Leider unlogisch

Drei psychologische Denkfehler der Politik

Österreich
19.03.2016 16:55

Kennen Sie den Film "Denn sie wissen nicht, was sie tun" mit James Dean? Da rasen zwei Halbstarke mit ihren Autos auf einen Abgrund zu. Wer als Erster hinausspringt, gilt als Feigling. Wer Held sein will und zuwartet, ist in Wahrheit ein Dummkopf und stirbt. In der Politik denkt man oft ähnlich unlogisch. Leider.

1.) Das hochverschuldete Kärnten und seine Gläubiger spielen im Fall der Hypo-Alpe-Adria-Bank dasselbe Spiel, welches "chicken game" - mit Hühnchen ist die Feigheit gemeint - heißt. Angesichts der unbezahlbaren Milliardenhaftungen des Landes sagt der Hausverstand, dass es für beide Seiten keinen Sinn macht, aufeinander zuzurasen.

Zwar gibt es in einer Bankpleite keine Toten. Genauso ist freilich niemand der Sieger, sondern sind hüben und drüben nur Verlierer. Das Land geht pleite. Von der kärntnerischen Insolvenz haben Bankiers und Investoren nichts, weil sie wenig bis kein Geld erhalten, also ihre Milliarden abschreiben müssen.

Ein finanzieller Kompromiss wäre vernünftig. Das gleicht dem Filmbeispiel, wo man zusammen und rechtzeitig die Autos stoppen sollte. Kärntens Politiker und das Bankenkonsortium hoffen aber immer noch, dass der jeweils andere früher abbremst und sich danach die eigene Vollbremsung ausgeht.

Womit man in den Kompromissverhandlungen gegenüber dem "Feigling" Vorteile hätte. So wurde der Zeitpunkt eines Ausstiegs versäumt und der Crash oder tödliche Sturz in den Abgrund nähert sich (fast) unaufhaltsam.

2.) Das beschriebene Problem ist mit dem Gefangenendilemma aus der Spieltheorie vergleichbar: Leugnen zwei - getrennt voneinander verhörte - Gefangene ihr Verbrechen, erhalten sie eine niedrigere Strafe, weil nicht alles beweisbar ist. Die Strafe ist höher, wenn beide gestehen. Gesteht allerdings nur einer, bleibt er als Kronzeuge straffrei. Der zweite Täter bekommt die Höchststrafe. Wie würden Sie sich entscheiden?

Das Dilemma, keine Informationen über das Verhalten des "Komplizen" zu haben, erklärt zugleich das Versagen der EU in der Flüchtlingspolitik. Für alle Staaten ist es trotz aller Risiken verlockend, einseitig von den Handlungsweisen der übrigen Länder zu profitieren. Also handelt man egoistisch statt partnerschaftlich.

25 der 28 EU-Mitglieder haben ausgenutzt, dass Deutschland, Österreich und Schweden über 90 Prozent der Flüchtlinge aufnahmen. Nun muss Österreich für sich mit Grenzzaun und Obergrenze agieren, weil die Regierung nicht an eine europäische Lösung glaubt. Die Türkei versucht sowieso, für ihre Mithilfe möglichst viel Geld und politische Zugeständnisse herauszuschlagen.

Aus einzelstaatlicher Sicht ist das verständlich. Der Haken daran: Handelt jedes einzelne Land in Europa auf Kosten anderer zum eigenen Vorteil, so führt dies zum Ende der Gemeinsamkeit. Die EU als supranationale Organisation macht keinen Sinn, wenn nicht alle Mitglieder und Beitrittswerber im Interesse der Gesamtgruppe auf ihren größtmöglichen Nutzen - "Wir nehmen möglichst wenige Flüchtlinge, anderswo können ruhig so viel als möglich sein!" - verzichten.

An sich ist die Aufteilung der Flüchtlingszahl in sämtlichen (!) Staaten in und um die EU eine Lösung. Mit einem Richtwert vulgo Obergrenze nach österreichischem Vorbild, jedoch überall "gleich", also entsprechend der Größe und Wirtschaftskraft eines Landes. Um das zu schaffen, müssten sich freilich Politiker gegenseitig vertrauen. Sobald einer versucht, dass X mehr und Y weniger bis keine Flüchtlinge aufnimmt, ist das Modell zum Scheitern verurteilt. Sowohl Werner Faymann als auch Viktor Orbán hätten spieltheoretische Bücher lesen sollen.

3.) Apropos Faymann: Er und seine Partei befinden sich ja in einer seltsamen Partnerschaft. SPÖ und ÖVP haben eine Regierungskoalition gebildet und streiten untereinander mehr als mit der Opposition. Das muss ebenfalls psychologische Gründe haben. Denn SPÖ und ÖVP verlieren Wählerstimmen vor allem an die FPÖ, warum bekämpfen sie sich gegenseitig zum eigenen Schaden?

Das ist so, als hätte man in einem Haus mit zehn Zimmern seinen Schlüssel verloren. Nur in einem Raum ist Licht, dort wird gesucht - weil's leichter ist. Obwohl die Wahrscheinlichkeit den Schlüssel zu finden statistisch lediglich 1:10 beträgt.

Ein Schlüsselgleichnis sieht folgendermaßen aus: Funktionäre der SPÖ und ÖVP haben gelernt, einander zu attackieren, und ernten dafür Schulterklopfen in den eigenen Reihen. Also erfreuen sie sich trotz Sinnlosigkeit an ihrer beleuchteten Suche. Im Auftreten gegen die FPÖ sind sie weniger routiniert. Also macht man sich zu selten die Mühe des Weges in neun dunkle Räume. Nur dort könnte die Regierung jedoch den Schlüssel der Rückkehr zu Wahlerfolgen finden.

Die Moral von der Geschichte ist, dass die Politikwissenschaft vielleicht zu sehr von einem rationalen Ansatz ausgeht, wie Politiker handeln, ob vernünftig oder berechnend. In Wirklichkeit werden Vor- und Nachteile politischen Handelns nicht sorgsam genug abgewogen. Entscheidungen sind zu oft unbewusst und emotional erklärbar.

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