"Krone"-Interview

Haben es Radikale hier gemütlich, Frau Minister?

Österreich
29.11.2014 16:06
Am Morgen nach der Großrazzia spricht Innenministerin Johanna Mikl-Leitner mit Conny Bischofberger über die Dschihadisten-Szene, ihre eigene Sicherheit und warum ein Generalverdacht gegen Muslime in Österreich verhängnisvoll wäre.

Sie kommt allein, nur mit ihrem Pressesprecher Hermann Muhr (den sie "Muhrli" nennt), ins Wiener Haas-Haus. "Wann immer es die Situation erfordert, gibt es Personenschutz für mich", erklärt sie, "aber hier mit Ihnen bin ich ja sicher." Keine Bodyguards - obwohl die Innenministerin die Zerschlagung eines Terrornetzwerks verantwortet, bei der am Freitagmorgen 900 Einsatzkräfte in Wien, Linz und Graz 13 Dschihadisten verhaftet und 16 weitere Verdächtige abgeführt haben.

Johanna Mikl-Leitner (50) bestellt Cappuccino und frisch gepressten Orangensaft und legt eine Mappe mit Fakten vor sich auf den Tisch aus Tausendundeiner Nacht. Während des Gesprächs greift sie aber kein einziges Mal auf ihre Unterlagen zurück.

"Krone": Frau Minister, wo waren Sie am Freitag um 4 Uhr morgens?
Johanna Mikl-Leitner: Im Bett. (lacht) Ich habe mich aber gleich um 6 in der Früh erkundigt, wie der Großeinsatz läuft. Die Rückmeldung war: alles wie geplant, ruhig und ohne Gefährdung.

"Krone": Sie haben sich also nicht den Wecker gestellt?
Mikl-Leitner: Um in Gedanken bei meinen Leuten zu sein, dafür brauche ich keinen Wecker.

"Krone": Ist diese Großrazzia für Sie ein Anlass, stolz zu sein?
Mikl-Leitner: Tatsächlich handelt es sich um einen der größten Einsätze des österreichischen Verfassungsschutzes. Ja, ich bin stolz, dass dieser Zugriff vorbildlich über die Bühne gegangen ist.

"Krone": Jetzt weiß man seit Jahren, dass radikale Islamisten Österreich - sagen wir einmal - sehr schätzen. Warum hat es so lange gedauert, bis man zugeschlagen hat?
Mikl-Leitner: Weil man natürlich immer ganz konkrete Hinweise braucht. Hier waren verschiedenste Einheiten monatelang im Einsatz, haben viele Infos, die wir auch von der muslimischen Community bekommen haben, ausgewertet, verdichtet, Personen observiert... Außerdem ist das Kalifat ja erst letzten Sommer ausgerufen worden.

"Krone": Und warum fand die Razzia gerade am 28. November, dem Tag des SPÖ-Parteitages, statt?
Mikl-Leitner: Es ist Humbug, hier einen Zusammenhang herzustellen. Das entscheiden allein die Experten, wann ein Zugriff stattfinden soll. Staatsanwaltschaft und Polizei haben diesen Termin festgelegt. Und das Ergebnis - 13 Festnahmen, über 20 Hausdurchsuchungen, propagandistisches Material - zeigt, dass wir sehr gut vorbereitet waren.

"Krone": Im Zentrum der Ermittlungen stand ein Hassprediger, der mitten in einem Wiener Gemeindebau gelebt hat - mit Ehefrau und fünf Kindern. Wie ist so etwas möglich?
Mikl-Leitner: Dieser Herr ist uns seit Langem bekannt - mehr kann ich aus ermittlungstechnischen Gründen leider nicht dazu sagen. Sie können aber sicher sein, dass der Verfassungsschutz jeden einzelnen Dschihadisten in Österreich im Fokus hat. Die Bevölkerung kann sich also auf die Polizei, den Staatsschutz, die Justiz verlassen.

"Krone": Wie viele Dschihadisten werden denn beobachtet?
Mikl-Leitner: Es gibt hier eine Radikalisierungspyramide. Unten sind es bis zu 1.000, die sich für radikale Ideen interessieren oder vielleicht schon in Berührung gekommen sind, etwa über Facebook. Nach oben hin werden es weniger, die tatsächlich mit dem Dschihad in Verbindung gebracht werden können, die also entweder für den IS kämpfen wollen, momentan gerade kämpfen oder aus Syrien zurückgekehrt sind. Insgesamt hat die Polizei weitere 150 Dschihadisten unmittelbar im Visier.

"Krone": Was haben diese Personen für einen Hintergrund?
Mikl-Leitner: Die kommen aus allen Gesellschaftsschichten und Altersgruppen. In erster Linie sind es Tschetschenen, Türken und Bosnier, die bei uns angeworben werden. Es sind aber auch Österreicher dabei.

"Krone": Hat die Polizei überhaupt genügend Beamte, die tschetschenisch, türkisch und bosnisch sprechen?
Mikl-Leitner: Wir haben ausreichend Potenzial, in Wien gibt es beispielsweise fünf Prozent Polizisten mit Migrationshintergrund und dementsprechenden Sprachkenntnissen. Darüber hinaus bedienen wir uns natürlich auch der Dolmetscher.

"Krone": Ist Österreich ein gemütliches Land für Radikale?
Mikl-Leitner: Wie haben sicher ein Gefahrenpotenzial - allein schon aufgrund unserer geographischen Lage. Ich glaube aber, dass unsere Erfolge zeigen, dass wir eben kein gemütliches Land für Dschihadisten sind. Im Gegenteil: Sie können sich bei uns keinen Moment sicher fühlen. Unser Kampf geht weiter und zwar mit aller Entschlossenheit und null Toleranz.

"Krone": Fürchten Sie nach der Razzia am Freitag Racheakte?
Mikl-Leitner: Wir können zu keiner Zeit und nirgendwo auf der Welt ausschließen, dass es zu Anschlägen kommt. Wichtig ist, dass man gut darauf vorbereitet ist. In Österreich sind wir da wirklich gut aufgestellt.

"Krone": Man weiß, dass Sebastian Kurz nach seiner Initiative für ein neues Islamgesetz ganz oben auf der Liste des IS steht. Haben Sie persönlich Angst?
Mikl-Leitner: Angst habe ich keine. Aber selbstverständlich mach ich mir darüber Sorgen. In meiner Verantwortung als Innenministerin muss ich aber damit leben. Man muss wissen, wofür man kämpft und wogegen. Wir kämpfen für Werte und wir kämpfen gegen den Terror. Und neben meiner eigenen Sicherheit ist es meine Aufgabe, der Bevölkerung das Gefühl von Sicherheit zu vermitteln.

"Krone": Was bedeutet dieser Zugriff, der auch in Moscheen stattgefunden hat, eigentlich für die vielen Muslime in unserem Land, die einfach nur ihren Glauben leben wollen?
Mikl-Leitner: Der Großteil der 500.000 Muslime will hier bei uns in Frieden leben und hat mit dem IS-Terror nichts zu tun. Aber die Dschihadisten missbrauchen den Islam für ihre Zwecke, sie morden und vergewaltigen im Namen des Islam. Deshalb darf es keinen Generalverdacht geben. Die Zivilbevölkerung sollte wachsam sein, weil es hier um unsere Grund werte, um Menschenrechte geht. Aber ich warne davor, einen derartigen Einsatz zur Hetze zu missbrauchen. Wer das macht, ist mitschuldig, wenn es zu Übergriffen an Unschuldigen kommen sollte.

"Krone": Was passiert jetzt mit den 13 Verhafteten?
Mikl-Leitner: Sollte sich der Verdacht erhärten, dann verlieren sie die österreichische Staatsbürgerschaft. Bisher konnte diese nur entzogen werden, wenn sich jemand einem fremden Militär anschließt. Ab 2015 wollen wir das ausweiten. Es ist aber nur möglich, wenn eine Doppelstaatsbürgerschaft vorliegt, weil laut UNO-Abkommen kein Mensch staatenlos werden soll.

"Krone": Frau Minister, Sie sind auch zweifache Mutter. Wie erklären Sie Ihren Töchtern den Dschihad?
Mikl-Leitner: Wir reden sehr viel darüber. Ich sage ihnen, dass das ein Krieg mit grausamen Mitteln ist, und dass er gegen alles verstößt, was uns wichtig ist. Und dass wir diese Werte verteidigen. Wir sprechen auch über die Flüchtlinge, die vor diesem Krieg fliehen müssen.

"Krone": Sind Sie jemand, der sich privat für Flüchtlinge einsetzt?
Mikl-Leitner: Ja, ich unterstütze finanziell und persönlich Flüchtlinge. Ich hatte auch acht Jahre lang ein Kindermädchen aus Nigeria. Loveth gehört heute zu unserer Familie. Sie hat Altenpflegerin gelernt.

"Krone": Das klingt gar nicht nach "böser Hexe", als die sie in der Puppenshow "Maschek" dargestellt werden. Zu Unrecht?
Mikl-Leitner:(lacht) Böse bin ich mit Sicherheit nicht. Aber gegen die Hexe hab' ich nichts... Als Kind hat. Beides kann im Leben nicht schaden.

Johanna Mikl-Leitners Karriere
Geboren am 9. Februar 1964 als Tochter einer Kaufmannsfamilie in Hollabrunn. Studium der Wirtschaftspädagogik, seit 1995 bei der ÖVP. Ab 2003 ist sie Sozial-Landesrätin in Niederösterreich, seit 2011 ÖAAB-Chefin und Innenministerin. "Hanni", wie die Ministerin von Freunden genannt wird, hat eine Zwillingsschwester namens "Nelli" und weitere zwei Geschwister. Sie ist verheiratet mit Hobbykünstler Andreas Mikl und hat zwei Töchter (Larissa ist zehn, Anna 13 Jahre alt).

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