Urteil im Wortlaut

“Entscheidung macht niemanden zum Gewinner”

Österreich
01.07.2016 16:36

Der Verfassungsgerichtshof hat am Freitag das Ergebnis der Bundespräsidenten-Stichwahl aufgehoben. Im Folgenden bzw. im Video oben die Verkündung durch den VfGH-Vorsitzenden Gerhart Holzinger.

"Wahlen sind das Fundament unserer Demokratie. Es ist die vornehmste Pflicht des Verfassungsgerichtshofes, dieses Fundament funktionstüchtig zu erhalten. Die Entscheidung, die ich jetzt verkünden werde, macht niemanden zum Verlierer und niemanden zum Gewinner. Sie soll allein einem Ziel dienen: Das Vertrauen in unseren Rechtsstaat und damit in unsere Demokratie zu stärken.

Der Anfechtung wird stattgegeben. Das Verfahren des zweiten Wahlganges der Bundespräsidentenwahl vom 22. Mai 2016 wird ab der Kundmachung der Bundeswahlbehörde vom 2. Mai 2016 aufgehoben, soweit darin die Vornahme eines zweiten Wahlganges angeordnet wird. Unjuristisch ausgedrückt bedeutet das: Die Stichwahl muss in ganz Österreich zur Gänze wiederholt werden.

Wahlrechtsbestimmungen dienen insgesamt dem Ziel, die Stimmabgabe zweifelsfrei zu dokumentieren und damit verbundene Unklarheiten möglichst zu beseitigen. Als Formalvorschriften sind solche Bestimmungen streng nach ihrem Wortlaut auszulegen. Bei der Durchführung von Wahlen kommt, das ist in der Verfassung im Artikel 26a B-VG geregelt, den Wahlbehörden als Kollegium eine besondere Bedeutung zu.

Wenn im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof hinsichtlich einzelner Wahlbehörden hier Unzukömmlichkeiten zutage getreten sind, dann sind diese Unzukömmlichkeiten nicht in erster Linie diesen Frauen und Männern zuzurechnen, die in einer höchst engagierten Art und Weise versuchen, alles richtig zu machen.

Die von uns festgestellten Verstöße gegen diese Vorschrift und damit zusammenhängende Bestimmungen bilden daher Rechtswidrigkeiten, die auf das Wahlergebnis von Einfluss sein konnten. Ein Nachweis, dass es tatsächlich zu Manipulationen gekommen ist, ist - nach dem vorgesagten konsequent - nicht erforderlich. Der Verfassungsgerichtshof hält jedoch ausdrücklich fest, dass keiner der von ihm einvernommenen Zeugen Anhaltspunkte für tatsächliche Manipulationen wahrgenommen hat.

Wenn der Verfassungsgerichtshof im Wahlverfahren und dabei insbesondere bei Tätigkeiten, die unmittelbar der Sicherung der Wahlgrundsätze dienen, einen rigorosen Maßstab anlegt, so geschieht das im Interesse der Gesetzmäßigkeit der Wahl, die in einer demokratischen Republik, in der alle maßgebenden Staatsfunktionen durch Wahl berufen werden, eines der Fundamente des Staates bildet.

Das Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof hat in diesem Punkt ergeben, dass die Bundeswahlbehörde am Wahltag etwa ab 13 Uhr, also vor Wahlschluss, Wahlergebnisse systematisch auf elektronischem Weg an ausgewählte Empfänger, insbesondere an Medien und Forschungsinstitute weitergegeben hat. Diese Veröffentlichung verstößt gegen den Grundsatz der Freiheit der Wahl. Es muss eine Wiederholungswahl geben für diesen zweiten Wahlgang.

Das soeben abgeschlossene Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof war eine sehr große Herausforderung für den Verfassungsgerichtshof."

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