"Ressourcen fehlen"

Maßnahmenvollzug platzt aus allen Nähten

Österreich
09.10.2014 12:39
"Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher", lautet immer häufiger das Urteil bei einem Strafprozess. In den 1970er-Jahren gesetzlich verankert, platzt der Maßnahmenvollzug mittlerweile aus allen Nähten. Denn durch Personalmangel und wenig Nachbetreuung dauert die Anhaltung von geistig abnormen Rechtsbrechern manchmal länger als notwendig.

815 Menschen (Stichtag 1. Juli) leben derzeit im Maßnahmenvollzug, der 1975 eingeführt wurde. Das Strafgesetzbuch sah vor, dass mit einer auf den Betreffenden abgestimmten Therapie die als gefährlich eingestuften Straftäter insoweit "geheilt" werden sollen, als von ihnen im Fall ihrer Entlassung keine Gefahr mehr ausgeht.

Die Realität sieht allerdings anders aus. Die Zahl der Menschen im Maßnahmenvollzug ist vor allem im vergangenen Jahrzehnt explosionsartig angestiegen, wie eine aktuelle Untersuchung des Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie ergab. Im Beobachtungszeitraum 2001 bis 2010 stieg die Anzahl der untergebrachten geistig abnormen Rechtsbrecher von 572 auf 922 an, was eine Zunahme von 61 Prozent innerhalb von nur zehn Jahren bedeutet. Rund 70 Prozent von ihnen leiden unter Schizophrenie.

Nachbetreuungseinrichtungen fehlen
Doch warum genau platzen Österreichs Anstalten derart aus allen Nähten? Einer der Gründe: Die Dauer der Unterbringung von Insassen in den Einrichtungen hat sich um das 1,4-Fache und damit von durchschnittlich 3,5 auf fünf Jahre erhöht, wie die Untersuchung ergab. Gut ein Drittel der Menschen im Maßnahmenvollzug könnte jedoch sofort entlassen werden, ist Martin Kitzberger, der Leiter des Forensischen Zentrums in Asten in Oberösterreich, überzeugt. "Aber das scheitert daran, dass es keine ausreichende Nachbetreuung gibt."

Das liegt daran, dass es außerhalb der Anstalten an Betreuungseinrichtungen fehlt. Sobald neue Nachbetreuungseinrichtungen gebaut werden sollen, legt sich die Bevölkerung quer, wie aus Justizkreisen zu erfahren war. Geistig abnorme Rechtsbrecher will niemand in seiner Umgebung haben, heißt es. Daher verbleiben die Patienten zumeist länger als nötig in den Anstalten.

So sind in Göllersdorf in Niederösterreich beispielsweise derzeit 137 Patienten untergebracht, eigentlich ist das Haus aber nur für 120 konzipiert. In Asten wird dafür gerade das Forensische Zentrum ausgebaut und soll bis 2015 Platz für 150 geistig abnorme Straftäter bieten. Derzeit leben 91 Insassen in der Einrichtung.

Mangel an Fachpersonal weiteres großes Problem
Ein weiterer Problempunkt im Maßnahmenvollzug ist der Mangel an Fachpersonal. Während Göllersdorf und Asten nach eigenen Angaben über dessen Zahl nicht jammern kann, klagt die Justizanstalt Stein in Niederösterreich über eine massive personelle Unterbesetzung. "348 Justizwachebeamte sollten es sein, 298 sind tatsächlich da", klagt der stellvertretende Anstaltsleiter, Roland Wanek. 175 Beamte sind notwendig, um den Tag zu bewältigen, doch "145 hab ich, wenn es gut geht".

Der Werkstättenbetrieb könne daher nicht aufrechterhalten werden. "Dann sitzen die Gefangenen 23 Stunden in ihrer Zelle, bekommen kein Geld. Da steigt das Aggressionspotenzial", so Wanek. Auch das für Notfälle wichtige Schießtraining für die Justizwache findet seit geraumer Zeit nicht statt, "weil ich die Leute brauche, um den Gefängnisbetrieb aufrechtzuerhalten."

Nur eine Psychiaterin für fast 800 Stein-Insassen
Neben dem Vollzug von Freiheitsstrafen - viele lebenslänglich - gibt es in der Justizanstalt Stein auch den Maßnahmenvollzug für insgesamt 108 zurechnungsfähige, geistig abnorme Rechtsbrecher. Diese werden zu einer Haftstrafe und zusätzlich zu einer Maßnahme, sprich einer unbefristeten Behandlung, verurteilt. Gerade für diese Insassen, darunter Inzest-Vater Josef F. sowie Philipp K., der in Wien seine Ex-Freundin getötet und zerstückelt hatte, wäre eine optimale Betreuung sehr wichtig.

Doch für alle 790 Insassen in Stein gibt es nur einen Allgemeinmediziner (zum Vergleich: In Asten gibt es einen Mediziner für 91 Insassen) sowie nur eine Psychiaterin. Lediglich das Krankenpflegepersonal ist mit 20 Personen gut aufgestellt. Händeringend wird daher nach weiteren Fachkräften gesucht. Das Problem dabei: "Das Interesse würde bestehen, aber das Budget ist nicht vorhanden", erklärt Wanek. Zudem besteht bei nur einer Psychiaterin in der Anstalt die Gefahr, dass der Insasse mit der Fachkraft "nicht kann".

Aufgrund des Personalmangels bekommen daher nicht alle Häftlinge im Maßnahmenvollzug psychiatrische Betreuung, obwohl der gesetzliche Auftrag besteht. Hier in Stein seien "die hoffnungslosen Fälle" weit entfernt von einer Entlassung, meinte Wanek. Nicht umsonst würde die Justizanstalt als "Endstation Stein" bezeichnet werden.

Brandstetter: "Integration der Patienten schwierig"
Justizminister Wolfgang Brandstetter hat für das Jahr 2014 die Schaffung von Betreuungsplätzen für die poststationäre Versorgung ehemaliger Strafgefangener ankündigt, zugleich in einer parlamentarischen Anfragebeantwortung aber fehlende Kapazitäten "in einigen Versorgungssegmenten, insbesondere für Personen mit speziellen Bedürfnissen" eingeräumt.

"Die Integration bedingt entlassener geistig abnormer Rechtsbrecher in allgemeine psychosoziale Einrichtungen gestaltet sich nach wie vor schwierig, bedingt durch einerseits mangelnde gesellschaftliche und institutionelle Akzeptanz und andererseits die oftmals rigiden Vorgaben der jeweiligen Landesregierungen bei der Aufnahme in derartige Einrichtungen", so Brandstetter.

"Keine Weiterentwicklung ohne Ressourcenaufstockung"
"Die Auslastung ist bereits am Limit. Bereits bei über 90 Prozent beginnen die Schwierigkeiten", sagte Albert Steinhauser von den Grünen, der die parlamentarische Anfrage eingebracht hatte. Laut Brandstetter will das Justizministerium seine Bemühungen zur Erweiterung des Nachbetreuungsmanagements weiter intensiv verfolgen. "Ohne Ressourcenaufstockung wird es jedoch keine Weiterentwicklung geben", meinte Steinhauser.

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