Schlepper-Prozess

Begleitfahrer lässt tief in Bandenstruktur blicken

Österreich
23.06.2017 16:02

Beim Schlepper-Prozess im südungarischen Kecskemet geben sich die Angeklagten weiterhin verschlossen und wollen keine Geständnisse ablegen. Wie schon zuvor der erstangeklagte Kopf der Schlepperbande, Samsooryamal Lahoo (30), und der zweitangeklagte Chef der Fahrer, Metodi G. (31), wollte am Freitag auch der Bulgare Vencislav T. (39) nichts sagen, sondern zunächst alle anderen Angeklagten hören. In den Polizeiverhören hatte er stets geleugnet, etwas mit dem Tod der 71 Flüchtlinge zu tun zu haben. "Ich bin unschuldig. Ich wurde reingelegt", hatte er im Zuge seiner Einvernahmen in den Jahren 2015 und 2016 geklagt.

Der 39-Jährige will von den schrecklichen Geschehnissen in der Nacht auf den 26. August keinerlei Kenntnisse haben. Zwar sei er als Begleitfahrer im Einsatz gewesen, er habe aber weder Kontakt mit den Geschleppten noch Kenntnis über deren schreckliches Schicksal gehabt. Auch dem 39-Jährigen droht lebenslange Haft. Ihm werden organisierte Schlepperei und mehrfacher Mord unter besonders grausamen Umständen vorgeworfen.

Doch von diesen Anklagepunkten distanziert sich der Bulgare, der in den Protokollen zugibt, drei Fahrten begleitet zu haben - darunter den Transport von sieben Migranten in einem Ford Galaxy und eben jene Fahrt, die auf tragische Weise in einer Pannenbucht auf der A4 in Parndorf endete.

"Die Opfer tun mir leid"
"Die Menschen im Kühl-Lkw tun mir leid", zitierte der Richter die Aussage des Bulgaren aus dem Protokoll, "aber ich habe mit alldem nichts zu tun." Vielmehr sieht sich T. als "Sündenbock" für andere. "Ich habe weder Anweisungen gegeben noch organisiert, war nur Begleiter - zweimal bin ich nur in einem Begleitfahrzeug am Beifahrersitz gesessen und einmal bin ich selbst gefahren."

Zur Bande sei er über einen Mann namens Toni, der in Bulgarien leben soll, gestoßen. "Er hat mich nach Ungarn gebracht. Ich hatte 600 Euro Schulden bei ihm." Über die Fahrerjobs wollte T., der verheiratet ist und ein kleines Kind hat, seine Schulden zurückzahlen. Anfangs sei von zwei Tagen Arbeit die Rede. Für drei Jobs wurden ihm laut seinen Angaben im Verhörprotokoll 1500 Euro geboten. Auf die Frage, ob das nicht gefährlich sei, habe ihm Toni stets versichert: "Nein, es gab noch nie Probleme." Wegen seiner schweren finanziellen Situation willigte der 39-Jährige ein und musste zunächst nur einige Autos von einem Ort zum anderen bringen, um diese für Auftraggeber zu kaufen und zu verkaufen. Auf diesem Wege lernte er auch Ivaylo S. kennen, den späteren Fahrer des Todes-Lkws.

"Will nach Hause!": Begleitfahrer immer wieder vertröstet
Auch Metodi G. und Lahoo traten dann in Erscheinung. Toni und die beiden trafen sich laut T. mehrmals, von den Gesprächen habe er aber nichts mitbekommen, da sie stets außerhalb seiner Hörweite stattfanden. Nach einigen Aufträgen habe er dann langsam wieder nach Bulgarien zu seiner Familie zurück wollen und dies auch Toni mitgeteilt. Dieser habe ihn aber immer wieder aufs Neue mit den Worten vertröstet: "Ja, ja, wir fahren bald. Ich muss noch etwas erledigen."

Und irgendwann nach einem handfesten Streit zwischen den beiden sei Toni "einfach abgehaut", ist im Verhörprotokoll zu lesen. "Er ließ mich einfach in Kecskemet zurück. Ich war sehr wütend auf ihn." Nach einem weiteren Begleitfahrerjob, unmittelbar nach seiner Rückkehr nach Kecskemet, habe sich plötzlich G. bei ihm gemeldet. "Er teilte mir mit, ich solle sofort zu ihm kommen, denn in einem Waldstück würden schon Dutzende Flüchtlinge auf einen Transport warten und sie hätten auch kein Wasser", berichtete T. im Zuge einer Einvernahme im Jahr 2016.

"Wollte Auftrag nicht. Ich war müde und hatte Angst"
Ivaylo sei schon vor Ort gewesen und habe sich bereit erklärt, den "Lkw mit den Hühnerköpfen" zu lenken. "Ich wollte nicht, ich war schon müde und es erschien mir gefährlich", heißt es weiter. Doch Ivaylo habe ihn schließlich mit folgenden Worten überzeugt: "Sei kein Schwächling. Österreich ist nicht weit."

Zunächst sei T. hinter dem Kühllaster, dann nach einer kurzen Betankungspause auf einem Parkplatz mithilfe von Dieselkanistern vor dem Lkw gefahren. Obwohl die Protokolle von den abgehörten Telefonaten zwischen dem Bandenboss und den weiteren Beteiligten einen intensiven Kontakt in den Nachtstunden belegen, will T. nach dieser Pause keinen Kontakt mit dem Fahrer des Lkw gehabt haben. Erst in den Morgenstunden habe ihn dessen Anruf ereilt, er möge ihn von der Autobahn bei Parndorf abholen.

Vom Tod der Flüchtlinge aus Medien erfahren
Als er bei dem Kühl-Lkw eintraf, sei der Chauffeur ausgestiegen. "Er sagte nichts, da wusste ich nicht, dass Menschen in dem Lkw tot waren", erklärt der 39-jährige Drittangeklagte laut Einvernahmeprotokoll. Gemeinsam sei man nach Budapest zurückgefahren. Dass alle 71 Flüchtlinge, die im Laderaum zusammengepfercht waren, erstickt waren, erfuhr der Begleitfahrer anscheinend erst am nächsten Tag, nachdem Medien über die Flüchtlingstragödie berichtet hatten. "Ich bitte um Verzeihung, doch ich kann nichts dafür."

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