Nach Amnesty-Bericht

Traiskirchen “Multiorganversagen der Republik”

Österreich
14.08.2015 18:11
Hilfsorganisationen und Oppositionsvertreter sehen sich von den am Freitag präsentierten Erkenntnissen der Menschenrechtsorganisation Amnesty International großteils bestätigt: Traiskirchen sei ein "Multiorganversagen" der Republik, stellte etwa die Volkshilfe in einer Aussendung fest. Die NEOS forderten ein professionelles Management durch einen Regierungskommissär, und das Innenministerium reagierte "nicht überrascht“.

Die Situation sei durch die "sprunghaft angestiegene Zahl an Asylsuchenden" entstanden, hieß es in einer Stellungnahme des Innenministeriums. Die Lage sei "prekär, es handelt sich um eine Ausnahmesituation", dies habe das Ministerium bereits vor Wochen festgestellt.

Im aktuellen Versorgungsmodell sei die Verantwortung zwischen Bund und Ländern aufgeteilt, es gebe Länderquoten und Gemeindekompetenzen, mit denen aber die Aufnahme von Flüchtlingen verhindert werden kann. Die Bundesländer erfüllen ihre Quoten nicht und der Bund könne inzwischen den Mehrbedarf nicht mehr abdecken, hieß es weiter. Die bereits angekündigte neue Verfassungsbestimmung über ein Durchgriffsrecht bei der Schaffung von Quartieren soll dies nun ändern.

"Was wir jetzt nicht brauchen, sind Polarisierungen und ein Wettbewerb in der Beschreibung von Missständen", erklärte Innenministerin Johanna Mikl-Leitner, denn es sei jedem klar, dass die Situation nicht tragbar sei. Seit dem Amnesty-Besuch seien bereits Verbesserungen vorgenommen worden, so die Ressortchefin. Eine nachhaltige Lösung sei aber nur auf europäischer Ebene möglich. Als Akutmaßnahme brauche es die Unterstützung des Bundesheeres sowie der NGOs, der Länder und Gemeinden. Die Gespräche mit Amnesty seien jedenfalls konstruktiv gewesen und würden fortgesetzt. Das Ministerium werde den "möglichsten Beitrag" zu einer Problemlösung leisten, so Mikl-Leitner.

Babler: "Nicht zur Tagesordnung übergehen"
Nach einem derart vernichtenden Bericht einer internationalen Menschenrechtsorganisation dürfe man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, sagte Traiskirchens Bürgermeister Andreas Babler. Amnesty International zeige auf, wie in seiner Gemeinde "ein Symbol für eine unmenschliche und zutiefst verabscheuungswürdige Flüchtlingspolitik seitens der Verantwortlichen produziert wird".

Die Worte von Amnesty-Generalsekretär Heinz Patzelt müssten auch zu politischen Konsequenzen führen, forderte Babler. Hauptadresse für den Skandal sei die Herrengasse in Wien, sagte er einmal mehr in Richtung Innenministerium.

Regierung mit Flüchtlingsthema "komplett überfordert"
"Der Bericht von Amnesty International ist mehr als deutlich und bestätigt damit die Bilder, die seit Wochen in den Medien kursieren", sagte NEOS-Menschenrechtssprecher Nikolaus Scherak. "Worauf wartet die Bundesregierung noch?", drängte er etwa auf die angekündigte Nationalratssondersitzung. Die Regierung sei mit dem Flüchtlingsthema "komplett überfordert", er pochte auf die Einsetzung eines Regierungskommissärs.

Die Caritas appellierte an die Bürgermeister und Bundesländer, Hilfe zu leisten. Präsident Michael Landau besuchte das Erstaufnahmezentrum und berichtete von Kindern, die ihre Habseligkeiten in Müllsäcken bei sich tragen, und Menschen, die unter Bäumen schliefen. Er sieht die gesamte Gesellschaft gefordert, um die Situation zu entlasten und Quartiere zu schaffen. "Auch die Öffnung leer stehender Kasernen muss endlich in Angriff genommen werden", forderte Landau.

"Beschämend" für Österreich
Der Bericht von Amnesty fiel für Volkshilfe-Bundesgeschäftsführer Erich Fenninger "erwartbar vernichtend" aus und sei "beschämend" für Österreich. Grundsätzlich stellen die "menschenrechtlich unhaltbaren Zustände" ein "Multiorganversagen" der politisch Verantwortlichen dar. Auch stellten die Zustände in Traiskirchen den Föderalismus infrage. Langfristig brauche es ein eigenes Ministerium für Migration und Integration, forderte Fenninger.

Der Samariterbund sah durch den Bericht seine "schlimmsten Befürchtungen" bestätigt. Präsident Franz Schnabl forderte daher eine noch stärkere Einbindung der Hilfsorganisationen bei der Betreuung der Flüchtlinge, besonders der unbegleiteten Minderjährigen.

BZÖ: Amnesty stellt Falsche an den Pranger
"Österreich unternimmt wirklich alles, um Schutzbedürftigen ausreichend zu helfen. Jetzt an den Pranger gestellt zu werden, ist wirklich mehr als vermessen", sagte dagegen für das BZÖ der Kärntner Landtagsabgeordnete Willi Korak. Das Land sei längst an der Grenze der Belastbarkeit angekommen, während andere EU-Staaten keinerlei Anstalten machten, ihrer humanitären Verpflichtung nachzukommen. Daher habe das BZÖ auch einen Aufnahmestopp von Flüchtlingen verlangt, um jene Schutzbedürftigen, die bereits in Österreich sind, auch nach entsprechenden Standards versorgen zu können. "Wir haben uns in der Flüchtlingsfrage stets konstruktiv mit Vorschlägen und Ideen eingebracht. Die Bundesregierung hat aber über Monate den Kopf in Sand gesteckt. Jetzt hat sie dafür die erste Quittung bekommen", so Korak.

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