"Pizzabote" im Talk

Ist Politik nur noch Show, Herr Bundeskanzler?

Österreich
22.04.2017 17:05

Der Kanzler als Pizzabote: Die Klicks auf das Video der neuen SPÖ-Kampagne bewegen sich auf eine Million zu. Mit Conny Bischofberger spricht Parteichef Christian Kern (51) über Inhalte, Image und Inszenierung.

Bundeskanzleramt, Büro Mag. Christian Kern: Der Kanzler sitzt noch am Laptop und beantwortet Mails, als wir am Freitag vor seiner Israel-Reise zum Interview erscheinen. Herzliche Begrüßung. "Wir haben 45 Minuten Zeit, wird das reichen?" fragt Christian Kern und bittet uns an den langen weißen Tisch vor dem großen goldenen Spiegel. Am andern Ende sitzt seine Pressesprecherin und macht sich Notizen.

Er habe nach unserem Termin noch ein Treffen, auf das er sich sehr freue, erzählt der Bundeskanzler und spielt mit seiner Espresso-Tasse. Dazu hat er sich ein Cola light bestellt. "Eine Mitarbeiterin, die vor 43 Jahren hier im Haus als Lehrmädchen angefangen hat, geht in Pension und hat sich zum Abschied ein Treffen mit mir gewünscht. Und ein paar Fotos." Christian Kern ist ihr siebenter Kanzler, aber der erste, der Pizza ausgeliefert hat.

Der Startschuss zur SPÖ-Kampagne "Was bewegt dich" ging auf Facebook hoch wie eine Rakete. Die Klicks auf das Video bewegen sich mittlerweile auf eine Million zu, aber es hagelt auch Kritik. Im "Krone"-Interview lässt der SPÖ-Chef eine sehr bewegende Woche - auch selbstkritisch - Revue passieren.

Im Video - SPÖ-Wahlkampfstart mit Kern als "Pizza-Kanzler":

"Krone": Herr Bundeskanzler, Stand Samstag 12 Uhr: Mehr als 850.000-mal wurde Ihr Pizza-Video auf Facebook angeklickt. Zufrieden?
Christian Kern: Ja, schon. Es zeigt doch ein gewisses Interesse, das mich freut. Offenbar wird diese unkonventionelle Form, über politische Themen zu kommunizieren, auch geschätzt.

Die Reaktionen reichen von genial bis peinlich. Ist Politik nur noch Show?
Nein, weil dahinter ja eine Botschaft steht. Nämlich: Die SPÖ kämpft für die Mittelschicht. Das Video ist nur die Trägerrakete für die politischen Inhalte, der Auftakt einer Kampagne. Als Pizzabote komme ich mit Leuten ins Gespräch, die ich nicht kenne. Ich zeige mit diesem Bild: Der Kanzler hört euch zu. Ihr habt einen Ansprechpartner. Schickt uns die Themen, die euch bewegen. Das Problem der Politik ist ja, dass sie meist eine Sprache pflegt, die bei den Leuten nicht ankommt. Deshalb sind solche Bilder wichtig.

Perfekt inszeniert, aber haben diese Bilder etwas mit dem echten Leben zu tun? Da hätte Sie vielleicht auch wer rausgeschmissen oder Ihr Gesicht wäre unerkannt geblieben.
Also rausgeschmissen hat mich keiner, aber es war zum Beispiel ein Polizist dabei, der sich zwar sehr gefreut und fünf Selfies gemacht hat, der aber nicht wollte, dass sein Foto an die Öffentlichkeit kommt. Das muss man respektieren. Es haben mich auch nicht alle erkannt. Eine Truppe von jungen Deutschen, die gerade ihre neue Wohnung eingerichtet hat, war sehr irritiert, warum der Bote jetzt plötzlich die Pizza mit ihnen verzehren will. - Lacht. - Wir werden deshalb ein "Making-of" machen, weil es so viele Fragen gibt, wie das wirklich abgelaufen ist.

Angeblich waren Sie mit dem Dienstwagen unterwegs?
Die Pizza wurde zu der Türe geliefert, dort habe ich sie übernommen und ausgetragen. Das ist korrekt.

Ehrlichkeit ist ja in der Politik ein wichtiger Wert. Ist es glaubwürdig, dass der Bundeskanzler Pizzabote spielt und so die Nähe zum Volk sucht?
Naja, es ist eine Symbolisierung. Der Versuch zu zeigen: Wir gehen zu den Leuten, wir reden mit ihnen, und ich muss sagen, dass mir diese dreieinhalb Stunden großen Spaß gemacht haben. Es war ein wirklich unterhaltsamer Abend. Am Ende ist ja jedem klar, dass ich der Bundeskanzler bin und nicht der Pizzaservice.

Hand aufs Herz: Wissen Sie, wie es einem Pizzaboten geht?
Ich bin auch privat Kunde vom Pizzaservice. Tagsüber komme ich nicht zum Essen und wenn ich dann um 22 Uhr nach Hause komme und der Kühlschrank leer ist, bestelle ich etwas, und zwar öfter, als mir lieb ist. Pizza Margherita ist fast ein Grundnahrungsmittel. Und dann plaudere ich öfter mit den Boten. Die sind zum Teil nicht einmal angestellt, kämpfen auf eigene Rechnung, hängen von den Aufträgen ab, ich schätze mal die verdienen brutto 6 bis 7 Euro, wenn man die Arbeitszeit hochrechnet. Gerade bei schlechtem Wetter ist das alles andere als lustig. Prekäre Arbeitsverhältnisse sind ein großes Problem.

Sie haben die Mittelschicht erwähnt, die Sie ansprechen wollen. Ist das nicht ein Affront gegenüber der ÖVP? Sie kämpft auch um den Mittelstand.
Sie meint damit die Wirtschaftstreibenden. Wenn wir von Mittelschicht reden, dann sind das zum Beispiel Frauen und Männer, die jeden Tag in der Früh aufstehen, um arbeiten zu gehen, die mit ihrer Leistung die Wirtschaft unseres Landes tragen, und unsere Pensionisten und Lehrlinge. Vor diesem Hintergrund sehe ich es nicht als Affront.

Was kann denn die SPÖ konkret für diese Mittelschicht tun?
Wir sorgen für ausreichend Beschäftigung. Vor allem jene, die über 50 sind, werden durch die "Aktion 20.000" wieder Jobs bekommen. Dann haben wir den Beschäftigungsbonus eingeführt: Jedes Unternehmen bekommt eine Zuzahlung zu den Lohnnebenkosten, damit wird es gerade für die kleinen Mittelbetriebe leichter. Ein wichtiger Punkt ist auch der Mindestlohn: 1500 Euro ist ein Minimalerfordernis, das gehört jetzt rasch durchgesetzt. Man muss sich vorstellen, über 300.000 Österreicher verdienen weniger! Wenn manche sagen, das können wir uns nicht leisten, dann entgegne ich: Was wir uns wirklich nicht leisten können, ist, dass Leute 40 Stunden arbeiten und von ihrem Einkommen nicht leben können.

Sie betonen immer, dass all das kein Wahlkampf sei. Was ist es dann?
Es ist wichtig, dass wir unsere Politik erklären und meine Erfahrung ist, dass wir wahnsinnig schwer eine Öffentlichkeit dafür finden. Bei uns werden immer die negativen Dinge zugespitzt. Wer kann mit wem nicht? Wem gefällt wessen Nase nicht? Mein Versuch war es, gerade mit der Pizza-Kampagne - und deshalb auch der Paukenschlag zu Beginn - die Aufmerksamkeit auf die wirklich wichtigen Zukunftsfragen zu wenden. Natürlich müssen wir uns mit den Doppelstaatsbürgerschaften auseinandersetzen, aber nicht eine Verkäuferin wird einen Euro mehr verdienen, nicht ein Arbeitsplatz wird mehr kreiert werden, nicht eine Frau wird einen Kinderbetreuungsplatz mehr bekommen, wenn die Türken ihre Pässe abgeben.

Was sind in Ihren Augen die Zukunftsfragen?
Arbeit, Bildung, Gesundheit, Kinderbetreuung. Pflege.

Wenn es zu Neuwahlen kommen sollte, würde die SPÖ dann vorne liegen?
Ich bin kategorisch gegen vorgezogene Neuwahlen. Weil sich für niemanden in diesem Land etwas ändern würde. Wenn ich beim Billa einkaufen gehe, dann sagen die Leute zu mir: "Herr Kern, fein dass ich Sie sehe! Das mit den Neuwahlen machen Sie aber bitte eh nicht, gell?" Das Volk will keine Neuwahlen. Ich glaube deshalb, wir sind gut beraten, in den nächsten 16 Monaten so viel wie möglich abzuarbeiten und Ergebnisse zu liefern. Aber natürlich geht mir auch das eine oder andere auch auf die Nerven.

Was denn zum Beispiel?
Ich finde den Umgangston, der manchmal in der Politik herrscht, schon schwer gewöhnungsbedürftig. Da geht es aber nicht um meine persönliche Befindlichkeit, sondern darum, dass wir versuchen müssen, die Dinge besser zu machen. Vieles läuft hervorragend. Wir werden heuer beim Wirtschaftswachstum über dem Eurozonenschnitt liegen. Wir haben 60.000 Arbeitsplätze mehr in den letzten zwölf Monaten geschafft. Wir haben Unternehmen, die bereit sind zu investieren, weil sie an die Zukunft glauben. Das ist genau der Stoff, den wir brauchen.

Würde die SPÖ als vor der FPÖ liegen?
Davon bin ich überzeugt.

Wie viel Prozent?
Mir würde vorne schon reichen. - Lacht.

Haben Sie das Gefühl, dass in der Koalition das Miteinander im Vordergrund steht?
Nein, das ist sicher ein Problem. Da muss man auch vor seiner eigenen Türe kehren. Die Vertrauensbasis müsste stärker sein.

Sie hätten zum Beispiel mit ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner gemeinsam Pizza ausliefern können.
Wir haben tatsächlich etwas Gemeinsames vor. Nächste Woche werden wir im Parlament eine Erklärung über Österreichs Position zum Thema Brexit und zur Ratspräsidentschaft abgeben. Aber ich verstehe schon Ihren Punkt. Mehr gemeinsame Auftritte sind sicher eine gute Idee.

Herr Bundeskanzler, Sie sind jetzt fast ein Jahr im Amt. Gab es schon einen Moment, in dem Sie den Wechsel in die Politik bereut haben?
Nein. Ich bin nicht der Typ, der sich mit der Vergangenheit beschäftigt. Wenn ich eine Aufgabe übernommen habe, dann wird das gemacht. Punkt, Basta! Meine neue Aufgabe ist manchmal einfacher, manchmal schwieriger. Was mich am meisten freut, sind die Momente, in denen ich wirklich mit den Leuten zusammenkomme und ihre Anteilnahme spüre. Ich glaube, wir leben in einer Zeit, in der sich die Menschen wieder mehr für Politik interessieren. Deshalb war der Pizzabote ein stimmiges Bild. Am Ende werden hoffentlich mehr als eine Million dieses Politikvideo gesehen haben.

Viele "Krone"-Leser haben sich über ein Foto aufgeregt, auf dem Sie und Michael Häupl zu sehen sind, und beide haben Sie die Hände in den Hosentaschen. Der Vorwurf lautete, das sei schlechtes Benehmen. Was sagen Sie dazu?
Dieser Vorwurf ist mir gar nicht recht, und ich nehme das beschämt zur Kenntnis. Ich muss aber zu meiner Verteidigung sagen, dass das an sich nicht meine Angewohnheit ist. Vielleicht klingt es jetzt wie eine kuriose Rechtfertigung, aber ich hatte einen Trenchcoat an, und den wollte ich mit den Händen fixieren.

Während ich draußen im Grauen Ecksalon gewartet habe, fiel mir eine Karte auf, die sich Besucher nehmen können. Darauf steht, dass sich unten vor dem heutigen Bundeskanzleramt eine Bastei befand, zu der eine gusseiserne Brücke führte, über die Staatskanzler Metternich bei schönem Wetter ins "Paradeisgartl" ging, um dort zu frühstücken. Haben Sie als Bundeskanzler noch Zeit für so was? Einfach runtergehen und irgendwo zu frühstücken?
Mich frisst der Neid, wenn ich das höre. Nein, diese Zeit gibt es nicht. Das ist schon ein unglaublich schneller Rhythmus, in dem sich alles bewegt, mit 14-Stunden-Arbeitstagen und einer riesigen Öffentlichkeit. Selfies, Smartphones, Facebook: Metternich hat all diese Phänomene nicht gekannt. Heute ist es so, dass du ständig fotografiert wirst. Mir ist es schon passiert, dass Leute im Supermarkt meinen Einkaufswagen fotografiert haben. Sechs Eier, Cornflakes und zwei Packerl Frankfurter. Was auch immer das für eine Erhellung war. - Lacht.

Regen sich die Leute auch auf?
Letztens kommt ein Mann zu mir und erzählt mir, dass irgendetwas mit dem Nachtzug der ÖBB nicht funktioniert hat. Mein Reflex ist es immer noch, dem ÖBB-Vorstand die Nummer des Kunden zu mailen mit dem Hinweis: Kümmert euch bitte darum! Mein Verständnis ist: Du kannst nicht sagen, die Leute sind mir zu anstrengend. Du hast dich um ihre Anliegen zu kümmern!

Sind Sie als Bundeskanzler nahbarer geworden?
Ich habe bei den ÖBB etwas gelernt: Dort arbeiten 42.000 Leute, aber wenn einer einen falschen Handgriff macht, dann steht die ganze Hütte. Das war eine Lektion in Demut: Du brauchst viele Menschen um dich herum, damit alles funktioniert. Und deshalb fühle ich mich auch heute noch wie ein Pünktchen im Ozean.

Wenn Sie ein Pünktchen im Ozean sind, wer ist dann das Meer?
Die 8 Millionen 699.730 Menschen, die in unserem Land leben. Ich bin einer von ihnen, nicht mehr und nicht weniger.

Seine Karriere
Geboren am 4.1.1966 als Sohn einer Sekretärin und eines Elektroinstallateurs in Wien-Simmering. Kern studiert Publizistik und engagiert sich schon früh beim Verband Sozialistischer Studenten. Im Juni 2010 wird er Vorstandsvorsitzender der ÖBB-Holding AG, im Mai 2016 österreichischer Bundeskanzler und SPÖ-Chef. Verheiratet mit der Unternehmerin Eveline Steinberger-Kern, Vater von drei Söhnen aus erster Ehe und einer Tochter.

Conny Bischofberger, Kronen Zeitung

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