Im "Krone"-Interview

Die verrückte Bilanz des dienstältesten Nikolos

Nachrichten
06.12.2015 10:42

Er ist in Tausenden Wohnzimmern, bei Bitterarm und Superreich, zu Gast. Seit 26 Jahren. Für die "Krone" zieht Wiens dienstältester Nikolo im Gespräch mit Conny Bischofberger verrückte Bilanz.

Der Mann sieht auch privat aus wie der Heilige Nikolaus: Lustige blaue Augen, gütiges Lächeln, Lesebrille, Knollennase, weißer Rauschebart. Noch ganz ergriffen von den 400 kleinen Fans, die er an diesem Nachmittag aus den Wiener Kindergärten empfangen hat, sitzt Günter Aichinger am runden Tischchen vor der rot-goldenen Weihnachts-Deko und lächelt. Dann erzählt der 67-Jährige von Multikulti- und Patchworkfamilien, Geschenkekult und seiner ganz persönlichen Motivation für den Wahnsinn - alle Jahre wieder.

"Krone": Tragen Sie diesen langen Bart eigentlich freiwillig?
Günter Aichinger: Den lasse ich mir jedes Jahr ab Mai extra wachsen. Unter den Kunstbärten schwitzt man so und irgendwann fangen sie an zu stinken. Bis vor ein paar Jahren kam das Weiß noch aus der Spraydose. Jetzt ist alles echt. Bis 8. Jänner bleibt der Bart, dann rasier' ich ihn ab. Meine Frau ist dann immer ganz froh und sagt: "Gott sei Dank, du siehst jetzt wieder zehn Jahre jünger aus!"

"Krone": Wie wird man Berufsnikolo?
Aichinger: Ich war 1989 der Coca-Cola-Weihnachtsmann. Da musste ich 14 Tage durch Wien marschieren und Geschenke verteilen. Das hat mir gefallen, also bin ich als Nikolaus gegangen. Mittlerweile spiele ich auch Väterchen Frost, das ist bei russisch-orthodoxen Familien Tradition. Da habe ich dann sogar einen Dolmetsch dabei.

"Krone": Kann sich der Nikolaus in der Multikulti-Gesellschaft behaupten?
Aichinger: Er gehört zu unserer Tradition. Und war ursprünglich ja Bischof von Myra in Kleinasien, der heutigen Türkei. Ich treffe in den Kindergärten auf serbische, türkische, arabische Kinder. Die haben alle kein Problem mit mir. Privat buchen deren Eltern natürlich keinen Nikolaus, die bevorzugen den Weihnachtsmann. Deshalb schlüpfe ich in alle Rollen. Man wird flexibel mit der Zeit.

"Krone": Wie viele Kostüme haben Sie?
Aichinger: Drei Nikolaus-, sechs Weihnachtsmann-, zwei Krampus- und ein Väterchen-Frost-Kostüm. Wobei viele Erwachsene den Unterschied zwischen Weihnachtsmann und dem Heiligen Nikolaus gar nicht mehr kennen.

"Krone": Glauben Kinder von heute noch an den Nikolaus?
Aichinger: Ich erlebe immer wieder, dass sie ganz ehrfurchtsvoll sind, dass ihre Augen strahlen, wenn sie mich sehen. Das sind schöne Momente. Ich glaube, der Nikolaus ist heute mehr denn je eine starke Symbolfigur.

"Krone": Wofür?
Aichinger: Für den Glauben. Oder eine übergeordnete Autorität. Das nutzen manche Eltern als pädagogische Waffe. Aber da spiele ich nicht mit. Ich bin kein Kinderschreck.

"Krone": Welche Ermahnungen stehen denn am häufigsten in Ihrem Goldenen Buch?
Aichinger: Brav die Zähne putzen! Nicht so viel am Computer spielen! Nicht immer den Hund am Schwanz ziehen. Ich lese aber immer zuerst das Positive vor. Sonst sind die Kinder ganz verschreckt.

"Krone": Was wollen die ganz Kleinen von Ihnen wissen?
Aichinger: Wo ich herkomme und ob ich einen Schlitten habe. Ich sage ihnen natürlich nicht, dass ich mit meinem kleinen roten Mazda da bin, in den der Bischofsstab gerade mal reinpasst.

"Krone": Sie haben Einblick in sehr viele Familien. Was ist am Nikolausabend los?
Aichinger: Ich erlebe da so einiges. Arbeitslose Eltern, die mit ihren kleinen Kindern in einem Raum wohnen, und über den Betten ist die Wäscheleine gespannt. Und protzige Villen, wo Säcke voller Geschenke vor der Tür stehen - iPhones, Laptops, sogar Urlaubsreisen. Ich frage mich, was diese Eltern ihren Kindern zu Weihnachten schenken.

"Krone": Was hat sich in den letzten 20 Jahren verändert?
Aichinger: Alles - angefangen von den Wohnungen bis hin zu den Kindern. Als ich anfing, haben die Eltern noch mit Blitz fotografiert. Heute machen die Kinder mit ihren Smartphones Selfies. Sie sind überhaupt viel anspruchsvoller geworden. Früher haben sie sich über Mandarinen, Nüsse, Lebkuchen und vielleicht einen Schoko-Nikolaus richtig gefreut. Heute fragen sie sofort: Und wo sind die anderen Geschenke?

"Krone": Machen Sie selber auch Selfies?
Aichinger: Nein, ich bin noch von der alten Schule. Aber man findet mich immerhin schon auf Facebook.

"Krone": Was war Ihr berührendstes Erlebnis?
Aichinger: Das war in einem Einkaufszentrum. Da hat sich ein kleines Mädchen an meinen Rockzipfel gehängt und ist nicht mehr von mir gewichen. Ich hab' sie gefragt, wo ihre Eltern sind. Sie sagte: "Da drüben, sie streiten schon wieder. Sie streiten die ganze Zeit." Ich hab' versucht, das Mädchen zu trösten: "Das wird schon wieder!" Es ist bitter, wenn man einem Kind nicht wirklich helfen kann.

"Krone": Und das verrückteste?
Aichinger: Das war, als mich ein Prominenter eine ganze Nacht lang gebucht hat. Ich musste mich als Weihnachtsmann verkleidet ans Steuer einer Stretchlimo setzen und seine Gäste herumkutschieren. Sie haben hinten gefeiert, und ich bin die Autobahn rauf- und runtergefahren, bis um sieben Uhr in der Früh.

"Krone": Wie hoch war die Gage?
Aichinger: Ein paar Hundert Euro. Ich mache das nicht wegen dem Geld, im Gegenteil. Ich spende 50 Prozent meiner Honorare an die Gruft.

"Krone": Wie kommt das?
Aichinger: Es gab eine Zeit in meinem Leben, da ist es mir dreckig gegangen. Damals hat mir der ehemalige Wiener Bürgermeister Zilk aus der Patsche geholfen. Ich weiß deshalb, wie schnell man ganz unten ist. Das will ich nie vergessen.

Seine Karriere
Geboren am 3.10.1948 in Kirchdorf an der Krems, Oberösterreich. Im Zivilberuf war Günter Aichinger bis vor drei Jahren Holzlacke-Vertreter. Vor 26 Jahren wurde er als Weihnachtsmann entdeckt, das war auch der Start seiner Nikolaus-Karriere. Der Mann mit Echtbart wird nicht nur von Tausenden Familien, sondern auch von Einkaufszentren in ganz Österreich und der Stadt Wien gebucht.

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