Schönes Frankreich

Tal der Schlösser: Flussaufwärts entlang der Loire

Reisen & Urlaub
13.07.2013 17:00
Lebensqualität heißt das Zauberwort im französischen Loiretal. Das erfahren Gäste der Region in der gedeihenden Metropole Nantes – und auf einer gemütlichen Entdeckungsreise mit dem Fahrrad flussaufwärts. Vorbei an blühenden Feldern und malerischen Dörfern, an gesegneten Weingärten und geschichtsträchtigen Schlössern.

Mit bis zu 300 Kilometern pro Stunde und komfortabel wie ein Gott in Frankreich, brettern wir von Paris aus nach Westen: Der Train à grande vitesse mit der klingenden Abkürzung TGV, ein Kind der Achtziger, erfreut sich ungebrochener Beliebtheit bei Geschäftsreisenden wie Privaten. Dank ihm, der in Tests über 570 km/h erreichte, braucht kein Mensch in Frankreich etwas ökologisch und ökonomisch so Unsinniges wie Inlandsflüge.

Immer üppiger werden die kleinen Laubwäldchen, immer stattlicher die Getreidefelder, und Grüppchen von Windrädern künden davon, dass das Land der Atomenergie auch Alternativen kennt. Dass Nantes, das erste Ziel unserer Reise, von der Europäischen Kommission zu Europas Umwelthauptstadt des Jahres 2013 gekürt wurde, fügt sich brav in dieses Bild.

Nantes: Die Stadt mit dem "grünen Netz"
Die 55 Kilometer östlich der Atlantikküste gelegene Stadt, in deren Ballungsraum rund 550.000 Menschen leben, setzt nicht nur auf nachhaltige Infrastruktur und Ausbau des öffentlichen Verkehrs: Nantes beschäftigt eine Armee von dreihundert Gärtnern, die zum "blauen Netz" der drei Flüsse – Erdre und Sèvre münden hier in die Loire – ein "grünes Netz" über die Stadt spannen. Zahlreiche Parkanlagen und Gärten heben, begünstigt durch die milden Winter in Meeresnähe, die Lebensqualität auf Spitzenwerte.

Die älteste dieser Einrichtungen, der Jardin des Plantes, geht bereits auf Ludwig XIV. zurück. Die als stattlicher Park angelegte botanische Sammlung, deren Prachtstück ein Magnolienbaum von 1807 ist, hat der Künstler Claude Ponti mit lustigen Pflanzenskulpturen und seltsam überdimensionierten Objets trouvés inszeniert. Und damit einen jener zahlreichen Orte in Nantes geschaffen, an denen zeitgenössische Kunst, Design, Natur und gebaute Stadtgeschichte ersprießlich zusammenfinden.

Nantes spielte Rolle in der Geschichte der Sklaverei
Erwandern kann man diese Orte im Umwelthauptstadt-Jahr entlang einer dünnen, grünen Linie, die uns durch die historischen Stadtviertel mit ihren hellen, klaren Sandsteinfassaden führt, vorbei am prächtigen Schloss der Herzöge der Bretagne, an der spätgotischen Kathedrale Saint-Pierre, am protzigen Säulenportal des Théâtre Graslin und durch die luxuriöse Passage Pommeraye.

Am Ufer der Loire zeigt sie uns das Mahnmal der Abschaffung der Sklaverei, klärt uns über ein unrühmliches Kapitel der Stadtgeschichte auf, das ebenfalls auf Ludwig XIV. zurückgeht. Rund eine halbe Million Sklaven aus der Dominikanischen Republik wurden im 18. Jahrhundert auf Schiffen verschleppt, die von Nantes ausgelaufen waren.

Jene historisch belastete Werftindustrie, die jenseits des Flusses auf der Île de Nantes siedelte, bildete für lange Zeit das wirtschaftliche Rückgrat der Stadtentwicklung. Ihr Niedergang in den Achtzigerjahren des 20. Jahrhunderts führte zu einer veritablen Krise.

Moderne Architektur tummelt sich am Fluss
Doch die Stadt, deren reges Straßenleben heute das Bild einer jungen, weltoffenen und ethnisch bunten Gesellschaft vermittelt, hat die Chance genutzt und die zentral gelegene, vom Wasser umspielte Industrie-Brache zur Spielwiese für zeitgenössische Stadtplanung erklärt. Da tummeln sich nun, mondän dimensioniert, die Positionen heutiger Architektur in bester Flusslage, umgeben von weitläufigen Spielplätzen, von Land Art und Gastronomie aller Preisklassen.

Die Insel ist wunderbar belebt, mit Einheimischen und Touristen aller Generationen. Ihr gewichtigster Einwohner ist wohl Le Grand Éléphant, eine monströse, begehbare Maschine, die mit Getöse über das Eiland keucht. Seine Schöpfer François Delarozière und Pierre Orefice haben außerdem ein originelles Meereskarussell gebaut, das Kinder und Erwachsene gleichermaßen fasziniert.

Und ihr Entwurf für einen 35 Meter hohen Arbre aux Hérons, einen Reiher-Baum samt Achterbahn und Restaurant in luftiger Höhe, macht schon im Modell großen Eindruck. Wenn dieser Vergnügungspark, der die imaginären Welten des Nanteser Autors Jules Verne mit Leonardo Da Vincis mechanischen Entwürfen kreuzt, fertig ist, dann kann Disneyland mit seiner Einheitsware einpacken.

Charmante Hügel im grünen Umland von Nantes
Von den Machines de l'île im Zentrum der wachsenden Metropole geht es dann mit dem geliehenen Fahrrad hinaus in die Natur: ostwärts durch die sanft geschwungene Hügellandschaft des Loiretales. Es ist keine spektakuläre, aber eine äußerst charmante, lebensfreundliche Gegend, die man auf einer 800 Kilometer lang ausgebauten Strecke am besten flussaufwärts, mit dem Wind im Rücken, durchstreift.

Auf dieser entspannten Tour de France gilt der Grundsatz: Der Weg ist das Ziel. Auf Schotterwegen am Ufer, auf kaum befahrenen Nebenstraßen durch Wald und Wiesen zieht der ganze Reiz einer jahrtausendealten Kulturlandschaft voller Geschichten an uns vorüber.

Unberührte Uferwildnis
Zwischen Nantes, Tours und Orléans säumen Naturparadiese und malerische Ortschaften die Ufer der Loire und ihrer Nebenflüsse. Da sind etwa die faszinierenden Höhlenhäuser von Montsoreau, die wir vom Wasser aus mit einer Barke erkunden.

Und die Wildnis der Ufer, an denen Biber, Eisvogel und Reiher wohnen. In Candes St. Martin, einem verschlafenen 210-Einwohner-Nest mit riesiger frühgotischer Kirche und surreal hübschen Tuffsteinfassaden, nehmen wir eine Brettljause am offenen Feuer.

Englisch ist in Frankreich keine Sprache
Plaudern kann man mit den freundlichen Leuten allerdings nur in ihrer Heimatsprache. Denn selbst die Gastronomieabteilung der Grande Nation, die uns hier allenthalben mit faszinierenden Weißweinen und kulinarischen Meisterstücken aus der Region verwöhnt, widersetzt sich noch immer rührend stur der Weltherrschaft des Englischen.

Während wir uns an den Reizen der Gegend, an roten Mohnfeldern, verwitterten Steinmäuerchen und geschmackvoll rustikalen Häuschen, kaum sattsehen können und wunderbar stressfrei von Dorf zu Dorf, von Brücke zu Brücke trödeln, kommen wir unweigerlich auch an jenen Bauwerken vorüber, für die das Loiretal eigentlich berühmt ist: an seinen Schlössern und Burgen.

Burgen und Atomkraftwerke
Über Chinon etwa, einem alten Städtchen am Fluss Vienne, das auch für seine vier nuklearen Druckwasserreaktoren bekannt ist, thront die gleichnamige Burg. Ihre Geschichte reicht tief ins Mittelalter; die Türme ihrer drei Schlösser ragen hoch hinauf und gewähren eine wahrhaft königliche Aussicht über das Grenzgebiet der beiden Regionen Pays de la Loire und Centre Val de Loire.

Nicht nur Richard Löwenherz hat in Chinon einmal gewohnt: Die unsterbliche Freiheitskämpferin Jeanne d'Arc soll hier 1429 den französischen Thronfolger Karl VII. in einer geheimnisvollen Privataudienz dazu überredet haben, Orléans aus der englischen Belagerung zu befreien.

Nur wenige Kilometer weiter steht das berühmte Wasserschloss Azay le Rideau. Der selbe Karl, der Jeanne d'Arc zu ihrem Durchbruch verhalf, ließ hier wegen einer Kränkung 350 Männer hinrichten und den Vorgängerbau schleifen: Eine recht brutale Methode, um Platz zu schaffen für den raffinierten Renaissance-Bau, der seit dem frühen 16. Jahrhundert auf einer künstlichen Insel aus Eichenpfosten inmitten eines prächtigen Parks ruht. Seine erlesen ausgestatteten Innenräume sind Parade-Beispiele für den verschwenderischen Lebenswandel des französischen Hochadels.

Zu Gast im schönsten verschlafenen Dorf Frankreichs
Wieder folgen wir einem Nebenfluss, diesmal der Indre, ein Stück nach Südosten. Und plötzlich steht da ein Plakat: Le Tour de France, mit Datum: 12. 7. 2013. Wir sind ein bisschen stolz, während wir gemütlich von den Rädern steigen, um ein Gruppenfoto zu schießen. Hier also sauste die berühmte Radrundfahrt durch, ohne Augen für die Schönheit der Gegend. Auf dem Ortsschild steht "Morillon". So nennen sie zu Hause in der Steiermark den Wein, der hier in Frankreich und überall sonst Chardonnay heißt.

Gleich hinter MorillonVorhaben ist geglückt, dank einer relativ einfachen Maßnahme: Es wurden exzessiv Rosen gepflanzt. Nach einer trefflichen Jause im Restaurant "Le Clos aux Roses" spazieren wir los – und sind hingerissen. Liebevoll gepflegt und mit sicherem Blick arrangiert, bekränzen Dutzende Rosenarten die alten Natursteinhäuser; die Kirche; die Gartenzäune. Und keine Spur von Kitsch. Denn was immer die Leute hier in der französischen Provinz auch anfangen: Sie beweisen Geschmack.

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