Hauch Spiritualität

Im Fegefeuer des Klangmysteriums

Salzburg
24.07.2017 12:05

Schon der Einmarsch von Chor und Orchester des Bayerischen Rundfunks vermittelt im mystischen Kobaltblau der Felsenreitschule einen Hauch des Spirituellen. Dann entfalten sich die manieristisch-transfigurativen Klanggebilde Olivier Messiaens, als Einstimmung flirrte und surrte György Ligetis "Lux aeterna".

Neun Minuten, in denen der Chor nie singt, aber einen über einen transzendenten Klangteppich schweben lässt, der auch die ersten Szenen eines SF-Meisterwerks von Stanley Kubrick von 1968 verbrämt: 2001 - Odyssee im Weltraum. Mich führt es zu einem außerirdisch-irdischen Gedankenmodell: Wie würde ein fiktiver Besucher aus dem All reagieren, wenn man ihm zuerst drei populäre Stücke von Mozart, Schubert und Beethoven verabreicht - und danach das, was sich unter der Leitung von Nagano und Howard Aman (Choreinstudierung) als hochkomplexe Kombination aus Stimmen und Orchester zwei Stunden lang aufwärts orakelt? Wäre unsere Harmonie&Harmonienpräferenz von kosmischer Prägung - oder ist das komplizierte, manieristische Klanggebilde in Messiaens ’La Transfiguration de Notre-Seigneur Jesus-Christ’ die eigentliche Ergänzung zum Nachhall des Urknalls? Wessen musikalischer Horizont von der Schlagerwelt der 50 und 60er Jahre definiert wird und der sich an Starparaden an irgendwelchen Seen ergötzt, der wäre wohl heillos überfordert in diesem Fegefeuer des Klangmysteriums.

Jemand, um im Genre zu bleiben, der Jimi Hendrix’ Woodstock-Version der US-Hymne als elementares Ereignis der Rockgeschichte schätzt oder ’Soft Machine’ nicht als Küchengerät identifiziert, der wird sich der faszinierenden Beklemmung der teilweise gregorianischen Klangfülle Messiaens nicht entziehen können. Dieser Mischung aus archaisch-brachialen Paukenschlägen und dem vollvolumigen Chor, wenn der zweite Septenar damit beginnt, wie Gottes Stimme aus der Wolke spricht (Matthäus-Evangelium 17,5). In Summe ist kaum ein besserer sakraler Auftakt der Ouverture vorstellbar als dieses kompromisslos ins Jenseits blickende Werk.

Minutenlange Applaustiraden kommen nach einer halben Minute Nagano-Andacht, die akustisch kräftigsten Meriten erntet der fantastisch gänsehäutig disponierte Chor der Bayern.

Roland Ruess, Kronen Zeitung

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