TTIP-Stopp

Gus van Harten – Schützenhilfe aus Kanada

Wirtschaft
30.04.2015 17:52
Wer ist dieser Professor, der so entschieden gegen eine Klausel namens ISDS kämpft? Fragte sich Kanzler Faymann und lud Gus van Harten nach Wien ein.

Seine Studie zu privaten Schiedsgerichten für Investoren sorgt europaweit für Zündstoff: "Die eigentlichen Gewinner des ISDS - siehe Erklärung unten - sind die großen internationalen Konzerne", sagt Autor Gus van Harten, Professor an der Osgoode Hall Law School in Ontario, einer der ältesten Rechtsfakultäten in Kanada. Der 43-Jährige sitzt beim Treffen mit der "Krone" neben Bundeskanzler Werner Faymann in dessen Büro, zwischen den beiden liegt sein Buch mit Beispielen von Ländern, die von Konzernen verklagt wurden, der Guglhupf in der Mitte des Tisches bleibt während des Gesprächs unberührt.

Beide sind sich einig: Die Klausel ISDS, vorgesehen im umstrittenen US-Freihandelsabkommen TTIP und in der kanadischen Variante CETA, muss mit allen Mitteln bekämpft werden. "Wer das nicht macht, nimmt den Transfer von Souveränität in Kauf – zulasten der Staaten, zugunsten der Konzerne. Durch ISDS erheben sich Unternehmen über den Gesetzgeber", so van Harten.

Spiel der Interessen ist schwer zu durchschauen
Seit Juli 2013 wird zwischen Europa und den USA das Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP verhandelt – hinter verschlossenen Türen, weshalb das Spiel der Interessen schwer zu durchschauen ist. "Keiner ist gegen Freihandel", stellt Kanzler Faymann klar, "er ist für die Wirtschaft wie die Luft, die wir zum Atmen brauchen. Aber es braucht klare Regeln. Was ISDS betrifft, dürfen wir diesmal nicht denselben Fehler wie bei der Finanzmarktkrise machen: dass wir nachher gescheiter sind... Noch können wir verhindern, dass ISDS Teil der Abkommen ist."

Nach heftiger Kritik an Sondergerichten für Investoren wird in der EU derzeit über einen öffentlichen Schiedsgerichtshof diskutiert. Dass auf die ISDS-Klausel verzichtet wird, gilt jedoch als nicht sehr wahrscheinlich. "Wenn es um die Demokratie geht", so Faymann, "muss man auch bereit sein, einen einsamen Kampf zu führen. Auch der gegen Kernkraftwerke hat einsam begonnen."

Van Harten, der in seiner Studie die weltweit bekannten ISDS-Verfahren analysiert hat, findet den Vorschlag gut. "Aber wenn er ernst gemeint ist, kann man nicht gleichzeitig an ISDS festhalten." 64 Prozent aller Entschädigungen gingen laut den Studienergebnissen an Unternehmen mit mehr als 10 Milliarden Dollar Jahresumsatz, während nur sieben Prozent der erstrittenen Mittel an Firmen flossen, die weniger als eine Milliarde Dollar Umsatz vorwiesen. Detail am Rande: Mehr als zwei Milliarden Dollar kassierten Anwälte und Richter. "Deshalb", so der Rechtsprofessor, "kann man ISDS nicht reformieren, man muss es ersetzen." Denn, so fragt sich van Harten: "Wie können Politiker einen solchen Machttransfer mitmachen?"

Sein Kampf hat dem Bundeskanzler gefallen, "deshalb habe ich ihn eingeladen, nach Wien zu kommen, wo wir über die Auswirkungen von ISDS Gespräche geführt haben. Diese privaten Schiedsgerichte sind das Hauptproblem in der TTIP-Debatte."

Große Konzerne setzen sich fast immer durch
Die Zahl der Verfahren, die es Investoren erlauben, gegen eine ausländische Regierung, in deren Land sie investieren, zu klagen, ist in den letzten Jahren deutlich angestiegen. In mehr als drei Viertel der Fälle setzten große Konzerne ihre Interessen durch, das Nachsehen hatten die Steuerzahler. "Die EU sollte smarter sein als Kanada", erklärt van Harten. Das dort im September 2014 präsentierte Handelsabkommen CETA gilt gemeinhin als Vorbild für TTIP, das parlamentarische Verfahren darüber dürfte aber noch bis Ende 2015 dauern.

Was hat Gus van Harten in Wien gelernt? "Nun, offenbar ist Österreich ein Land, das besonders hartnäckig gegen manche Auswüchse von TTIP kämpft", schmunzelt er. Kanzler Werner Faymann will den ISDS-Experten weiterhin konsultieren. Schützenhilfe aus Kanada kann bei der hitzigen TTIP-Debatte nicht schaden.

ISDS bedeutet "Investor-State Dispute Settlement" – die Investor-Staat-Streitbeilegung wird auch als Investitionsschiedsverfahren bezeichnet. Es erlaubt Investoren, gegen eine ausländische Regierung, in deren Land sie investieren, ein Verfahren zu führen, und soll Teil des TTIP (mit Europa) bzw. CETA (mit Kanada) sein.

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