Filzmaier-Analyse

10 Gründe, warum wir Politiker lieben sollten

Österreich
19.04.2015 06:00
94 Prozent der Österreicher misstrauen Politikern. Ein schlechteres Image haben nur Waffenhändler und Zuhälter. Also macht sich beliebt, wer in deftiger Wortwahl über die Politik herzieht. Vom Stammtisch über die Leserbriefseiten der Zeitungen bis hin zu Journalisten, Künstlern und Wissenschaftlern. Peter Filzmaier analysiert für die "Krone", warum wir hierzulande Politiker nicht generell verteufeln sollten: 10 Gründe, warum wir sie lieben sollten.

"Geht es nach der Meinungsforschung, so werden sich neun von zehn Lesern über den Titel und meinen Text empören", so Filzmaier. Bei wegen Bestechlichkeit verurteilten Politikern wie dem früheren EU-Abgeordneten Ernst Strasser ist die Aufregung berechtigt. Doch von der kleinsten Gemeinde aufwärts haben wir fast 50.000 schuldlose Berufskollegen. Sippenhaft gab es früher im Nationalsozialismus und heute in Nordkorea. Filzmaier hält dem entgegen: "Wer gute Politiker will, muss über sie ab und zu etwas Gutes sagen."

1. Wie viel Steuern wir zahlen und was damit gemacht wird, welche Fächer in Schulen unterrichtet werden, oder dass man nicht bei Rotlicht über die Kreuzung fährt - all das sind politische Entscheidungen. Ohne sie würden Chaos und Faustrecht regieren. In einer Demokratie ist es dumm, mit Politikern nichts am Hut haben zu wollen. Wir sollten gerade im Superwahljahr 2015 wünschen, eine Vielfalt von Parteien und Kandidaten zu haben.

2. Wenn Politiker pauschal als korrupt beschimpft werden, finden sich umso mehr nur zweifelhafte Glücksritter. Wollen Sie etwas machen, bei dem man sich täglich anhören kann, wie besch…eiden die eigene Tätigkeit ist? Nein. Wer gute Politiker will, muss über sie ab und zu etwas Gutes sagen.

3. Es ist unfair, gegenüber Politikern verallgemeinernde Vorurteile zu haben. Sind alle Pfarrer Kinderschänder, alle Beamten oder Lehrer faule Säcke, alle Ärzte miese Abzocker und alle Frühpensionisten heimliche Pfuscher? Natürlich nicht. Demokratie bedeutet auch, dass Politiker kein Freiwild für Unterstellungen sind.

4. Auf welcher Basis beurteilen wir Politiker? In einer deutschen Umfrage sagten 95 Prozent der über sie Schimpfenden, nichts über deren Alltag zu wissen. Wird die Distanz zwischen Volk und Volksvertretern beklagt, so gibt es neben einer Bringschuld der Politik auch Holschulden der Bürger. Im Parlament findet gerade eine monatelange Debatte zur Direktdemokratie statt, wo jeder mitdiskutieren kann. Von mehr als 6,4 Millionen Wahlberechtigten gab es bisher nur zehn (!) Stellungnahmen.

5. Das Bild der ruhigen Kugel ist bei engagierten Politikern ungerecht. Für sie existieren kaum Wochenenden, sondern sieben 12-Stunden-Tage unter Dauerbeobachtung. Das Recht auf Privatheit kann man vergessen. Wenige wollen hier mit Politikern tauschen. Oder wollen Sie?

6. Immerhin würde man dafür viel Geld bekommen. Nach Abzug aller Abgaben plus Parteisteuer verdienen Minister netto 6.000 bis 7.000 Euro im Monat, Nationalratsabgeordnete 3.500 bis 4.000 Euro. Dem steht, wenn ein Politiker es ernst meint, die Verantwortung für Millionen Menschen und ein milliardenschweres Staatsbudget gegenüber. In der Privatwirtschaft bekommen Abteilungsleiter mehr. So gesehen ist das Einkommen gar nicht so hoch, obwohl für die Bevölkerung immer zu viel.

7. Außerdem werfen wir Politikern vor, sie seien machtgeil. Der Soziologe Max Weber definiert Macht als Möglichkeit, für Befehle Gehorsam zu finden. Demzufolge hätte jeder Hundebesitzer mehr Machtchancen als ein österreichischer Politiker. Im Länder- und Kammersystem reden viele mit, es braucht Kompromissfähigkeit. Das ist bewundernswert.

8. Wer etwa das Ergebnis der Steuerreform kritisiert, sollte bedenken, wie schwierig kleinste Kompromisse bereits in einer Hausgemeinschaft oder am Arbeitsplatz sind. Hinzu kommt, dass wir von Politikern Lösungen für alles erwarten, von der Weltwirtschaftskrise bis zum Schlechtwetter.

9. Hand aufs Herz: Wer wäre ein besserer Politiker? Die meisten Quereinsteiger sind gescheitert. Von Frank Stronach, zum Beispiel, bleiben nur seine Verhaltensauffälligkeit und inhaltliches Unwissen in Erinnerung. Wir sollten anerkennen, dass es von den über 2.000 Bürgermeistern bis zu unseren 14 Ministern viele Berufspolitiker gibt, die in ihrer Arbeit viel Fach-, Organisations- und auch Kommunikationskompetenz beweisen.

10. Felix Baumgartner, als Extremsportler offenbar zu lange an der dünnen Höhenluft, hat einmal unglaublichen Unsinn gesagt: Er wünsche sich eine gemäßigte Diktatur. Ist ihm klar, dass er da eingesperrt werden kann, nur weil der Regierung sein Gerede nicht gefällt? Allein unsere Demokratie garantiert Meinungsfreiheit und erlaubt es ihm, fast alles zu sagen. Das ist gut so. Wenn wir jedoch demokratisch gewählte Politiker nicht anerkennen, so steigt die Zahl jener, die Baumgartner zustimmen. Will das irgendwer? Hoffentlich nicht.

Peter Filzmaier ist Professor für Politikwissenschaft an der Donau-Universität Krems. Der 47-jährige Politikwissenschafter und ORF-Analytiker schreibt jetzt regelmäßig in der "Krone".

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