"Krone"-Interview

Kern zu Asylkrise: “Dürfen Land nicht überfordern”

Österreich
25.05.2016 16:59

"Audienz" bei Bundeskanzler Christian Kern (50): Conny Bischofberger sprach mit dem neuen SPÖ-Chef über Aufbruchsstimmung, Putschgerüchte in seiner Partei und ein Land, das in zwei Hälften geteilt ist.

Er blättert gerade stehend im Buch "Österreich 2033", als wir sein Büro betreten. "Das hat mir ein Zukunftsforscher geschenkt", erzählt Christian Kern und macht sich für das Interview bereit. Sein Anzug: dunkelblau und eng geschnitten. Seine schmale Krawatte hat winzige Punkte. Die Sprache des ehemaligen ÖBB-Chefs: ohne Schnörkel, temporeich, zitabel.

An der Wand hinter dem Schreibtisch hängt noch immer der Brandl seines Vorgängers, ein majestätischer Berg, umhüllt von Nebelfetzen, dazwischen blitzen weißer Schnee und blauer Himmel hervor. "Mein Erró befindet sich noch auf dem Weg hierher." Kern ist Fan des isländischen Pop-Art-Künstlers, der schon bald leuchtende Farben in das von Blau und Grau dominierte Kanzlerbüro bringen wird.

Am Ballhausplatz 2 ist an diesem Mittwochvormittag ganz schön viel los. Gerade war der neue Bundespräsident Alexander Van der Bellen zu einem Vieraugengespräch da, nach dem "Krone"-Interview erwartet Kern seinen Vorgänger Werner Faymann. Und am Nachmittag: Sitzungen am laufenden Band.

"Krone": Herr Bundeskanzler, haben Sie sich schon an diese Anrede gewöhnt?
Christian Kern: Nein... Sie drückt einerseits Respekt aus, aber andererseits auch eine gewisse Distanz. Mehr Distanz, als mir lieb ist. Herr Kern ist deshalb wirklich mehr als ausreichend.

"Krone": Wenn Sie morgens in den Spiegel schauen, glauben Sie dann auch Züge von Humphrey Bogart zu erkennen?
Kern:(lacht) Ich selbst wäre nie auf diese Idee gekommen. Aber wenn andere diese Ähnlichkeit mit Humphrey Bogart sehen... dann beneide ich ihn um seine Nase.

"Krone": Alexander Van der Bellen hat es am Sonntag knapp geschafft. Wie viel von den 50,35 Prozent hat er Ihnen zu verdanken?
Kern: Ich habe ihn gemeinsam mit 2,2 Millionen Österreichern gewählt, insofern hat meine Stimme einen Beitrag geleistet. Was das sonst für einen Einfluss hatte, kann ich nicht beurteilen. Aber es ist eine gute Entscheidung gewesen, und es wird eine sehr gute Zusammenarbeit geben. Wir hätten aber selbstverständlich auch den Herrn Hofer respektiert. Allerdings ist es schon mal einfacher, wenn man vom Start weg auf einer ähnlichen Wellenlänge ist.

"Krone": Wäre es so ausgegangen, wenn hier noch Werner Faymann sitzen und nicht weit weg von hier der linke Flügel motschgern würde?
Kern: Ich würde es anders formulieren: Ich glaube, es ist in dieser kurzen Zeit gelungen, eine positive Stimmung zu produzieren, und hier müssen wir anknüpfen. Wir sind immer noch eines der reichsten Länder der Welt. Ja, wir haben Probleme, unzweifelhaft, trotzdem sollten wir in Zukunft viel mehr über unsere Chancen diskutieren als über die Risiken. Ich bin ein Mensch, der ein sehr positives Weltbild hat, der glaubt, dass man Dinge zum Besseren wenden kann, und ich glaube, diese Stimmung ist in unserem Land abhanden gekommen. Insofern würde ich sagen: Es ist kein Werner-Faymann-Christian-Kern-Phänomen, es sind große Stimmungslagen im Land, die sich in den letzten Tagen bewegt haben.

"Krone": Und hat diese positive Stimmung Van der Bellen geholfen?
Kern: Geschadet hat sie ihm nicht.

"Krone": Hat Ihnen Werner Faymann am 1. Mai leidgetan?
Kern: Also ich muss sagen, das war für mich wirklich bedrückend. Auch der Tag, an dem Werner Faymann zurückgetreten ist, war kein Freudentag. Ich habe das mit großer Nachdenklichkeit gesehen. Werner Faymann hat es mit großem Stil gemacht. Respekt vor ihm.

"Krone": War es ehrlich von Ihnen, in Interviews immer zu sagen, Kanzler zu werden interessiere Sie so wenig wie "Mud-Wrestling"?
Kern: Ich bin immer ehrlich! (ein ernster Blick aus seinen grün-braunen Augen) Das ist gar keine so schlechte Analogie, denn sobald du so eine öffentliche Person wirst, sind die Auseinandersetzungen nicht immer sehr nobel, insofern war das mit dem Schlamm-Wrestling gar nicht so falsch. Es ist so: Ich bin oft gefragt worden, viele Leute haben mich ins Spiel gebracht und irgendwann beschäftigt man sich auch mit dem Gedanken. Aber lange Zeit ist das ist so fern gewesen. Erst nach dem Gespräch mit Michael Häupl habe ich begriffen, dass es ernst ist. Wenn du gefragt wirst, "Bist du bereit das zu tun?", kannst du nicht mehr sagen: "Freunde, ich sitze doch lieber am Muppet-Balkon."

"Krone": Für viele hat es wie ein Putsch ausgesehen, Sie haben Gerhard Zeilers Angaben dazu mittlerweile als "'House of Cards' für Arme" relativiert. Verstehen Sie aber, dass solche Absprachen im Hintergrund bei vielen Menschen ein Gefühl des Unbehagens auslösen? So unter dem Motto: Da richten sich's ein paar wieder?
Kern: Wie hätte denn das gehen sollen? Also ganz ehrlich: Der Gerhard Zeiler hat keine Funktion gehabt, ich habe keine Funktion in diesem Spiel gehabt. Wenn wir uns da zusammengesetzt und über einen Putsch fantasiert hätten, dann hätte man sich um unsere mentale Gesundheit ein bisschen sorgen müssen.

"Krone": Aber die Treffen gab es ja.
Kern: Das will ich gar nicht verhehlen: Wir haben natürlich im Freundeskreis diskutiert, dass es in dem Land Veränderungen braucht. Natürlich waren wir nicht die Einzigen, die diese Sicht hatten. Und dass wir beide bereit waren, einen Beitrag zu leisten, das war klar, an welcher Stelle auch immer. Aber ich bin nicht in der Sandkiste gesessen und habe gesagt: Ich will Bundeskanzler werden.

"Krone": Viele setzen große Hoffnungen in Sie. Manche glauben sogar, Kern könne über Wasser gehen und dieses in Wein verwandeln...
Kern: Kommt mir auch so vor.

"Krone": Sind Sie ein Wunderwuzzi?
Kern: Es ist nicht so, dass du hier in dieses Büro einziehst und plötzlich vom Heiligen Geist erleuchtet wirst. Das konnte ich leider noch nicht feststellen. (lacht) Am Ende des Tages geht es darum, einen Plan zu entwickeln, den zu kommunizieren, Gefolgschaft dafür zu mobilisieren und im Team zu exekutieren. Ich mag diesen Satz von Robert Kennedy - der Bruder des verstorbenen Präsidenten -, der gesagt hat: "Wenige Personen haben die Größe, die Geschichte zu verändern." Ich würde ergänzen: auch ein Bundeskanzler nicht. Es ist vielmehr das Engagement von vielen, das die Geschichte einer Generation prägt. In dem Kontext sehe ich meine Rolle.

"Krone": Wie sehr spüren Sie den Erwartungsdruck?
Kern: Die positive Stimmung ist enorm, das macht mich auch sehr nachdenklich. Denn wir werden manche Erwartungshaltungen am Ende auch enttäuschen. Aber wir werden unsere Ziele mit allem Nachdruck, mit aller Konsequenz verfolgen und wenn wir scheitern sollten, dann werden wir es aus den richtigen Motiven tun. Ich bin wirklich froh, wie viele Menschen mir Konzepte geschickt haben in den letzten Tagen. Über Facebook, über E-Mail - alles von Leuten, die bereit sind, sich zu engagieren. Wir haben also exzellente Ideen, die Frage ist, wie können wir sie umsetzen. Und da sehe ich es als meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Dinge dann auch real passieren.

"Krone": Glauben Sie, dass ein Arbeiter aus Favoriten mit dem smarten Managertypen Kern etwas anfangen kann?
Kern: Da bin ich davon überzeugt, weil ich ganz genau weiß, wo ich herkomme...

"Krone": Knapp die Hälfte hat am Sonntag Norbert Hofer gewählt, Sie sind Kanzler beider Hälften. Was machen Sie mit der Enttäuschung dieser Menschen?
Kern: Ein Wahlerfolg mit knapp über 50 Prozent ist die viel grben, alle Menschen zu überzeugen, wenn wir die richtigen Dinge ansprechen und auch umsetzen. Wir müssen den Menschen auch erklären, was wir tun, wofür wir stehen. Das ist vernachlässigt worden.

"Krone": Die Haltung gegenüber der FPÖ definieren Sie jetzt über klare Grundsätze, zum Beispiel ein klares Bekenntnis zu Europa. Wie wollen Sie das kontrollieren?
Kern: Auch Hetze gegen Menschen und Minderheiten gehört dazu. Da werden Lippenbekenntnisse jedenfalls nicht reichen. Aber ich will mich da zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht auf Formulierungen festlegen. Mein Ziel ist es, die SPÖ zur führenden Kraft in Österreich zu machen, deutlich Wahlen zu gewinnen.

"Krone": Wie viel Prozent plus?
Kern: Genug, um einen Führungsanspruch zu stellen. Ob das jetzt mit 25, 30 oder 35 Prozent möglich ist, wird man sehen.

"Krone": Sie haben am Höhepunkt der Flüchtlingskrise die Bahnhöfe für alle geöffnet und so ein Zeichen gesetzt: Empathie einerseits, Funktionalität andererseits. Gilt das für Sie weiterhin?
Kern: Ja, wir haben eine Verpflichtung gegenüber Menschen, die elenden Verhältnissen entkommen sind, es gibt das Asylrecht, es gibt die Menschenrechte. Das muss gelten, egal wo jemand geboren ist, welchen Vornamen er hat. Aber es sind auch Spielregeln einzuhalten. Und unsere Gesellschaft muss dabei funktionsfähig bleiben, wir dürfen das Land nicht überfordern. Das subjektive Sicherheitsbedürfnis der Menschen ist extrem wichtig.

"Krone": Was tun mit Flüchtlingen, die kriminell werden?
Kern: Das hängt von vielen Dingen ab. Bei schweren Delikten wären Abschiebungen notwendig, aber wir haben ein großes Problem mit manchen Herkunftsländern. Deshalb muss diese Frage mit noch mehr Nachdruck verfolgt werden.

"Krone": Sind Sie für eine Anpassung bei der Mindestsicherung?
Kern: Nein, weil ein stabiles soziales Netz wichtig ist. Arbeitslosigkeit ist der größte Skandal in unserer Gesellschaft. Und 75 Prozent der Menschen in der Mindestsicherung sind Zuzahler - also Personen, die arbeiten und so wenig verdienen, dass sie davon allein nicht leben können.

"Krone": Wie erklären Sie einem Pensionisten, der 900 Euro bekommt, dass ein Syrer 832 Euro bekommt, ohne je gearbeitet zu haben?
Kern: Erstens trifft das nur zu, wenn die Person asylberechtigt ist. Man soll hier keine Differenzierung machen und diesen Menschen sagen: Ihr lebt zwar hier, aber ihr seid Bürger zweiter Klasse, ihr habt nicht die gleichen Rechte, ihr werdet anders behandelt. Es wird doch niemand glauben, dass das keine Reaktion provozieren würde - bis hin zu Obdachlosenheeren und Slumbildung. Das ist keine Frage der Mitmenschlichkeit, sondern der Klugheit. Wir müssen verstehen, dass jene Menschen, die wir aufgenommen haben, auch ein Minimum brauchen, um überleben zu können. Aber das Ziel muss sein, dass sie sich so schnell wie möglich selbst erhalten können.

"Krone": Würden Sie TTIP unterschreiben?
Kern: Ein Viertel unserer Arbeitsplätze hängt am Export, Amerika ist unser drittwichtigster Handelspartner, 900.000 Arbeitsplätze hängen am Export. Das heißt: Jeder, der gegen offene Handelssysteme ist, reduziert den Lebensstandard. TTIP, wie es heute vorliegt, ist im jetzigen Zustand aber kein Abkommen, das wir beschließen würden.

"Krone": Können Sie eigentlich noch Wortspiele zu Ihrem Namen und zur armen ÖBB hören?
Kern: Ich bin schon in der Schule geeicht worden. Dort gab es eine Schulkollegin namens Kraft, und gemeinsam waren wir das kleine Kernkraftwerk. Also ich bin da einiges gewöhnt.

"Krone": Am Donnerstag ist Fronleichnam, wie wichtig ist Ihnen Religion?
Kern: Sie ist ein wichtiger Teil unserer Kultur, eine prägende Kraft in unserer Gesellschaft. Viele der christlichen Werte sind mir persönlich wichtig, ich selbst bin allerdings Agnostiker.

"Krone": Sieht man Sie also nicht bei der Fronleichnamsprozession oder in der Kirche?
Kern: Heuer bin ich im Büro. Aber ich war erst unlängst bei der Erstkommunion meiner Tochter in der Kirche. Meine Frau und ich gehen auch zu wichtigen Anlässen in die Kirche.

"Krone": Apropos: Hat Ihre Ehefrau keinen Einspruch erhoben, als klar wurde, dass Sie Kanzlerkandidat sind?
Kern: Sagen wir mal so: Sie war nicht ad hoc begeistert. Es war eine gemeinsame Diskussion, an deren Ende die Einschätzung lag, dass man zu einer solchen Chance nicht Nein sagen kann, auch wenn sie einen massiven Einschnitt ins Familienleben bedeutet. Vor diesem Hintergrund werden wir das gemeinsam meistern.

"Krone": Hätten Sie auf sie gehört, wenn Ihre Frau Ihnen abgeraten hätte?
Kern: Dann wäre es nicht gegangen. Ohne festen Rückhalt zu Hause kannst du dem Land nicht dienen.

Zur Person von Christian Kern:
Geboren am 4. Jänner 1966 als Sohn einer Sekretärin und eines Elektroinstallateurs in Wien-Simmering. Kern studiert Publizistik und engagiert sich schon früh beim Verband Sozialistischer Studenten. Im Juni 2010 wird er Vorstandsvorsitzender der ÖBB-Holding AG, im Mai 2016 österreichischer Bundeskanzler und SPÖ-Chef. Verheiratet mit der Managerin Eveline Steinberger-Kern, Vater von drei Söhnen aus erster Ehe und einer Tochter.

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