrungen erzeugt, nicht auszuschließen. Was immer der Grund sein mag - seit den 90er-Jahren zählen im Internet SM-Foren zu den am häufigsten angeklickten Seiten. Der Markt ist mit raffinierten Gegenständen überschwemmt, die zur BDSM-Subkultur gehören. SM-Partys boomen. Eine ästhetisierte SM-Subkultur explodiert, Medien, Kunst und Marketing reagieren darauf. Die Wäschemarke "Agent Provokateur", eine Biersorte und sogar ein Dübelhersteller nutzt das SM-Sujet.

Sklavenvertrag für Ana
Übrigens: Ana weigert sich, den Vertrag zu unterzeichnen: "Ich würde meinen freien Willen gerne noch ein Weilchen behalten", sagt sie. Sie will sich unterwerfen, aber frei bleiben. Großes Aufatmen – Anastasia Steele wird nicht unterdrückt, sie könnte jederzeit bei gutem Wind gehen. Schließlich verspricht Christian: "Der Hubschrauber wartet." Wer weiß, vielleicht wird sie ihn doch noch benützen. Die Antwort bleibt für Teil 2 und 3 offen.

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(Bild: kmm)



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