Filzmaier-Analyse

Hofburg-Wahl: “Niemand kann wissen, wer gewinnt”

Österreich
03.04.2016 18:29

Am 24. April wird ein neuer Bundespräsident gewählt. Sechs Kandidaten stehen zur Wahl. Die absolute Mehrheit - 50 Prozent plus eine Stimme - wird keiner im ersten Wahlgang schaffen. Es kommt auf die Stichwahl der beiden Bestplatzierten an. Was aber sind Meinungsumfragen wert? Prognosen sind keine Wahr- und Wahlsagerei: Niemand kann wissen, wer gewinnt, sagt Analyst Peter Filzmaier.

  1. In fast allen Umfragen liegt Alexander Van der Bellen voran. Irmgard Griss und Norbert Hofer sind dahinter nahezu gleichauf. Andreas Khol liegt überall deutlich zurück. Richard Lugner ist abgeschlagen. Nur bei Rudolf Hundstorfer scheiden sich die Umfragegeister: Mehrheitlich wird ihm wie Khol ein Rückstand zugeschrieben. Nur in Einzelfällen sehen Meinungsforscher ihn im Rennen um die Spitze.
  2. Wir wissen aber viel zu wenig über die Qualität der Umfragen. Aus wissenschaftlicher Sicht müssten Auftraggeber, durchführendes Institut, Umfragezeitraum, Stichprobengröße und deren Auswahlverfahren, Befragungsmethode - also persönlich, telefonisch oder online -, Konfidenzintervall vulgo Schwankungsbreite und der gesamte Fragebogen veröffentlicht werden. Dafür jedoch reichen Zeit oder Platz in Fernsehen und Zeitungen nicht.
  3. Oft sind selbst bei großem Bemühen die Angaben unvollständig. Die maximale Schwankungsbreite - meistens plus oder minus vier bis fünf Prozent - ist irreführend. Sie bezieht sich auf einen Kandidaten mit theoretisch exakt 50 Prozent der Stimmen. In Wahrheit müsste sie für jeden Bewerber extra ausgerechnet werden, und es ergibt sich immer ein anderer Wert. Dasselbe gilt für das Wahlverhalten von Teilgruppen wie Jungwähler oder Pensionisten. Derart genau ist kein Medium.
  4. Ähnlich selten erfahren wir, ob die Stichprobe der gesamten Wählerschaft von bei dieser Wahl mehr als 6,3 Millionen Österreichern sauber gezogen wurde und wie hoch die Ausschöpfungsquote war. Von bestimmten Berufsgruppen bis hin zu Besitzern nicht registrierter Handys gibt es eine Menge Leute, die in Zufallsstichproben schlecht erreichbar sind - oder am Telefon sofort auflegen. Zählen sollten nur abgeschlossene Nettointerviews, allein die Zahl der angerufenen Personen sagt nichts aus. Wird eine Wahlumfrage mit Befragungen über Kaufverhalten, Musikgeschmack oder Lieblingsessen kombiniert, ist ihr Wert ohnedies fragwürdig.
  5. Allen Kandidaten ist der größere Teil der Umfragedaten egal. Jedwedes Nachdenken über jene, die "Ich wähle dich auf keinen Fall!" sagen, ist sinnlos. Daher interessieren sich Wahlkampfstrategen bloß für 30 Prozent der Wähler. Bei sechs Bewerbern sind theoretisch maximal so viele für einen Kandidaten zu gewinnen. Parteistudien beinhalten Grafiken, die Wähler der Konkurrenz komplett ausblenden. Abgebildet werden ausschließlich Prozentanteile jener, die sicher, wahrscheinlich oder vielleicht den eigenen Kandidaten wählen werden. Das ist die Zielgruppe. Mit den medial dargestellten Zahlen hat das aber gar nichts zu tun.
  6. In den öffentlich zugänglichen Umfragen werden hingegen scheinbar auf alle Wahlberechtigten bezogene Werte gezeigt. In Wirklichkeit gibt es sichere Nichtwähler. Zugleich deklariert sich bis zu ein Drittel nicht. Weil sie nicht wissen, wem sie ihre Stimme geben. Oder es dem Interviewer aus Scheu nicht sagen wollen. Der Hinweis auf die Anonymität ist lächerlich, denn man ruft die Person ja gerade an.
  7. Als Rohdaten bleibt die Zahl jener Österreicher, die sich fix für ihren Wunschpräsidenten entschieden haben. Hier liegt einstweilen kein Kandidat über 20 Prozent der Wahlberechtigten. Andreas Khol erreichte zu Ostern in einer ORF-Umfrage einen Wert von nur sieben Prozent. Sein Wahlergebnis wird besser sein, aber wie viele Unentschlossene sind letztlich am Wahlsonntag für ihn? Ebenso schwierig sind Prognosen, wer von den Nichtdeklarierten am Wahltag zu Hause bleibt.
  8. Prozentzahlen sind eine sehr verzerrende Größe. Wenn Lugner bis zu fünf Prozent der Stimmen bekommen soll, klingt das nicht sehr beeindruckend. Allerdings wären je nach Wahlbeteiligung sechs volle Praterstadien für einen Kasperl. Das hört sich besser an. Vergleichbar mit Frank Stronach genügt es, irgendwie anders zu sein.
  9. Interessant ist der Versuch, die Umfragedaten in absolute Zahlen umzurechnen. Bis zu 800.000 Wahlberechtigte sind sichere Nichtwähler, weitere etwa 1,8 Millionen unentschlossen. Das ist weit mehr, als jeder Kandidat zum jetzigen Zeitpunkt Wählerstimmen für sich verbuchen kann. Wobei bis zur Wahl Meinungswechsel jederzeit möglich sind. Insofern gilt unverändert: Jedes Wahlergebnis ist denkbar.
  10. Stimmen die aktuellen Umfragezahlen, bedeutet dies allerdings, dass die Kandidaten der Regierungsparteien SPÖ und ÖVP eine Aufholjagd starten sollten. Dazu ein Zahlenspiel auf Basis der ORF-Umfrage: Angenommen, von den rund 1,8 Millionen unentschlossenen Österreichern entscheiden sich je 250.000 für Van der Bellen, Griss und Hofer. Insgesamt ebenso viele votieren für Lugner oder werden Nichtwähler. In diesem Fall müsste der SPÖ- oder ÖVP-Kandidat mehr als doppelt so viele Unentschlossene - also 500.000 Wähler - von sich überzeugen, damit er es wenigstens in die Stichwahl schafft.

Peter Filzmaier ist Professor für Politikwissenschaft an der Donau-Universität Krems. Der 48-Jährige schreibt seit 2015 regelmäßig in der "Krone".

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