Strolz im Interview

NEOS-Chef: “Ich glaube nicht an heiße Eislutscher”

Österreich
01.10.2013 19:13
Er hat alles riskiert und - gewonnen! Im Interview mit Conny Bischofberger spricht NEOS-Gründer Matthias Strolz (auf Anhieb 4,9 Prozent und neun Mandate) über seine manischen Züge, Franks Fehler und die Power von 6.000 Pink People.

Neustiftgasse 73 bis 75, die Kommandozentrale der NEOS. Auf der Straße stehen Menschen für den "Soma" Schlange, im Dachgeschoß sitzen junge Leute mit ihren Laptops an einer langen Tafel mit Kuchentellern und leeren Gläsern. 48 Stunden nach dem Wahlsieg (die NEOS schaffen mit neun Mandaten auf Anhieb den Einzug ins Parlament) verblasst die Partystimmung allmählich. Ab und zu scheucht ein Windstoß ein paar letzte pinke Luftballons durch das Loft (sogar die Kleiderbügel und Regenschirme leuchten hier pink).

Der "Chef" hat ein winziges Büro mit Dachschrägen und einem XXL-Bergpanorama aus dem Klostertal an der Wand. "Heimatgefühle", sagt der gebürtige Vorarlberger und holt tief Luft. Matthias Strolz trägt Jeans und ein hellblaues Hemd, dessen Farbton auf seine Huskie-blauen Augen abgestimmt ist, und am rechten Handgelenk ein NEOS-Freundschaftsband. Wenn er spricht, dann auch immer mit den Händen: Mal reißt er sie in die Höhe, dann wieder faltet er sie wie zum Gebet, malt mit ihnen imaginäre Bilder auf die Tischfläche, zieht Kreise in der Luft. Der Mann hat Visionen. Und er glüht für Politik.

"Krone": Von null auf hundert, ruck-zuck ins Parlament - was machen Sie jetzt mit diesem Erfolg?
Matthias Strolz: Gestalten! Wir NEOS sind in unserer DNA und auch von unserem Selbstverständnis her Anpacker und Umsetzer.

"Krone": Kommen Ihnen die 4,9 Prozent wie ein Lotto-Sechser vor?
Strolz: Nein... Weil ein Lotto-Sechser reine Glückssache ist. Wir aber haben Hunderttausende ehrenamtliche Stunden lang gerackert wie die Wilden, sind von 40 auf 6.000 Leute gewachsen innerhalb von 16 Monaten, haben 25 Klausuren gemacht, da ist eine unglaubliche Leidenschaft...

"Krone": Stimmt es, dass die Rekrutierung über Tupperware-Partys erfolgt ist?
Strolz: Wir haben's NEOS-Tupper-Abende genannt und prompt eine Unterlassungsaufforderung des Konzerns bekommen. (lacht) Fortan nannten wir es "NEOS@home". Wir haben über 200 solche Abende veranstaltet - von zehn Leuten auf Bierbänken bis hin zu Partys mit 120 Menschen, wo wir vom Lüftungsschacht des Nachbarhauses mit einem Megafon die Diskussion führten. Die Leute sind immer beschwingt nach Hause gegangen. Dass wir so viele Köpfe und auch Herzen erreicht haben, hat uns unglaublich viel Energie gegeben.

"Krone": Bei Tupperware-Partys werden den Leuten Plastikdoserl angedreht. Was haben Sie den Leuten angedreht?
Strolz: Politik! Wenn ein Ort so depressiv und düster beieinander ist wie die Politik, mit lauter negativen Vibrationen, dann kann an dem Ort nix G'scheites mehr wachsen. Deshalb haben wir Politik für uns neu definiert: Politik ist für uns der Ort, wo wir uns ausmachen, wie wir miteinander leben. Einmal hab ich - während die Spitzenkandidaten im ORF Worthülsen abgesondert haben - mit 100 jungen Menschen über Politik nachgedacht. Es war einfach unglaublich, welche drei Assoziationen sie spontan hatten. Erstens: Korruption. Zweitens: Stillstand. Drittens: Lügen. Wenn ein Unternehmen diese Assoziationen auslöst, sperrt es besser zu.

"Krone": Stichwort ORF. Am Sonntag sind Sie das erste Mal mit den höchsten Polit-Funktionären vor der Kamera an einem Tisch gesessen. Ihr Bauchgefühl?
Strolz: Ich hab gespürt: Es braucht uns dringend! Das war so blutleer alles... Die einzige Energie, die sich bei diesen Diskussionen aufbaut, ist Zynismus oder Aggression. Aber positive Energie - im Sinne einer Freude, einer Zuversicht, eines Anpackens - war für mich nicht spürbar.

"Krone": Was lässt Sie hoffen, dass Sie nicht genauso Teil dieses Systems werden mit den Jahren?
Strolz: Wir sind eine Bürgerbewegung, extrem offen in der Art, wie wir miteinander umgehen. Alles wird gefeedbackt und kommentiert, ein Sounding-Board spiegelt uns aus der Vogelperspektive, wo wir uns gerade befinden, was wir gerade tun und wie wir uns verändern. Wir arbeiten auch mit systemischen Aufstellungen. Ich bin ein großer Fan dieses Zugangs und dieser Arbeitsweise. Dadurch hatten wir Erfolg - und über diesen Erfolg haben wir auch Hans Peter Haselsteiner für uns gewonnen.

"Krone": Wie muss man sich das vorstellen?
Strolz: Unsere Betrachtungen haben klar gezeigt, wir brauchen einen prominenten Kopf für die Leute ab 45. Die Jungen erreichen wir alle selber über die sozialen Medien. Aber für die Älteren hat es den Grand Seigneur gebraucht...

"Krone": Nicht vielmehr sein Geld?
Strolz: Der Herr Haselsteiner hat bisher 440.000 Euro eingebracht und eine Bürgschaft über 500.000 Euro. Aber wir haben aus eigener Kraft 1,5 Millionen Spenden gesammelt von fast 3.000 Spenderinnen und Spendern. Zum Vergleich haben die Grünen im letzten Jahr 11.000 Euro gesammelt und elf Millionen Euro an öffentlicher Förderung bekommen.

"Krone": Frank Stronach hat zig Millionen in seinen Wahlkampf gesteckt und - vorbehaltlich der letzten Wahlkarten - nur 0,8 Prozent mehr Wählerstimmen erreicht. Haben Sie Mitleid mit ihm?
Strolz: So was würde ich Herrn Stronach, wenn es so wäre, nie über die "Krone" ausrichten... Ich glaube, er hat eine falsche Entscheidung getroffen.

"Krone": Welche?
Strolz: Nicht die NEOS zu unterstützen. Ich war Anfang 2012 bei ihm, als er gesagt hat, er möchte junge politische Initiativen unterstützen. Ich dachte: "Hey! Der meint uns!" Ich bin zu ihm gefahren und hab' gesagt: "Da sind wir!" Wir sind nicht zusammengekommen.

"Krone": War er arrogant?
Stronach: Nein. Aber es war irgendwie spürbar, dass es nur einen einzigen Modus der Kooperation mit ihm geben kann, und der lautet Unterwerfung. Hey! Wir NEOS sind Freunde der Eigenverantwortung, wie kann ich mich unterwerfen? Dabei hätten wir ihm eine Statue gebaut am Heldenplatz. Es ist schade um sein Lebenswerk. Sein Lebenswerk ist großartig. Aber es war die falsche Entscheidung.

"Krone": Herr Strolz, Sie werden als Energiebündel bis hin zum Maniker beschrieben, als überdrehter "Gschaftlhuber". Wie lautet Ihre Eigendefinition?
Strolz: Ich weiß, dass über mich behauptet wird, ich sei unterwegs wie der Duracell-Hase. Ich habe ein hohes Energieniveau, aber wer sich mit meiner Energie wirklich beschäftigt, erkennt, dass diese Leidenschaft von einem inneren Ort großer Ruhe und Klarheit ausgeht. Ich bin sehr glücklich in meinem Tun.

"Krone": Stimmt es, dass Sie die Entscheidung, Politiker zu werden, im Wald und mithilfe eines alten indianischen Rituals gefällt haben?
Strolz: Ich habe fünf Tage und vier Nächte im Wienerwald verbracht, alleine, fastend, sinnierend. Am vorletzten Abend habe ich die Nacht am Lagerfeuer durchwacht. Am letzten Tag bin ich auf einem Felsen gesessen und habe folgendes geschrieben: "Du bist ein Gärtner des Lebens. Kultiviere Formen und Felder sämtlicher Art."

"Krone": Könnte es sein, dass an Ihnen ein Schamane verloren gegangen ist?
Strolz: Der Generalverdacht lautet sicher: Du bist ein Esoteriker. Ich sehe mich nicht als solchen. Sondern: Ich sehe die NEOS als erste systemische Partei Österreichs. Ja, ich halte Politik für eine spirituelle Disziplin.

"Krone": Ganz unspirituell gefragt - was erhoffen Sie sich von den beginnenden Sondierungsgesprächen?
Strolz: Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass es für Österreich der falsche Weg wäre, zu sagen: Machen wir wieder Rot-Schwarz. Deshalb haben wir das Angebot gemacht, der dritte Partner an Bord zu sein.

"Krone": Warum sollten Faymann und Spindelegger das machen?
Strolz: Weil keiner in diesem Land mehr an die große Koalition glaubt! Ich könnte als Bildungsminister Schmied und Töchterle nachfolgen, ich habe": Ganz ehrlich: Wie hoch schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit für so einen Schritt?
Strolz: Ich glaube auch nicht an heiße Eislutscher, deshalb wird sie wohl bei 30 Prozent und weniger liegen. Es wird davon abhängen, ob sich ein öffentlicher Druck aufbaut. Er könnte etwa vom Bundespräsidenten ausgehen, aber der hat sich ja schon klar geoutet.

"Krone": Wäre auch Schwarz-Blau-NEOS denkbar?
Strolz: Nein. Heinz-Christian Strache hat meinen Respekt, viele seiner Ideen sind auch gut, aber zwei Punkte trennen uns. Deshalb würden wir uns mit ihm nicht in eine Ehe begeben.

"Krone": Europa und Ausländer?
Strolz: Korrekt. Wir bauen keinen Zaun rund um Österreich, fünf Meter hoch, und führen vielleicht noch den Schilling ein. Wir sind glühende Europäer. Und beim Ausländerthema stellen wir das Positive vor das Negative. Wir treiben keinen Keil in die Gesellschaft.

"Krone": Und welche Strache-Idee finden Sie gut?
Strolz: Er sagt: "Legen wir die Sozialversicherungen zusammen!" Da sag ich: "Ja! Hurra! Strache, Stronach, NEOS, wer noch? Bitte aufzeigen. Machen wir's!"

"Krone": Ihre Lieblingskoalition wäre also Rot-Schwarz-NEOS?
Strolz: Nein, meine Wunschkoalition wäre NEOS-Schwarz-Grün. Reden wir 2018 drüber.

"Krone": Wie soll Österreich in zehn Jahren dastehen?
Strolz: Da möchte ich sagen können: Österreich ist mutiger geworden, Österreich hat einen aufrechteren Gang, Österreich ist aktiv an der Gestaltung Europas beteiligt. Und: Wir haben jedem Kind die Flügel gehoben, denn es ist eine Schande für dieses Land, dass immer mehr Kinder - Inländer und Ausländer - nicht gscheit Deutsch können mit 15.

"Krone": Aber Strolz als Bildungsminister wird's wohl nicht spielen...
Strolz: Ich habe auch das Gefühl, dass sich der Enthusiasmus, dass wir da sind, beim Bundeskanzler in Grenzen hält... Rot und Schwarz haben Angst vor unserer Lebendigkeit.

"Krone": Als ehemaliger Politikberater - was würden Sie Faymann und Spindelegger raten?
Strolz: Mut zu haben. Und nicht so viel in der Zeitung zu reden, sondern das direkte Gespräch zu suchen. Das werde ich ihnen als Nächstes auch sagen.

Loading...
00:00 / 00:00
play_arrow
close
expand_more
Loading...
replay_10
skip_previous
play_arrow
skip_next
forward_10
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
explore
Neue "Stories" entdecken
Beta
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.



Kostenlose Spiele