Terror rückt näher

Was tun mit der Angst, Herr Professor?

Österreich
23.07.2016 17:17

Wenn Anschläge immer näher kommen und das Gefühl eines globalen Dramas entsteht, was hilft dann? Im Interview mit Conny Bischofberger spricht der international anerkannte Angstforscher Prof. Borwin Bandelow über Strategien gegen Terror- und Zukunftsängste.

"Angst vor Terror so groß wie nie" titelte die "Krone" am vergangenen Freitag. 83 Prozent der Österreicher fürchten internationale Anschläge, so das Ergebnis einer Unique-Research-Studie. Ein nie da gewesener Wert. Noch am selben Abend dann die Nachricht des entsetzlichen Amoklaufs von München.

An der Uni Göttingen sitzt der weltweit anerkannte Angstforscher Prof. Borwin Bandelow. "Das österreichische Ergebnis deckt sich mit der neuesten Untersuchung in Deutschland", bestätigt der Psychiater und Experte für Angststörungen. Im telefonischen Interview erklärt, relativiert, vergleicht und tröstet Bandelow. Dabei klingt immer wieder sein Humor durch, eine der stärksten Waffen gegen Angst. Kein Wunder: Bandelow gilt als Erfinder der Ostfriesen-Witze.

"Krone": Anschläge wie am Freitag in München, vorher in Würzburg und Nizza, der Putschversuch in der Türkei mit verheerenden Folgen: Das renommierte deutsche Wochenmagazin "Zeit" schreibt sogar von einem "globalen Drama". Sehen Sie es auch so pessimistisch?
Borwin Bandelow: Der Terror wird von vielen Menschen als unbeherrschbar empfunden. Sobald wir uns vor Sprengstoff schützen, kommt einer mit seinem Lastwagen oder mit einer Axt, die man im Baumarkt kaufen kann. Das heißt, es gibt kaum eine Möglichkeit, wie wir uns vor solchen Attentätern schützen können. Auch dass diese Attentäter, ohne vielleicht Kontakte zum IS gehabt zu haben, sich selbst radikalisieren können, aus Frustration oder aus einer psychischen Krankheit heraus, macht das Ganze so bedrohlich. Aber eines bringt jede neue Gefahr mit sich: Die Menschen überschätzen die statistische Wahrscheinlichkeit, dass diese Gefahr eintritt, völlig. Denn Gefahren, die täglich auf uns lauern, wie etwa Tod durch Fahrrad-, Reitunfall oder Blitzschlag, treten viel häufiger auf als Terroranschläge.

"Krone": Soll das eine Beruhigung sein?
Bandelow: Nein, denn Angst lässt sich nicht mit Statistiken beruhigen. Sie wird in einem Teil des Gehirns produziert, der relativ einfach gestrickt ist. Das ist so ein uraltes, evolutionäres Gebiet im Gehirn, das schon immer da war und das sich durch Fakten nicht beeindrucken lässt. Wir können hundertmal erzählen, dass Spinnen in Deutschland und Österreich - bis auf die Vogelspinne - ungefährlich sind, trotzdem haben 50 Prozent der Deutschen Angst vor Spinnen. Das ist ein Überbleibsel aus Höhlenmenschenzeit. Da war es von Vorteil, wenn man vor wilden Tieren Angst hatte. Der einzige Trost ist der: Nach einer gewissen Zeit beruhigt sich unser Angstsystem von selbst wieder.

"Krone": Aber die derzeitige Weltlage lässt uns kaum Zeit für Beruhigung. Kaum hat man durchgeatmet, kommt der nächste Anschlag.
Bandelow: Und es werden noch mehrere kommen! Ich fürchte, dass solche Anschläge sogar ein Sport werden wird von jungen Muslimen, die unter antisozialen Persönlichkeitsstörungen leiden, von Kleinkriminellen, die vielleicht auch Drogen genommen, wahllos Kinder in die Welt gesetzt und Frauen vergewaltigt haben. Das sind oft Leute, die nicht am Leben hängen, die dann manchmal sogar eine Rechtfertigung für ihren Tod suchen. Und da sie oft narzisstisch veranlagt sind, wollen sie, dass ihr Tod spektakulär ist. Da passt ihnen das gerade in den Kram, wenn sie das Ganze noch als Attentat gegen die "Ungläubigen" deklarieren können. Ich fürchte deshalb, diese Beispiele werden jetzt erstmal Schule machen, nicht nur in Europa, sondern weltweit. Und es gibt nichts, was uns davor schützen kann. Wir werden uns an diese neue Gefahr gewöhnen müssen.

"Krone": Die Relativierung und das Zitieren von statistischen Zahlen sind ja beliebte Gegenmittel. Auch wirksame?
Bandelow: Ich mache einen Versuch: Die Gefahr, an einem Blitzschlag zu sterben, ist viel höher als bei einem Terrorangriff ums Leben zu kommen. Die Chance dafür beträgt 1:27 Millionen. Bei Tod durch Fahrradunfall ist die Wahrscheinlichkeit 1:15.000. Tod durch Schlaganfall wäre 1:250. Das heißt, die meisten Leute überschätzen die Gefahr, dass sie Opfer eines Anschlags werden könnten, völllig.

"Krone": Aber lässt sich diese Statistik noch lange aufrechterhalten?
Bandelow: Na gut, es könnte natürlich sein, dass die Zahl der Opfer auch in Europa größer wird. Das ist sogar zu befürchten. Aber selbst wenn das eintreten sollte, wäre es kein Grund, noch ängstlicher zu werden. Denn ehrlich gesagt müsste man sonst morgens eigentlich mit einem Helm auf die Straße gehen. Man könnte ja von einem Auto angefahren oder von einem Ziegelstein getroffen werden. Aber haben Sie schon mal Fußgänger mit Helm gesehen?

"Krone": Was also tun gegen die Angst?
Bandelow: Leider gibt es keinen einfachen Tipp für Menschen, die ein mulmiges Gefühl haben, wenn sie ins Fußballstadion oder auf dem Wiener Graben spazieren gehen. Das einzige, was hilft, ist der Vergleich mit anderen, viel größeren Gefahren. Zum Beispiel, dass man am Verschlucken eines Kugelschreibers stirbt. Oder dieser Gedanke: Die Österreicher und die Deutschen haben sogar den Zweiten Weltkrieg überlebt, da sind so schreckliche Dinge passiert… Die Menschen sind sehr anpassungsfähig. Also: Ja, es gibt die Gefahr. Aber durch den Terrorismus wird unser Leben nicht deutlich gefährlicher, als es sowieso schon ist.

"Krone": Wie ist es mit der Angst vor Überfremdung? Was sagt man einem Wiener, der sich in seinem Grätzel nicht mehr zu Hause fühlt?
Bandelow: Das ist tatsächlich eine reelle Angst, weil es durch die Zunahme der Migration zuletzt immer wieder zu Übergriffen gekommen ist. Wir haben in Göttingen gerade einen Mord erleben müssen. Zwei Flüchtlinge aus Eritrea haben einen Flüchtling aus Marokko ermordet. Das macht einem natürlich Sorgen, dass solche Dinge passieren, die früher nicht passiert sind. Diese Angst kann man auch nicht einfach wegwischen. Als Angstforscher stelle ich aber immer wieder fest, dass die Ängste vor Überfremdung in Gebieten, wo fast keine Ausländer leben, zum Beispiel in Sachsen, viel größer sind als in Berlin-Kreuzberg, das ein Multikulti-Stadtteil ist.

"Krone": Ist Angst auch ein Schutzmechanismus?
Bandelow: Ohne Angst hätte es die Menschheit nicht bis heute geschafft. Die Angst leitet uns jeden Tag elegant durchs Leben. Wenn wir im Auto sitzen und aufmerksam beobachten, ob nicht ein 20-Tonner angerast kommt, denken wir gar nicht darüber nach, dass wir in dem Moment auch Angst gehabt haben. Das heißt, Menschen ohne Angst leben nicht lang.

"Krone": Unser Bundeskanzler Christian Kern hat in seiner Antrittsrede gesagt, er wolle die Hoffnungen nähren, nicht die Sorgen und Ängste. Wie klingt das für Sie?
Bandelow: Wie eine leere Floskel, denn Herr Kern kann sie ja nicht erfüllen. Wie will er den Menschen die Ängste nehmen, die Bevölkerung beruhigen? Deren Tenor ist doch: Ihr Politiker seid unfähig, ihr habt zu viele Flüchtlinge ins Land gelassen! Als ob die Regierungen das auf einfache Weise abstellen hätten können, als ob sie Anschläge wie in München oder Nizza oder Würzburg in irgendeiner Weise hätten verhindern können. Es ist eine große Illusion der Menschen, dass unsere Regierungen uns davon schützen werden.

"Krone": Laut einer Studie von Unique Research fürchten sich 83 Prozent der Österreicher vor Terroranschlägen. An zweiter Stelle der Angst-Skala stehen nukleare Katastrophen, auf Platz 3 die Befürchtung, dass in ihre Wohnung eingebrochen werden könnte. Klingt das vertraut für Sie?
Bandelow: Wir haben in Deutschland eine ähnliche Umfrage, und zum ersten Mal war Terror ganz oben auf der Liste, was damit zu tur nivelliert. Platz 2 leuchtet ein, weil Österreich von mehreren teilweise unsicheren Atomkraftwerken umzingelt ist. Und die Zahl der Wohnungseinbrüche ist ja wirklich massiv nach oben gegangen.

"Krone": Wie ängstlich sind eigentlich im Vergleich die Österreicher?
Bandelow: Mittelängstlich, etwa so wie die Deutschen. Dabei kann man ein Nord-Süd-Gefälle beobachten. Leute in den nördlicheren Gefilden haben mehr Angst, sie sparen mehr, schließen mehr Versicherungen ab und bringen mehr Warnschilder an, Leute im Süden weniger. Das hat mit dem Winter zu tun, der die Menschen in der Urzeit gezwungen hat, vorausschauend zu denken, Nahrungsmittel zu horten. Diejenigen, die das geschafft haben, die Bedenkenträger sozusagen, waren die Ängstlichen. Die Fröhlichen und Unbekümmerten hingegen sind ausgestorben.

"Krone": Aber sie hatten vorher ein netteres Leben, nicht wahr?
Bandelow: (lacht) Dazu fällt mir ein: Das Leben ohne Laster dauert auch nicht länger, aber es kommt einem länger vor...

"Krone": Wie sieht die Angstbilanz in gefährlicheren Ländern aus?
Bandelow: In Bagdad gibt es alle paar Tage einen Anschlag mit vielen Toten. Auch in Israel in den 90er-Jahren war das so. Oder in den Slums von Brasilien, wo man fünfmal im Jahr überfallen wird. Die Geschichte hat gezeigt, dass sich die Menschen daran gewöhnen.

"Krone": Wie gefährlich ist Österreich?
Bandelow: Ungefähr 43 Prozent aller Österreicher sterben durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Aber keiner denkt daran, deswegen weniger Germknödel zu essen. Im Gegenteil: Wir schützen uns überhaupt nicht vor Tod durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen, sondern steuern sogar darauf zu, indem wir uns zu wenig bewegen und zu viel Schweinsstelze essen.

"Krone": Sie sind selber Vater. Ist es nicht ein trauriges Zeichen unserer Zeit, dass viele Eltern ihre Kinder nicht mehr gerne fliegen oder auf Konzerte gehen lassen?
Bandelow: Ich habe meinem Sohn sogar ein Ticket nach Istanbul gekauft. Er ist 19 und war auf dem Weg zurück aus Kathmandu. Ich hatte dabei überhaupt keine Bedenken, obwohl er genau an den Plätzen war, wo später etwas passiert ist. Trotzdem habe ich die Chance, dass er da Opfer eines Anschlags wird, als extrem gering eingeschätzt.

"Krone": Sie haben viele Bücher über Angst geschrieben. Welches würden Sie empfehlen?
Bandelow: "Wer hat Angst vorm bösen Mann?" Da geht es um Verbrecher, um Natascha-Kampusch-Fälle, das lenkt schön ab. Ist übrigens eine beliebte Strategie: Man schaut Krimis an, liest Horror-Stories, um die Angst abzubauen. Das hilft, sonst würden nicht so viele Leute "Tatort" gucken am Sonntagabend.

"Krone": Sie haben sich beruflich mit vielen Ängsten beschäftigt. Sind Sie privat übervorsichtig oder eher ein Draufgänger?
Bandelow: Alle nehmen an, dass ich als Angstforscher völlig tiefenentspannt und angstfrei wäre. Deshalb bitten Journalisten mich für Fotos auf das Zehn-Meter-Brett im Schwimmbad, obwohl unten kein Wasser drin ist. Oder ich muss auf Hochhäuser klettern und Spinnen auf meinen Kopf kriechen lassen. Ich sage mir immer, das ist ein kalkulierbares Risiko, dann mach' ich das mal eben! Aber im Grund bin ich eher ein ängstlicher Mensch. Ich fahre zum Beispiel sehr vorsichtig Rad oder Ski.

"Krone": Sie sind bald 65. Angst vor der Pension?
Bandelow: Leider droht mir die Rente tatsächlich schon Ende dieses Jahres. Aber Angstforscher werde ich bleiben und weiter Bücher und Artikel schreiben. Und dann spiele ich auch noch in zwei Bands, Bass und Gitarre, und habe deshalb keine Angst, dass mir langweilig werden könnte.

Zur Person
Professor Borwin Bandelow, geboren am 28. Dezember 1951, ist Angstforscher und stellvertretender Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie im deutschen Göttingen. Der 64-Jährige hat zahlreiche Bestseller zu Angst und ihren Erscheinungsbildern verfasst (u.a. "Das Angstbuch", Rowohlt Verlag, zuletzt erschien ein E-Book über Flugangst). Bandelow ist auch Präsident der Deutschen Gesellschaft für Angstforschung.

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