Laut WADA-Bericht

Russischer Geheimdienst half bei Staatsdoping mit!

Sport
18.07.2016 22:20

Doping-Erdbeben im internationalen Sport: Die Ermittler der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA werfen Russland staatlich gesteuertes Doping vor! Der am Montag in Toronto vorgelegte 97-seitige Untersuchungsbericht führe zahlreiche gravierende Belege für die Verwicklung von staatlichen Stellen in den Sportbetrug auf, betonte WADA-Chefermittler Richard McLaren. Darin sei unter anderem das russische Sportministerium und sogar der russische Geheimdienst verwickelt.

So seien im Moskauer Anti-Doping-Labor über Jahre hinweg positive Proben verschwunden, um gedopte russische Athleten im Vorfeld und auch während der Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi zu schützen. Das russische Sportministerium habe die Manipulationen "geleitet, kontrolliert und überwacht" und "der Geheimdienst [habe] mitgeholfen", sagte McLaren. Auch das Trainingszentrum der russischen Top-Athleten, CSP, sei an den massiven Betrügereien aktiv beteiligt gewesen. Russland hatte den Medaillenspiegel bei den Heimspielen vor zwei Jahren mit 13 Goldenen und insgesamt 33 Medaillen auf Platz eins abgeschlossen.

WADA empfiehlt Prüfung von Russlands Komplett-Ausschluss
Eine Empfehlung der WADA-Ermittler für Sanktionen gegen russische Sportler oder Verbände gab es zweieinhalb Wochen vor der Eröffnung der Olympischen Sommerspiele in Rio de Janeiro (5. bis 21. August) zunächst nicht - allerdings sei ein kompletter Olympia-Ausschluss Russlands gründlich zu prüfen. McLaren betonte, dass die Untersuchung unabhängig und transparent abgelaufen sei. Der kanadische Jus-Professor und Sportanwalt war von der WADA mit der unabhängigen Untersuchung betraut worden.

Rodschenkow-Enthüllungen der Auslöser
Auslöser der WADA-Untersuchung zu den Winterspielen 2014 waren die Enthüllungen von Grigori Rodschenkow. Der ehemalige Chef des russischen Doping-Kontrolllabors, der sich in die USA abgesetzt hat, hatte behauptet, dass er in Sotschi positive Dopingproben von 15 russischen Medaillengewinnern zusammen mit der Anti-Doping-Agentur RUSADA sowie dem Inlandsgeheimdienst FSB auf Anordnung vom Staat vertuscht habe. Laut Rodschenkow hätten er und seine Mitarbeiter keine Wahl gehabt, als beim russischen Staatsdoping mitzumachen.

Für McLaren waren Rodschenkow und alle anderen Zeugen, die von ihm im Laufe der Untersuchung interviewt worden waren, allesamt "glaubwürdig". Die Ermittler sehen es deshalb nach den Ermittlungen als erwiesen an, dass im russischen Spitzensport von Moskau angeordnetes und gedecktes Doping betrieben wird. Es seien Tausende Daten und Dokumente ausgewertet worden, auch gelöschte Dateien seien wiederhergestellt worden, sagte McLaren. Der Jurist gehörte bereits der unabhängigen WADA-Kommission an, die ein flächendeckendes Dopingsystem in der russischen Leichtathletik nachweisen konnte.

Russland will Verteidigungs-Arsenal "bis zum Letzten ausschöpfen"
Russland hatte schon vor der Präsentation in Toronto angekündigt, mit allen Mitteln für eine Teilnahme seiner Sportler an den bevorstehenden Olympischen Sommerspielen in Rio kämpfen zu wollen. "Es gibt ein ganzes Arsenal an legalen Mitteln für die Verteidigung der Interessen der Sportler, und Russland wird dieses Arsenal bis zum Letzten ausschöpfen", kündigte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow in Moskau an.

Der in Toronto präsentierte Bericht gilt als Grundlage für weitere Diskussionen über einen eventuellen Komplett-Ausschluss der Russen von den Sommerspielen in Brasilien im August, an denen nach derzeitigem Stand schon das russische Leichtathletik-Team nach dem im Vorjahr ins Rollen gekommenen massiven Dopingskandal nicht teilnehmen darf. Die Bekämpfung des Dopings sei eine Priorität für Russland, bekräftigte Peskow. Zugleich dürften aber nicht unschuldige Sportler für die Taten anderer bestraft werden.

IOC zweieinhalb Wochen vor Rio-Spielen in der Bredouille
Das jüngste und schwerste Doping-Beben bringt vor allem das IOC arg in die Bredouille. Der deutsche IOC-Chef Thomas Bach will zwar "null Toleranz" gegenüber gedopten Sportlern, hatte aber etwa einen Komplett-Ausschluss Russlands bisher abgelehnt. Der Fecht-Olympiasieger von 1976 hatte vor der Veröffentlichung des Berichts gesagt, das IOC müsse die richtige Balance zwischen kollektiver Verantwortung und individueller Gerechtigkeit finden.

"Es ist offensichtlich, dass man einen Badminton-Spieler nicht für Manipulationen eines Offiziellen oder eines Laborleiters bestrafen kann", erklärte Bach, der als Freund von Russlands Staatspräsident Wladimir Putin gilt. "Jeder, der nicht involviert war, kann nicht für das Fehlverhalten anderer bestraft werden." Damit scheint ein Komplett-Ausschluss unwahrscheinlich.

Auch der Welt-Turnverband FIG hatte bereits kurz vor der Veröffentlichung betont, dass nicht alle russischen Athleten gesperrt werden dürften. Sportler dürften nicht für Vergehen von Athleten anderer Sportarten und Verbänden für schuldig befunden werden, hieß es in einer Erklärung vom Montagvormittag. Formell müssten die internationalen Sportverbände in jeder Sportart eine Entscheidung treffen, so wie es der Leichtathletik-Weltverband IAAF bereits getan hat.

Österreichs NADA für strenges Vorgehen gegen Russland
Strenger dagegen Österreichs Nationale Anti-Doping Agentur: Diese verlangte einen Ausschluss Russlands von internationalen Wettbewerben, insbesondere den Olympischen Spielen in Rio. "Für mich ist vor allem die Beteiligung staatlicher Organe erschütternd. Das ist für jede saubere Sportlerin und für jeden sauberen Sportler, die in ihrem Sportalltag die strengen Vorgaben des WADA-Codes erfüllen, ein Schlag ins Gesicht", wurde NADA-Geschäftsführer Michael Cepic zitiert. Die NADA fordert, dass sämtliche Ergebnisse des Berichts eingehend geprüft und entsprechende Schlüsse gezogen werden.

Putin kündigt Maßnahmen nach WADA-Bericht an
Präsident Wladimir Putin kündigte nach den WADA-Vorwürfen noch am Montag erste Maßnahmen an. "Funktionäre, die in dem Bericht als direkt Beteiligte genannt werden, sollen bis zum Ende der Untersuchungen suspendiert werden", teilte er in Moskau mit. Zugleich forderte er von der WADA mehr "objektive" und auf Fakten basierende Informationen. Denn Putin kritisierte den Bericht als Rückfall in die 1980er-Jahre. Damals hatte zunächst der Westen 1980 die Sommerspiele in Moskau boykottiert, vier Jahre später hatte die UdSSR eine Teilnahme an den Spielen in LA abgesagt. Damals sei der Sport als Geisel genommen worden. Zugleich kritisierte Putin, dass der WADA-Bericht auf den Aussagen eines einzelnen Menschen mit einem "skandalösen Ruf" basiere. Damit spielte er auf den Whistleblower Grigori Rodschenkow an.

Kurz nach Putins Ankündigung enthob übrigens Russlands Ministerpräsident Dmitri Medwedew den im WADA-Bericht schwer belasteten stellvertretenden Sportminister Juri Nagornich des Amtes.

Zentrale Ergebnisse und Fakten des WADA-Reports

  • Das Moskauer Labor agierte zum Schutz von gedopten russischen Athleten innerhalb eines vom Staat bestimmten, unfehlbaren Systems. Dieses wird im Report als Methode der verschwundenen Positivproben beschrieben.
  • Das Labor in Sotschi entwickelte eine einzigartige Methode zum Austausch von Proben, um gedopten russischen Athleten die Teilnahme an den Heimspielen 2014 zu ermöglichen.
  • Das Sportministerium leitete, kontrollierte und überwachte die Manipulation der Athletenbefunde oder den Proben-Austausch. Das geschah unter aktiver Teilnahme und Hilfestellung von FSB (russischer Inlandsgeheimdienst), CSP (Trainingszentrum der russischen Top-Athleten) sowie der Labors in Moskau und Sotschi.
  • Mindestens 643 positive Dopingproben von russischen Athleten sind von 2012 bis 2015 in den Analyselabors in Moskau und Sotschi "verschwunden" - und waren dann negativ. Die 643 Fälle seien "nur ein Minimum", heilich war.
  • Die gefälschten Analysen betreffen Athleten aus rund 30 Sportarten. An der Spitze stehen die Leichtathleten mit 139 Fällen, danach folgen Gewichtheben (117), der paralympische Sport (35) und Ringen (28).
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(Bild: KMM)



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