"Schlacht ums Heer"

“Krone”-Serie: Die Wehrpflicht – ein Auslaufmodell

Österreich
05.01.2013 17:26
Die Wehrpflicht in ihrer heutigen Form ist ein "Kind" der Französischen Revolution, um Massen-Armeen auf die Beine stellen zu können ("Volk in Waffen"). Seit dem Ende des Kalten Krieges zwischen Ost und West, der komplizierten Ausbildung an modernen Waffensystemen und dem Vormarsch von Fernwaffen haben Massen-Armeen in Europa ausgedient. Teil 1 der "Krone"-Serie "Schlacht ums Heer".

Der Fall der Berliner Mauer leitete einen tiefgreifenden Wandel für das Militär ein: Die damaligen Verteidigungssysteme gingen von einer Bedrohung durch die Sowjetunion aus und planten den Einsatz Hunderttausender Infanteristen ein. Inzwischen haben sich die Aufgaben grundlegend gewandelt: Zunehmend werden Spezialisten benötigt, um hochkomplexe Waffensysteme zu bedienen.

Seit dem Beginn der 90er-Jahre des vorigen Jahrhunderts haben immer mehr Länder die Wehrpflicht abgeschafft und stattdessen eine Profi-Armee aufgebaut. 21 von 27 EU-Staaten setzen bereits auf eine Berufsarmee. Griechenland und Zypern halten die teure Wehrpflicht aufrecht, weil nach wie vor die Furcht vor der Türkei da ist. Finnland und Estland haben ebenfalls ein Massenheer für den Mobilisierungsfall organisiert, weil sie nach wie vor im "russischen Bären" eine mögliche sicherheitspolitische Bedrohung sehen.

Österreich heute von keinem Nachbarn bedroht
Großbritannien ist in den 60er-Jahren zur dort traditionellen Berufsarmee zurückgekehrt. Frankreich schaffte die Wehrpflicht 2001 ab, weil die Regierung eine Professionalisierung der Armee anstrebte. Ebenso sind die Streitkräfte in Spanien seit 2001 eine reine Freiwilligenarmee.

Österreich hingegen ist eingebettet mitten in Europa und wird von keiner Invasion aus der Nachbarschaft bedroht. Die völkerrechtliche Verpflichtung aus der Neutralitätserklärung gebietet die militärische Verteidigungsbereitschaft zu Lande und in der Luft, aber egal, ob durch Wehrpflicht oder Berufsarmee.

Kein Zusammenhang mit Neutralität oder NATO
Wehrplichtsystem oder nicht steht in keinem Zusammenhang mit Neutralität und NATO. Griechenland und die Türkei sind in der NATO und haben (gegeneinander) die Wehrpflicht. Island ist NATO-Mitglied ohne Armee. Das neutrale Irland und das allianzfreie Schweden und Malta setzen auf eine Berufsarmee.

Die Schweiz als europäischer Sonderfall
Der Staat mit einem legendären Wehrpflichtsystem ist die Schweiz. Dort hat die Armee eine mehrfache Funktion. Das "Volk in Waffen" ist der Kitt, der vier Völker zu einer Nation zusammenschweißt. Diese hatten über Jahrhunderte gemeinsame Verteidigungsinteressen nach außen. Mittlerweile ist der Schweiz der Feind abhandengekommen. Heute hält das Geld die Schweiz zusammen. Noch zögerlich beginnt nun auch in der Schweiz die Debatte über die Wehrpflicht.

Belgien, die Niederlande, Dänemark und Norwegen waren nach 1945 mit wehenden Fahnen der NATO beigetreten, weil die De-facto-Neutralität sie in keiner Weise vor Hitler geschützt hatte. Die Schweiz und Schweden hatte sich Hitler als Nachtisch für nach dem Krieg aufgehoben.

Gute Erfahrungen bei der Umstellung in Europa
Die Erfahrungswerte bei der Umstellung auf Berufsarmeen sind in der Regel positiv. Beispiele:

  • Italien: Überangebot an Freiwilligen wegen der Voraussetzung der späteren Übernahme in den Dienst staatlicher Organisationen (Polizei etc.).
  • Slowenien: Positive Erfahrungen bei der Ausbildung im Zusammenhang mit moderner und komplexer Ausrüstung.
  • Tschechien: Einsatzbereitschaft der Truppe hat sich erhöht.
  • Niederlande: Die Streitkräfte bewerten die seinerzeitige Umstellung als gelungen und als insgesamt positiv für die Entwicklung modern ausgerüsteter Streitkräfte.
  • Spanien: Umstellung auf Berufsheer im Frühjahr 2001 aufgrund des Drucks der öffentlichen Meinung, der dramatisch steigenden Zahl an Wehrdienstverweigerern und dem starken Zulauf zum Alternativdienst. Attraktivitätssteigerung für Zeitsoldaten (statt Arbeitslosigkeit) durch die Bereitstellung von Arbeitsplätzen in staatlichen Organisationen. Erfahrungswerte nach zehn Jahren: Zahl der Zeitsoldaten erreicht. Nach der Einstiegserhöhung des Herresbudgets sind die Militärausgaben seither von 0,92 Prozent der nationalen Wirtschaftsleistung (BIP) auf 0,73 Prozent gesunken. Zwei Drittel der Zeitsoldaten haben die Chance auf dauerhafte Anstellung bei den Streitkräften, in der Polizei oder der staatlichen Verwaltung. Als Begleitmaßnahme der Systemumstellung ist in Spanien ein Spezialverband für die Katastrophenhilfe mit 6.000 Mann bestehend aus sechs Bataillonen und einer Luftunterstützungseinheit aufgestellt worden. Der dreijährige Budgetrahmen beträgt 736 Millionen Euro. Diese Profi-Kräfte mit ihren Spezialgeräten erhalten zahlreiche Hilfsansuchen aus dem Ausland.
  • Schweden: Das Land betreibt eine allianzfreie moderne Sicherheitspolitik, wie jene Österreichs aussehen sollte. Das schwedische Modell heute: Der Frauenanteil in der Armee hat sich seit der Umstellung auf 18 Prozent wesentlich erhöht. Schweden will die Zahl der Offiziere von derzeit 6.500 auf 3.000 reduzieren und stattdessen die Zahl der Unteroffiziere von derzeit 3.000 auf 6.000 verdoppeln. Die schwedische Berufsarmee ist der größte Arbeitgeber für die Jugend des Landes. Der Verteidigungsminister bei der Umstellung des Systems, Sten Tolgfors, hält ein Berufsheer für effektiver und gerechter: "70 Prozent der Grundwehrdiener verließen die Armee, so schnell sie nur konnten. Wir investierten also in Menschen, die gar nicht bei uns sein wollten."

Teil 2: Die Kostenwahrheit

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