Pflegte ihn 22 Jahre

Wie haben Sie das geschafft, Frau Mock?

Österreich
17.06.2017 16:40

22 Jahre lang und auch in der Stunde seines Todes war sie stets an seiner Seite. Edith Mock, die Ehefrau des langjährigen Außenministers und ÖVP-Ehrenobmanns Alois Mock, spricht mit Conny Bischofberger über Liebe, Trauer und die Krankheit Parkinson.

Das feierliche Requiem im Stephansdom, besetzt wie ein Staatsbegräbnis, ist noch allgegenwärtig. In der Wohnung ohne Lift beim Wiener Türkenschanzpark, aus der die Mocks nie ausziehen wollten - auch nicht, als er schon im Rollstuhl saß -, stehen viele Blumenbouquets. Auf der Kommode beim Eingang drei Rosen jenes Teppichs, den Edith Mock für das Grab ihres Mannes knüpfen ließ. Die Beerdigung fand vergangenen Mittwoch im engsten Familienkreis am Döblinger Friedhof statt. An die 200 Kondolenzschreiben sind in den letzten zwei Wochen eingetroffen. "Ich will sie alle persönlich beantworten und bei vielen auch was drunterschreiben", so die Witwe.

"Er war ja so ein Süßer"
Edith Mock hat den Tisch mit Gmundner Porzellan gedeckt. Es gibt Blümchenkaffee aus der Thermoskanne, Marillen-, Kirsch- und Apfelkuchen. "Das hätte mein Mann geliebt", meint sie, "er war ja so ein Süßer." Sie trägt eine schwarze Spitzenbluse - und den Ehering ihres Mannes an einer goldenen Halskette. Immer wieder läutet an diesem Freitagnachmittag ihr Handy, dann plaudert sie mit ÖVP-Landeshauptleuten, treuen Freundinnen wie Waltraut Haas und ehemaligen Mitarbeitern ihres verstorbenen Mannes.

Mitten in unser Gespräch platzt kurz nach 17 Uhr die Todesnachricht des ehemaligen deutschen Bundeskanzlers. "Jetzt bekommt mein Mann Gesellschaft", sagt Edith Mock leise und schickt ein Lächeln nach oben.

"Krone": 17 Tage nach Alois Mock ist nun auch Helmut Kohl gestorben. Welche Erinnerungen haben Sie an ihn?
Edith Mock: Meinen Mann verband mit Helmut Kohl eine ganz enge Freundschaft - und die Liebe zu Süßem. Wir haben Helmut Kohl regelmäßig privat, meistens zu Ostern, getroffen. Wenn er in Gastein die Mayr-Kur machte, haben wir uns aus Solidarität auch von harten Semmeln und Milch ernährt. Danach ging Kohl in die nächstbeste Konditorei und gönnte sich einen Zwetschkenfleck. Und mein Mann natürlich mit dabei. Helmut Kohl sagte immer: Zwischen Mock und Kohl stimmt die Chemie!

Wie geht es Ihnen nach dem Tod Ihres Mannes?
Ich muss mich erst daran gewöhnen, dass mein Lebensmittelpunkt weg ist. Gerade in den letzten sieben Jahren, in denen mein Mann pflegebedürftig war, bin ich keine einzige Nacht von ihm getrennt gewesen. Er hatte wie die meisten Parkinson-Patienten Schwierigkeiten mit der Lunge. Ein Pfleger hatte nicht auf mich gehört und das Fenster in seinem Zimmer gekippt. Das war im November 2015, er bekam prompt eine Lungenentzündung und hat sich davon eigentlich nicht mehr erholt.

Sieben Jahre, 364 Wochen, 2555 Tage Pflege. Wie haben Sie das geschafft?
Am Anfang konnte ich ihn noch alleine ins Bett bringen und am nächsten Morgen wieder rausheben, mit dem Rollator. Irgendwann ist es bei mir nicht mehr gegangen. Ich hatte dann Krankenschwestern, die mich unterstützt haben. Die letzten sieben Jahre mit ihm waren eigentlich ein Geschenk. Er hatte ja schon 2010 eine schwere Lungenentzündung, und wir haben damals alle gerechnet, dass er es nicht überleben wird.

Wie sah Ihr Alltag aus?
Mein Mann war bis zuletzt zuhause und hatte eine gewisse Lebensqualität. Der Husten und der Schleim waren natürlich furchtbar. Medikamentös war er versorgt: Er hatte eine Sonde, über die das Parkinson-Medikament Dopamin jede Minute in seinen Körper gepumpt wurde. Er hat viel geschlafen, aber er hatte auch Phasen, in denen er sehr aufmerksam war. Da konnte ich ihm erzählen, was es Neues gibt. Bis vor einem Jahr habe ich noch regelmäßig in Konzerte mitgenommen. Er schaute sich am Vormittag auch gerne Parlamentsübertragungen an.

Hat er noch mitbekommen, dass die ÖVP mit Sebastian Kurz einen neuen Obmann hat?
Oh ja, natürlich! Sebastian Kurz hat meinem Mann immer gezeigt, wie sehr er ihn respektiert und verehrt. Vor zwei Jahren hat er den Marmorsaal des Außenministeriums in "Alois Mock-Saal" getauft, da waren wir beide dort. Und am 26. Jänner hat er eine Feier für ihn ausgerichtet. Da konnte er aber nicht mehr mitkommen. Er hat die Jungen immer gefördert, und dass jetzt ein ganz Junger an die Spitze kommt, darüber hat er sich sehr gefreut.

Hat er sich auch gegrämt, als Mitterlehner zurücktrat?
Er hat schon bei Michael Spindeleggers Rücktritt gemeint: "Wundern tut es mich nicht." Ich habe gelacht und zu ihm gesagt: "Wie hast du das bloß zehn Jahre lang ausgehalten?"

Also hat Ihr Mann geistig noch alles mitbekommen?
Ja, alles. Dass ich mit ihm rede, dass ich ihn gehalten und gestreichelt habe. Wenn ich meinen Arm um ihn gelegt habe, hat er seine Schulter zu meiner Hand hinbewegt. Das hatte er sehr gern. Ich habe auch immer seine Lieblingsspeisen gemacht. Tiramisu, Topfenstrudel, Schoko-Guglhupf. Wir mussten nur aufpassen, dass er sich nicht verschluckt. Da habe ich den Kuchen halt mit Pudding vermischt.

Wie haben Sie mit ihm kommuniziert?
Er hat zwar nicht mehr sprechen, aber bis zuletzt sehr deutlich "Ja" und "Nein" sagen können. Und natürlich meinen Namen. Er sagte "Dita" zu mir, so hat mich mein Bruder genannt, als ich ganz klein war.

Und wie haben Sie ihn genannt?
Ich hatte viele Namen für ihn, aber sie bleiben natürlich zwischen uns. Als er schon sehr krank war, habe ich ihm andere Namen gegeben. Namen, die auf liebevollste Weise seine Hilflosigkeit angesprochen haben. Wir haben auch jeden Abend gemeinsam gebetet. Wir haben dem Herrgott gedankt, dass er uns zusammengeführt und die Liebe in unsere Herzen gesät hat. Wir haben auch immer für jene gebetet, die zuletzt gestorben sind - Maria Schaumayr, Kardinal König, Otto Habsburg.

War Ihnen die 24-Stunden-Pflege nie zu viel?
Nie. Ich hatte ja die Schwestern. Ich wurde das so oft gefragt. Ob ich mit dem Schicksal hadere, was weiß ich. Aber mein Mann und ich, wir waren ein Leben lang ein Team, haben uns immer gegenseitig ergänzt. Er hätte dasselbe auch für mich gemacht.

War das je ein Thema zwischen Ihnen? Krank zu werden, sterben zu müssen?
Darüber haben wir früher öfters geredet. Einmal hat er zu mir gesagt: "Wenn dich das so traurig macht, dann muss halt ich dich überleben." Im Nachhinein denke ich mir, dass es umgekehrt besser ist, denn wenn er das alles organisieren hätte müssen, also damit wäre er überfordert gewesen.

54 Jahre Ehe - wie hält da die Liebe frisch?
Kennen Sie den Spruch "Die Liebe wächst mit dem Quadrat der Entfernung"? So war es am Anfang zwischen uns. Mein Mann arbeitete in den Sechziger-Jahren bei der OECD-Vertretung in Paris. Obwohl es damals in Frankreich noch keine Autobahn gab, fuhr er in diesen vier Jahren 13 Mal an den langen Wochenenden mit seinem Auto hin und her. Ich bin auch nicht immer zuhause gesessen und hab' auf ihn gewartet. Ich war ja Schuldirektorin, und ich erinnere mich, dass er gar nicht so selten in der Schule anrief und fragte: "Weißt du, wo ich bin? Da, wo du anscheinend nicht so gern bist, zuhause!" Gerade weil wir nicht immer zusammen waren, haben wir die gemeinsame Zeit geschätzt.

Was war Alois Mock für ein Ehemann?
Er war unerhört aufmerksam. Einmal hat er mir zu Weihnachten ein neues Telefonbuch geschenkt. Er hatte alle meine Nummern händisch übertragen. Er brachte auch oft Rosen mit - immer rote und eine gelbe - und hat mir regelmäßig Briefe geschrieben.

Liebesbriefe?
Sicher! Manchmal brachte er auch nur eine Papierserviette nach Hause, auf der stand: 13.01 Uhr. Die gab er mir und sagte: "Schau, da hab' ich an dich gedacht!"

Was passiert mit den Briefen?
Ich werde sie alle noch einmal lesen und dann vernichten. Weil das war etwas zwischen uns und es soll zwischen uns bleiben. Er hätte nicht wollen, dass sie vielleicht einmal jemand liest.

1996 sind Sie in Pension gegangen. Wie lange vorher ahnten Sie schon, dass Ihr Mann ernsthaft krank ist?
Angefangen hat es eigentlich mit seinem linken Fuß, er war sehr schwach und oft konnte mein Mann deshalb nicht mehr aufstehen. Es waren ähnliche Symptome wie bei Ischias und Rheuma. Das ging Jahre so. Der eine Arzt meinte: Kalt auflegen, der andere sagte: Warm auflegen. 1995 habe ich ihm gesagt: "Du musst jetzt ins Ausland zu einem Spezialisten gehen. Der sagt dir hoffentlich, was wirklich los ist." Ein englischer Arzt, Dr. Stern, diagnostizierte dann Parkinson.

Kam der Tod am Donnerstag, den 1. Juni, überraschend?
Ja, doch. Die Schwester hatte an dem Tag frei, ich bin ab acht Uhr morgens bei ihm gesessen, da hat er mich noch angelacht. Der Fernseher ist gelaufen, plötzlich fiel mir auf, dass seine Arme so ruhig sind. Er lag friedlich da, und da war es ganz klar. Ich habe ihn noch gestreichelt und umarmt. Dann habe ich eine Kerze angezündet und den Rosenkranz gebetet.

Glauben Sie daran, dass man sich im Jenseits wiedersieht?
Ich glaube, dass das Jenseits gar nicht an einem fernen Ort ist, sondern um uns herum. Ich vermisse ihn natürlich, seine Stimme und seine guten Hände. Er hat immer meine Hand genommen, wenn wir über die Straße gegangen sind. Aber andererseits ist er jetzt immer da. Ich rede auch mit ihm. Nicht so wie Lotte Ingrisch, ich erwarte keine Antwort. Aber ich beziehe ihn ein, sage "Guten Morgen" und "Gute Nacht" zu ihm. Oder bitte ihn, mir zu helfen, wenn ich etwas nicht finde.

Sie haben am Anfang unseres Gespräches gesagt, Ihr Lebensmittelpunkt sei weg. Was werden Sie in Zukunft machen?
Erst einmal die Papierberge abarbeiten. Dann schön langsam die Wohnung ausräumen. Das wird sicher noch zwei Jahre dauern. Dann möchte ich in die Seniorenresidenz raufziehen. Sie liegt direkt neben dem Friedhof, da bin ich noch näher bei meinem Mann.

Was wünschen Sie sich noch für den Herbst des Lebens?
Ich hatte mir immer gewünscht, noch Reisen mit meinem Mann zu machen. Zu den Tempeln von Angkor Wat, oder nach Petersburg. Jetzt weiß ich, dass ich allein eigentlich nicht mehr reisen will. Wozu hat man das Fernsehen? Und wer weiß, vielleicht gehe ich auf meine alten Tage sogar noch ins Internet hinein.

Ihre Geschichte
Edith Mock (heute 79) lernt ihren Mann am 5. Dezember 1958 bei einer Prüfung kennen. "Bei ihm war's Liebe auf den ersten Blick", schmunzelt sie. Alois Mock war damals junger Beamter in der Stipendiumsabteilung des Unterrichtsministeriums. 1963 heiraten die beiden und bleiben auch während seiner 25-jährigen Polit-Karriere unzertrennlich. Edith Mock ist Gymnasial-Professorin, ab 1982 Schuldirektorin, seit 1996 in Pension. 1995 wurde bei ihrem Mann die Krankheit Parkinson diagnostiziert.

Conny Bischofberger, Kronen Zeitung

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