Nach Ambulanzchaos

So steht es um unser Gesundheitssystem

Österreich
07.02.2016 10:31

Vergangene Woche war im Wiener Donauspital für Hunderte kranke Kinder nur eine Handvoll Mediziner da. Es gab bis zu 16 Stunden Wartezeit. Sogar die Polizei rückte aus, um aggressiv werdende Eltern zu beruhigen. Bei so heftigen Emotionen sollte man in Ruhe hinterfragen, wie es mit der öffentlichen Meinung zu unserem Gesundheitssystem aussieht.

1. Zuerst die gute Nachricht: Allgemein herrscht hohe Zufriedenheit mit der gesundheitlichen Versorgung in Österreich. Gemäß "Gesundheitsbarometer" - einer Langzeitstudie des Instituts für Strategieanalysen (ISA) für das zuständige Ministerium - sind bis zu 90 Prozent positiver Meinung. Am meisten anerkannt werden allgemeine Krankenversicherung und medizinische Qualität. Letzteres ist wichtig, weil Vertrauen die Voraussetzung für jede Behandlung ist.

Insofern war es dumm, dass sich Ärztevertreter und Gesundheitsstadträtin zum Donauspital ein Mediengefecht lieferten, wer schuld und was grundsätzlich alles mies sei. Nach einem Einzelfall reden sich beide Seiten ihre ganze Branche und deren Vertrauenswürdigkeit jetzt schlecht.

2. Ärzte sind im Streit mit den Politikern "Götter in Weiß". Sie vergessen, dass ihr Positivimage die Wartezeiten als Pferdefuß hat. Diese werden als größtes Problem empfunden. Da ist es für die Ärztekammer als ihre Kommunikationsstrategie verlockend, dass im Zweifelsfall die böse Politik mit ihren Gesetzen verantwortlich ist.

In Wahrheit geht es beim Warten im Spital auch um ärztliche (Mehr-)Dienstzeiten und Gehaltszuschläge. Die Kammer ist demnach eine Lobby, die sich um das Geld ihrer Mitglieder kümmert. Vor allem jedoch umfasst die Kritik an der Wartezeit genauso die Haus- und Fachärzte, und wann deren Ordinationsöffnungszeiten.

Der Wunsch der Bevölkerung ist nicht, dass praktische Ärzte länger arbeiten. Nein, es würde eine bessere Koordination genügen, um zu Tagesrandzeiten und am Wochenende offene Praxen zu finden. Was das Desaster im Donauspital vielleicht gemildert hätte.

3. Doch jeder braucht seinen Arzt, also steht die Berufsgruppe in der öffentlichen Meinung unter Artenschutz. Nur Patientenbeschimpfung ist unpopulärer als Ärztekritik. Obwohl es im Denken einiger Patienten zu Spitälern & Co. Absonderlichkeiten gibt, die sie zu Mitschuldigen an Systemfehlern machen.

Gemeint sind nicht echte Kranke oder um ihre Kinder besorgte Eltern. Sondern Erwachsene, welche mit Hautreizungen nach einer Rasur sofort die Ambulanz aufsuchen. Oder wegen Übelkeit nach Alkoholkonsum. Oder für ein Pflaster. Ein exzellentes Gesundheitssystem bedeutet nicht, dass bei Wehwehchen der Notarzt im Spital aufgesucht wird.

Dieselben Leute beschweren sich, wenn für sie nicht die teure Maschinerie des Spitalbetriebs angeworfen wird. Es fehlt oft das Kostenbewusstsein, welche Sozialleistungen man allzu leichtfertig beansprucht.

4. Apropos Kosten: Ungeachtet der hohen Zufriedenheit wird als Luxusproblem von rund der Hälfte der Bürger und somit Wähler vom Staat erwartet, für Gesundheit immer mehr Leistungen anzubieten. Wo das Geld herkommen soll? Gesundheitsökonomen verweisen darauf, dass für unsere unbestritten gute Versorgung im Verhältnis zu viel ausgegeben wird.

Ihr Beispiel sind die Doppelgleisigkeiten durch Spitäler dies- und jenseits einer Bundeslandgrenze. Die gleiche Wählerschaft, die sonst gegen verschwendetes Steuergeld protestiert, will klar mehrheitlich entsprechende Budgetausgaben.

5. Mit anderen Worten: Landespolitiker, die nicht den Bestand jeder Abteilung ihrer Spitäler garantieren, begehen wahltaktischen Selbstmord. Im Burgenland etwa sind die Zufriedenheitswerte mit der Gesundheitsversorgung besonders gut. Dennoch wäre in der Steiermark die Hölle los, wenn ein Hartberger Gemeinderat meint, Kinder sollen künftig im modernen Neubau des Oberwarter Spitals zur Welt kommen.

Er hätte null Wiederwahlchance, obwohl das burgenländische Oberwart in unmittelbarer Nähe und für manchen Steirer schneller erreichbar ist als die eigene Bezirkshauptstadt. Ähnlich aussichtslos sind Versuche, Hainburger als stolze Niederösterreicher zu überzeugen, dass im benachbarten Kittsee ein ausgezeichnetes Spital steht.

Ebenso unfair ist es, von der Gesundheitsministerin ein Durchgreifen zu fordern. Das Amt beinhaltet die Kompetenzen einer Moderatorin ohne Entscheidungsgewalt. Wer sich da mit Ländern, Kammern und Versicherungsanstalten durchverhandelt, ist zu bewundern.

6. Wer profitiert von gesundheitspolitischen Turbulenzen? Keiner. Nicht einmal die Opposition hat etwas von der steigenden Verunsicherung in der Bevölkerung. Niemand glaubt, dass sein krankes Kind zwangsläufig von ihr besser gepflegt würde. Ein parteiübergreifender Schulterschluss ist aber trotzdem Illusion.

In Österreich und überall. Barack Obama spaltet die USA, weil er eine verpflichtende Krankenversicherung will. Große Bevölkerungsteile sagen, die Politik dürfe sich nicht einmischen, obwohl 50 Millionen unversicherte Amerikaner ohne Spitalszugang eine Tragödie seien. Das verstehe, wer will.

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