"Spannender denn je"

Filzmaier-Analyse: Die Graz-Wahl in zwölf Punkten

Österreich
29.01.2017 09:42

Graz ist anders. Am Sonntag in einer Woche, dem 5. Februar, wird in der steirischen Landeshauptstadt der Gemeinderat gewählt. Die Ausgangslage ist spannender als je zuvor. Weder das Rennen um den ersten Platz noch irgendwelche Koalitionsvarianten danach für den Bürgermeistersessel sind entschieden. Alles ist möglich.

1. Nur in Graz und Klagenfurt stellten auf Hauptstadtebene gleich drei Parteien - ÖVP, SPÖ und FPÖ - in der jüngeren Vergangenheit den Bürgermeister. Hinzu kommt das Phänomen der KPÖ. Außerhalb der Steiermark ist die Partei unter der Wahrnehmungsschwelle. In Graz bekam sie zuletzt knapp 20 Prozent der Stimmen. Auch Kleinstparteien sind traditionell stark. Warum nur, warum?

2. Das liegt am minderheitenfreundlichen Wahlrecht - mit wenig über zwei Prozent der Stimmen kann man es in den Gemeinderat schaffen -, vor allem jedoch an der bunten Zusammensetzung von Graz als Industrie-, Kultur- und Universitätsstadt. Alteingesessene Hackler und eingebürgerte Zuwanderer sowie liberale Jungunternehmer und konservative Bildungsbürger leben nebeneinander. Die Wahlbezirke reichen von Arbeitersiedlungen über Studentenviertel bis zu noblen Dachterrassenwohnungen.

3. Niemand weiß daher, wie die Wahl ausgehen wird. Umfragen sind Schall und Rauch. Bereits die Frage "Wen werden Sie am Sonntag in zwei Wochen wählen?" führt angesichts von bis zu einem Drittel unentschlossener Grazer zu keinem tauglichen Ergebnis. Noch unsicherer sind Prozentzahlen als Antwort auf die Zusatzfrage, wer überhaupt mit Sicherheit an der Wahl teilnimmt.

4. Zudem werden keine Gold-, Silber- und Bronzemedaillen für die Platzreihenfolge der Parteien vergeben, sondern nachher der Bürgermeister im Gemeinderat gewählt und anteilig Sitze in der Stadtregierung vergeben. Für dortige Mehrheiten braucht es Koalitionsverhandlungen, welche ebenso unvorhersehbar sind. Wenn die ÖVP mit Siegfried Nagl als Titelverteidiger oder vielleicht gar die FPÖ als Herausforderer Erster wird, muss man sich mühsam einen Partner suchen.

5. Ein Ergebnis der Wahl steht freilich fest, nämlich das geringe Interesse. Die Wahlbeteiligung in Graz betrug zuletzt 55 Prozent. Mit anderen Worten: 2012 gaben von über 200.000 Wahlberechtigten weniger als 115.000 eine gültige Stimme ab. Auch 2017 lautet die Schlüsselfrage, ob mehr als die Hälfte der Stadtbürger zur Wahl geht oder lieber zuhause bleibt.

6. Warum das so ist? Das Hauptmotiv ist nicht etwa persönliche Verhinderung wie durch Krankheit, sondern das als unattraktiv empfundene Kandidaten- und Parteienangebot. Trotz zehn Listen als Auswahl auf dem Stimmzettel ist die Politikerverdrossenheit für viele so groß, dass man nicht einmal das kleinste Übel wählen will.

7. Die niedrige Beteiligung führt dazu, dass jede Partei im Austausch mit dem Nichtwählerlager mehr Stimmen gewinnen oder verlieren kann, als von der Konkurrenz zu holen sind. Es geht also um eine ausreichende Mobilisierung. Die eigenen Anhänger müssen dazu gebracht werden, am ersten Februarsonntag vom Wohnzimmersofa in das Wahllokal zu gehen.

8. Da helfen Plakate wenig, das ist allein im direkten Wählerkontakt zu schaffen. Parteifunktionäre müssen von Tür zu Tür gehen und auf kleinen Veranstaltungen speziell jene kontaktieren, die ihre Sympathisanten sind. Wer hingegen mit der sprachlichen Schrotflinte grölend durch Graz läuft, mobilisiert womöglich eher seine Gegner.

9. Voraussetzung der Wahlkampagnen sind demnach kluge Strategiepläne sowie gute Datenbanken und eine effiziente Organisationsstruktur, um Wählergruppen zielgerichtet anzusprechen. Hier hat die ÖVP als größte Partei einen Wettbewerbsvorteil. Zugleich haben die Kommunisten ihre Hausaufgaben gemacht. Wenn sie beim Thema Wohnen gegen zu hohe Heizkosten kämpfen, verkünden sie das nicht in Villengegenden, wo jeder genug Geld hat.

10. Jede Menge Wähler sind aufgrund des Durchschnittsalters der Bevölkerung in Pension. Für Bürgermeister Nagl ist das gut, denn er ist der Lieblingsschwiegersohn älterer Frauen. Hätten 2012 nur Wählerinnen über 60 Jahre abgestimmt, so wäre Nagls ÖVP bei fast 60 statt 33 Prozent gelandet.

11. Also setzt die ÖVP auf Nagl als Einpersonenstück. Die KPÖ braucht Elke Kahr als Frontfrau weniger dringend, weil sie Themen wie Wohnen und Sozialpolitik erfolgreich besetzt. Bei der FPÖ schwimmt man auf der nationalen Welle mit - ihre Stadtpolitiker sind insofern egal, als auch die Aufstellung von Hydranten statt Kandidaten für das Ausnützen der Stimmungslage beim "Ausländerthema" bis hin zur Verdoppelung der Stimmenzahl ausreichen würde.

12. Der Rest ist Schweigen, weil die Grünen eine relativ neue Chefin und die SPÖ einen weitgehend unbekannten Parteiboss haben. Neos und Piraten sind bestenfalls Zünglein an der Waage, also läuft alles auf ein schwarz-blaues Duell hinaus.

Peter Filzmaier, Kronen Zeitung

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