Faymann bei Merkel

“Gute Nachbarn” erhöhen in Asylkrise Druck auf EU

Österreich
15.09.2015 18:50
Nachdem die EU-Innenminister einmal mehr an einer Antwort auf die Flüchtlingskrise gescheitert sind, soll es nun ein Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs richten. Nach den Vorstellungen Deutschlands und Österreichs soll das Treffen bereits kommende Woche stattfinden, eine entsprechende Forderung wurde am Dienstag in Brüssel deponiert. "Deutschland, Österreich und Schweden können die Krise nicht alleine stemmen", sagte Bundeskanzler Werner Faymann. Bis Donnerstag soll laut EU-Ratspräsident Donald Tusk eine Entscheidung über den Sondergipfel fallen, am nächsten Dienstag findet zudem ein weiteres Krisentreffen der EU-Innenminister statt.

Faymann und die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel waren bei einem Treffen Dienstagmittag in Berlin bemüht, die gemeinsame Linie ihrer beiden Länder hervorzustreichen. Von "guten Nachbarn" sprach Merkel, Faymann duzte seine Amtskollegin mehrfach und dankte ihr für ihren Einsatz in der Krise. Auch die Positionen waren großteils ident: Nur ein gemeinsames europäisches Vorgehen könne die Krise lösen, schnellstmöglich sollen Aufnahmezentren in Griechenland und Italien errichtet und die Herkunftsländer der Flüchtlinge unterstützt werden.

Quotengegner: Faymann für Geld-Stopp, Merkel gegen "Druck"
Nicht ganz einig war man sich über den Weg, wie die EU-Partner auf die deutsch-österreichische Linie eingeschworen werden sollen: Während Faymann zum wiederholten Mal in den Raum stellte, Gegnern der angepeilten EU-weiten Flüchtlingsquoten finanzielle Unterstützungen zu kürzen, sprach sich Merkel gegen derartigen "Druck" aus. "Wir haben bisher immer gemeinsam Lösungen gefunden", sagte sie etwa mit Blick auf die Griechenland-Krise. Allerdings: "Diesmal ist es sehr, sehr schwer."

Während sich die Regierungsspitze - neben Faymann waren auch Vizekanzler Reinhold Mitterlehner und Innenministerin Johanna Mikl-Leitner nach Berlin gereist - zumindest mit den deutschen Nachbarn im Gleichschritt zeigte, knirscht es innenpolitisch gehörig, wie etwa die ORF-Diskussion der Klubobleute am "Runden Tisch" am späten Montagabend zeigte. Von einem nationalen Schulterschluss angesichts der dramatischen Lage konnte keine Rede sein, auch koalitionsintern traten zuletzt Spannungen zutage. Das rief Kanzleramtsminister Josef Ostermayer auf den Plan, der am Dienstag von einer heiklen "Balance zwischen Humanität und Kontrolle" sprach und die Misstöne in der Koalition relativierte.

Die wichtigsten politischen Ereignisse des Tages im krone.at-Überblick:

  • 14.44 Uhr: Die dramatische Situation habe das Potenzial, die EU als Projekt zu gefährden, sagt Faymann. In einer derartigen Krise nicht zu handeln, bringe die europäische Idee "in den Herzen von vielen Menschen" in Gefahr. Wie lange die am Dienstag auch von Österreich begonnenen Grenzkontrollen aufrechterhalten werden sollen, lassen Faymann und Merkel offen.
  • 14.42 Uhr: Deutschland, Österreich und Schweden können die Flüchtlingskrise nicht alleine stemmen, sagt Faymann. Deshalb sei die Einberufung eines Europäischen Rats in dieser Frage "so wichtig". Solidarität bedeute nicht, "karitativ" tätig zu werden, sondern zu erkennen, dass ein Problem "nur gemeinsam lösbar ist und nicht alleine".
  • 14.26 Uhr: Merkel bedankt sich ausdrücklich auch bei den Helfern in Österreich. Sie nennt konkret das Nadelöhr Nickelsdorf. Die Kanzlerin, von Faymann demonstrativ geduzt, bezeichnet Deutschland und Österreich als "gute Nachbarn", für die es selbstverständlich sei, gemeinsam vorzugehen - sowohl bei der Grenzöffnung angesichts des beginnenden Flüchtlingsansturms aus Ungarn vor eineinhalb Wochen als auch bei der nunmehrigen Einführung von Grenzkontrollen.
  • 14.24 Uhr: Als erstes Ergebnis ihres Gesprächs präsentieren Faymann und Merkel einen gemeinsamen Antrag auf einen EU-Sondergipfel zur Flüchtlingskrise bereits in der kommenden Woche. Bei dem Treffen der Staats- und Regierungschefs solle es unter anderem darum gehen, wie die Herkunftsländer von Flüchtlingen besser unterstützt werden können, sagt Merkel. Auch mit der Türkei müsse man "besser ins Gespräch kommen". EU-Ratspräsident Tusk prüfe nun den Wunsch Deutschlands und Österreichs.
  • 14.05 Uhr: Die gemeinsame Pressekonferenz von Faymann und Merkel in Berlin verzögert sich. Grund sei ein Telefonat mit EU-Ratspräsident Donald Tusk, in dem dieser eindringlich aufgefordert werden solle, einen Sondergipfel einzuberufen, berichtet der ORF.
  • 13.38 Uhr: An der serbisch-ungarischen Grenze sind Flüchtlinge in den Hungerstreik getreten. Sie protestieren damit gegen die Schließung des Grenzübergangs bei Röszke. Einige der 200 bis 300 Protestierenden haben Schilder mit der Aufschrift "No water no food until border open" ("Kein Wasser, kein Essen bis die Grenze offen ist") angefertigt. Davor hätten sie Essen, das sie von ungarischer Seite bekommen hatten, weggeworfen, berichten ungarische Medien.
  • 13.21 Uhr: Am 24. September soll eine Sondersitzung des Nationalrats stattfinden. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache kündigt eine Ministerklage gegen Innenministerin Mikl-Leitner sowie einen Misstrauensantrag gegen die gesamte Regierung an. Geprüft werde außerdem eine weitere Ministerklage gegen Kanzler Faymann, heißt es aus der FPÖ. In der Sondersitzung soll weiters die Einberufung des Nationalen Sicherheitsrats beantragt werden, da aufgrund der Flüchtlingsströme "Gefahr in Verzug" sei.
  • 13.03 Uhr: Das Bundesheer teilt mit, dass das Jägerbataillon 17 aus Straß-Spielfeld im steirischen Bezirk Leibnitz ab sofort marschbereit für den Assistenzeinsatz an der Grenze ist. Lkws und Container wurden beladen, nun werde auf konkrete Weisungen aus dem Innenministerium gewartet. Man gehe von einem etwa 20-tägigen Einsatz aus, in dem auch die logistische Koordination von Flüchtlingstransporten übernommen werden soll. Die Bewaffnung werde noch festgelegt.
  • 12.44 Uhr: Amnesty International macht die EU für die Verschärfung der Krise verantwortlich. Konkret kritisiert wird das ergebnislose Treffen der Innenminister am Montag. "Das weitere Hinauszögern einer effektiven Lösung wird die humanitäre Notlage an den EU-Außengrenzen weiter dramatisch verschärfen", sagt Amnesty-Asylexpertin Andrea Berg. Die Menschenrechtsorganisation spricht sich für legale und sichere Zugangswege für Flüchtlinge nach Europa aus. "Die Verschärfungen der Grenzpolitik sind ein verheerendes Signal an die verzweifelten Menschen an den EU-Außengrenzen", so Berg.
  • 12.38 Uhr: Das Innenministerium schlägt Alarm: Bei den Notunterkünften droht ein "gravierender Engpass". In der vergangenen Nacht habe es rund 20.000 Quartiere in ganz Österreich gegeben, die allesamt dringend benötigt wurden: Alleine am Montag seien 19.700 Flüchtlinge nach Österreich gekommen. Bis Dienstagmittag wurden neuerlich etwa 4000 gezählt, wobei eine "größere Zahl erwartbar" sei. "Wir haben eine krisenhafte Situation", so der Sprecher des Ministeriums.
  • 12.21 Uhr: Der UNO-Hochkommissar für Flüchtlinge bezeichnet die Ergebnisse des EU-Sondertreffens vom Montag als "sehr enttäuschend". "Als ich gehört habe, dass sich der Ministerrat das nächste Mal im Oktober treffen will, um weiter nachzudenken, habe ich gedacht, das kann nicht wahr sein", sagt Antonio Guterres. Es gehe um eine Notsituation, er sei schockiert gewesen.
  • 12.18 Uhr: Ungarn hat über die zwei südlichen Bezirke Bacs-Kiskun und Csongrad an der Grenze zu Serbien den Ausnahmezustand verhängt. Das ermächtigt die Behörden etwa, Asylanträge im Schnellverfahren abzuwickeln. In der nun von zehn auf 60 Meter verbreiterten Grenzzone könnten auch "Transitzonen" für Flüchtlinge eingerichtet werden, sagt der Vorsitzende des nationalen Katastrophenkomitees, Gyorgy Bakondi.
  • 11.25 Uhr: Die Zahl der Asylanträge sei trotz der Menschenmassen, die in den vergangenen Tagen durch unser Land gezogen sind, "im Schnitt der letzten Wochen und Monate", teilt das Innenministerium mit. Dieser liege bei rund 300 pro Tag.
  • 11.24 Uhr: Bundespräsident Heinz Fischer lobt den Zusammenhalt in der Regierung. Ein "von manchen Medien konstruierter" Konflikt würde nicht bestehen. In Bezug auf die Grenzkontrollen sagt Fischer, der Oberbefehlshaber des Bundesheeres, ungewohnt scharf: "Kann man das nicht anerkennen, dass hier rasch entschieden wurde?" Deutschland sei durch die Dramatik ddie neue Situation zuerst diskutiert und dann entschieden, ebenso wie das Nachbarland zu handeln.
  • 11.21 Uhr: Die am Vortag angekündigten verstärkten Grenzkontrollen werden ab heute "schrittweise aktiviert", heißt es aus dem Innenministerium. Details seien noch "in Vorbereitung".
  • 11.05 Uhr: Die NEOS fordern einen sofortigen EU-Sondergipfel sowie Soforthilfepakete für Aufnahmezentren in Italien, Griechenland und Ungarn und Flüchtlingslager außerhalb von Europa. Klubchef Matthias Strolz kritisiert, dass es kein gemeinsames, entschlossenes Vorgehen der EU-Staaten gebe.
  • 10.56 Uhr: Flüchtlingskoordinator Christian Konradmeldet sich zum ersten Mal seit seiner Installierung ausführlich zu Wort. Er spricht sich unter anderem dafür aus, angesichts der aktuellen Notsituation die Standards bei der Unterbringung von Flüchtlingen zu überdenken. Die für dieses Jahr zu erwartenden 85.000 Flüchtlinge könnten untergebracht werden, gibt sich Konrad zuversichtlich. Erstes Ziel sei die Entlastung des Erstaufnahmezentrums in Traiskirchen: "Wir sind dabei, diesen Krisenherd zu entschärfen."
  • 10.47 Uhr: Auch Litauen teilt mit, jederzeit bereit für vorübergehende Grenzkontrollen zu seinen EU-Nachbarn zu sein. Voraussetzung sei ein verstärktes Flüchtlingsaufkommen, von dem das baltische Land bisher verschont geblieben ist, sagt Innenminister Saulius Skvernelis.
  • 9.18 Uhr: Deutschlands Innenminister Thomas de Maiziere macht weiter Druck auf die Gegner einer verpflichtenden EU-Flüchtlingsquote, insbesondere die osteuropäischen Mitgliedsstaaten. "Wir müssen über Druckmittel reden", sagt der CDU-Politiker im ZDF. Der Widerstand gegen die Aufnahme von Flüchtlingen komme oft von jenen Ländern, die viele Strukturmittel aus Brüssel bekämen. Er finde den Vorschlag von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker richtig, darüber zu reden, dass die betreffenden Länder weniger Mittel aus dem Strukturfonds bekämen.
  • 8.41 Uhr: Kanzleramtsminister Ostermayer bestreitet einen koalitionsinternen Konflikt bei der Handhabung der Flüchtlingskrise. Es habe keine Differenzen zwischen Faymann und Mitterlehner bzw. SPÖ und ÖVP gegeben, sagt er gegenüber Ö1. Beide hätten betont, dass es um eine Balance zwischen Humanität und Kontrolle gehe. "Das ist es auch, was die Deutschen machen", sagt Ostermayer. Die Formulierung für den Assistenzeinsatz habe man am Montagvormittag innerhalb von drei Stunden zusammengebracht. Die am Sonntag bei einer TV-Diskussion recht offen zutage getretenen Auffassungsunterschiede zwischen Außenminister Sebastian Kurz und Sozialminister Rudolf Hundstorfer halte er, Ostermayer, für "nicht relevant".

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