Faymann im Interview

Wie viele Flüchtlinge wollen Sie noch aufnehmen?

Österreich
02.10.2015 17:02
Acht Tage vor der Wien-Wahl spricht Bundeskanzler und SP-Chef Werner Faymann mit Conny Bischofberger über Asylpolitik zwischen Stacheldraht und Willkommenskultur und seine Befürchtung, sollte in Wien die FPÖ stimmenstärkste Partei werden.

Freitagmorgen im Bundeskanzleramt am Wiener Ballhausplatz. Werner Faymann hat gerade wieder mit Angela Merkel telefoniert. "Die Kanzlerin hat mir versichert, dass ein Dichtmachen der Grenzen nicht infrage kommt", so der Bundeskanzler zur schwierigen Lage am Salzburger Bahnhof, wo immer wieder Flüchtlinge stranden.

"Krone": Herr Bundeskanzler, Ihr Regierungspartner schärft beim Thema Asyl gerade sein Profil. Mitterlehner kämpft gegen "Asyl à la carte", Kurz droht mit Blitzverfahren, die Innenministerin hat Benimmregeln für Flüchtlinge angekündigt. Zieht Ihnen die ÖVP da davon?
Werner Faymann: Das sind ja lauter Überschriften. Ich bin kein Freund von Ausdrücken aus der Speisekarte, wenn es um Flüchtlinge geht. Natürlich kann sich ein Flüchtling nicht aussuchen, wo er leben will. Ich weiß auch nicht, wieso man zu einem ordentlichen Rechtsverfahren "Blitzverfahren" sagen muss, für sichere Herkunftsländer haben wir ja solche schnellere Verfahren schon. Und Benimmregeln sind einfach die Regeln zum Schutz und zur Ordnung in unserer Gesellschaft. Wir sollten die richtigen Maßnahmen mit Ruhe, Hausverstand und Verlässlichkeit setzen und auf sprachliche Zuspitzungen verzichten.

"Krone": Wie ist in einem Satz das Profil der SPÖ?
Faymann: Keine Stacheldraht- und Wachturm-Politik, sondern Humanität, Menschlichkeit und Gerechtigkeit für Menschen, die Schutz suchen. Und natürlich müssen wir unterscheiden, ob jemand verfolgt wird oder aus wirtschaftlichen Gründen kommen will. Gerade haben wir hundert Personen für die Asylprüfung in Griechenland und Italien bereitgestellt.

"Krone":War es nicht ein schwerer politischer Fehler von Angela Merkel, Flüchtlinge, die sich in Ungarn registrieren hätten müssen, ungehindert einreisen zu lassen?
Faymann: Das sehe ich nicht so. Ihre Prognose, dass 800.000 kommen werden, wurde ihr als Einladung ausgelegt. Eine unfaire Vorgangsweise.

"Krone": Was machen Sie mit den Flüchtlingen, die Deutschland nicht aufnimmt?
Faymann: Die gibt es ja nicht zur Stunde. Es wird immer wieder einen Rückstau an der österreichisch-deutschen Grenze geben, aber auf der andern Seite sind in einem Monat auch 200.000 durch diese angeblich dichten Grenzen durchgekommen.

"Krone": Aber 8000 sind auch geblieben. Ihr Flüchtlingsbeauftragter hat gemeint, das Boot wäre noch lange nicht voll. Wie viele Flüchtlinge wollen Sie noch aufnehmen?
Faymann: Wir müssen uns auf 80.000 vorbereiten, das heißt es könnten noch 25.000 Schlafplätze bis Ende des Jahres nötig sein. Ich spreche nicht von einem Boot, ich sage wir haben logistisch alle Hände voll zu tun und wenn wir an den Grenzen ankommen, müssen wir unsere Kapazitäten erhöhen. Unser Flüchtlingskoordinator Christian Konrad macht das, und zwar wirklich erfolgreich.

"Krone": Gibt es eine Obergrenze?
Faymann: Das Menschenrecht sieht keine Obergrenze vor. Die Obergrenze ergibt sich dadurch, dass wir an manchen Tagen einfach für niemanden einen Schlafplatz haben werden. Aber das ist dann eine organisatorische Überforderung. Deshalb können nicht drei Länder allein -Schweden, Deutschland, Österreich - das Flüchtlingsproblem lösen.

"Krone": Eine Angst vieler Menschen betrifft die Wahrscheinlichkeit, dass bei so vielen Menschen auch Extreme und IS-Anhänger ins Land kommen. Wie schätzen Sie diese Wahrscheinlichkeit ein?
Faymann: Die Sicherheitsbehörden sagen mir, dass sie relativ gering it. Denn jemand mit Gewalt-Absichten geht nicht 2300 Kilometer zu Fuß, die kriminellen Organisationen leiden ja auch nicht unter Geldmangel. Also der würde wohl eher mit dem Flugzeug kommen. Aber Kontrolle und Überwachung sind wichtig, dafür gibt es die internationale Polizeiarbeit.

"Krone": Wie abhängig sind Sie bei Ihrer Asylpolitik eigentlich von Deutschland auf der einen und Ungarn auf der andern Seite - zwischen Willkommenskultur und Stacheldraht sozusagen?
Faymann: Naja, wenn ein Land zehnmal so groß ist wie das andere, dann wäre es vermessen zu sagen: Wir geben die Richtung vor. Ich habe mit Angela Merkel ein enges und gutes Verhältnis, wir telefonieren oft sogar mehrmals täglich. Was Ungarn betrifft, sind 200.000 Menschen trotz Stacheldraht über Ungarn gekommen, das ist unmenschlich und funktioniert nicht. Deshalb müssen wir schon in Griechenland die Grenzen sichern, damit der, der mit gefälschtem Pass kommt, nicht gleich behandelt wird wie der, der um sein Leben gelaufen ist.

"Krone": Wie ist Ihr Verhältnis zu Viktor Orbán, ist die Eiszeit vorbei?
Faymann: Es gibt Nachbarn, mit denen man eine korrekte Beziehung hat und es gibt Nachbarn, die man gerne trifft. Viktor Orbán zählt zu ersteren.

"Krone": Würden Sie das nochmal sagen, dass "Flüchtlinge in Züge zu stecken in dem Glauben, sie würden ganz woanders hinfahren, Erinnerungen an die dunkelsten Zeiten unseres Kontinents weckt"?
Faymann: Nein, weil ich es ja schon gesagt habe und mich da nicht wiederholen möchte.

"Krone": War es eine Entgleisung?
Faymann: Es war vielleicht etwas zu emotional. Aber das ist mit Herrn Orbán längst geklärt.

"Krone": Vom ungarischen Regierungschef stammt der Satz: Es gibt kein Grundrecht auf ein besseres Leben. Pflichten Sie dem bei?
Faymann: Nein. Ich finde schon, dass Menschen ein Recht auf ein besseres Leben haben. Wer vor Krieg und Verfolgung flüchtet, braucht Schutz, aber nicht alle in Österreich, Deutschland oder Schweden. Das geht sich einfach nicht aus.

"Krone": Wie hoch schätzen Sie den Anteil der Flüchtlinge, die gar kein Anrecht auf Asyl haben?
Faymann: Es gibt dazu Zahlen, es werden rund 30 Prozent sein. Die Anerkennungsrate in der Europäischen Union war bisher ungefähr 50 Prozent. Trotzdem: Man muss alle Anträge prüfen. Und zwar im Optimalfall in Verteilerzentren an den Grenzen zur EU, nicht erst bei uns.

"Krone": 55.000 Menschen in der Grundversorgung, bald vielleicht sogar 80.000: Können wir uns das leisten?
Faymann: Lieber wäre es mir, wir müssten es uns nicht leisten. Aber wir können es uns leisten. In der Bankenkrise wurde eine Billion vernichtet durch Rettungen aller Art, auch die Hypo können wir da nennen. Diese Mittel haben uns viel mehr an den Rand unserer Möglichkeiten gebracht als die Flüchtlingskrise.

"Krone": Solidaritätsabgabe für Flüchtlinge ja oder nein?
Faymann: Die Steuern sind ja eine Form der Solidarität, deshalb: Nein, keine zusätzliche!

"Krone": Bei den Oberösterreich-Wahlen am vergangenen Wochenende haben Sie als SPÖ-Vorsitzender die 16. Wahl verloren...
Faymann: Peter Kaiser hat in Kärnten gewonnen und Heinz Fischer die Wiederwahl als Bundespräsident. Aber immer, wenn etwas verloren wird, dann bin ich schuld. - Lacht.

"Krone": Sie sind der Bundeskanzler. Haben Sie das Gefühl, noch der beste Mann für die Partei und für das Land zu sein?
Faymann: Das entscheidet sich bei den Nationalratswahlen 2018, und in der SPÖ sogar öfter, nächstes Mal im Herbst nächsten Jahres, nicht durch meine Selbstbeurteilung. Menschen, die sich selber für den Besten halten, sind mir sowieso suspekt.

"Krone": Glauben Sie, dass Sie noch das Vertrauen haben?
Faymann: Ich bemühe mich redlich, ich glaube ja.

"Krone": Kann in Wien in acht Tagen dasselbe passieren wie in Oberösterreich, dass die FPÖ deutlich aufholt und die SPÖ massiv verliert? Manche Umfragen sehen Strache schon vorne.
Faymann: Ich würde es als Katas. Jeden, den ich überzeugen kann, bitte ich: Wenn du Wien liebst und die klare Haltung des Bürgermeisters schätzt, dann musst du ihn auch wählen. Er muss klar Erster bleiben.

"Krone": Wie viel Prozent dürfen dazwischen liegen?
Faymann: Je klarer, umso lieber, aber in der Demokratie ist man auch mit 0,5 Prozent vorne. Da kann eine Stimme entscheidend sein, deshalb sage ich: Diese Stadt darf nicht dem Hass geopfert werden.

"Krone": Was wäre so schlimm, wenn die FPÖ einmal Regierungsverantwortung übernähme? Im Burgenland ist ja auch nicht die Welt eingestürzt.
Faymann: In Kärnten hat es die Hypo-Schulden bedeutet, an denen wir heute noch zahlen, in der schwarz-blauen Regierung hatten wir eine steigende Arbeitslosigkeit. Gerade jetzt brauchen wir keine Regierung, die die Leute aufhetzt, sondern Verlässlichkeit. Eine Regierung, die sparsam, wirtschaftlich und humanitär agiert.

"Krone": Was wäre so schlimm?
Faymann: Schlimm wäre es, wenn Stärke dieses Landes, die Gemeinsamkeit, die die Menschen in dieser Krise zeigen, zerstört würde.

"Krone": Können Sie ausschließen, dass Reinhold Mitterlehner bei SPÖ-Verlusten in Wien Neuwahlen anzettelt?
Faymann: Ich kenne Mitterlehner und trau’ ihm das einfach nicht zu.

"Krone": Hätten Sie Angst vor Neuwahlen?
Faymann: Ich habe nie Angst, aber wünsche tu’ ich es mir nicht. In unsicheren Zeiten braucht man eine stabile Regierung, nicht eine, die in Neuwahlen flüchtet.

"Krone": In einem Jahr, was wird da sein?
Faymann: Ich hoffe, dass wir in der Flüchtlingsfrage den Beweis geliefert haben, die Menschen gut versorgt, aber auch Erfolge vor Ort gehabt zu haben: in den Flüchtlingslagern des Libanon, in Syrien, in Griechenland und in der Türkei. Politik agiert gerade mit demokratischen Mitteln manchmal vielleicht etwas zu spät und zu langsam, aber dafür richtig. Hauptsache, es heißt am Ende: Die EU war stark genug, auch diese Krise zu bewältigen.

"Krone": Mit Faymann als Bundeskanzler?
Faymann: Mit mir als Bundeskanzler, jawohl.

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