Fall Krems

Todesschuss laut Expertisen nicht gerechtfertigt

Niederösterreich
13.10.2009 13:20
Neue Zweifel am gerechtfertigten Waffengebrauch im Fall des von der Polizei in einem Kremser Supermarkt erschossenen mutmaßlichen Einbrechers: Die schriftlichen Gutachten des Gerichtsmediziners Christian Reiter und des Schießsachverständigen Ingo Wieser, die der Austria Presse Agentur inzwischen vorliegen, legen nahe, dass der tödliche Schuss zu einem Zeitpunkt fiel, als eine - wenn überhaupt je gegebene - Gefahr für die Beamten längst gebannt war.

Anhand der in der Vorwoche der Staatsanwaltschaft Korneuburg vorgelegten Sachverständigen-Expertisen lässt sich der wahrscheinliche Ablauf dessen rekonstruieren, was sich in der Nacht auf den 5. August 2008 in dem Supermarkt abspielte, in den ein 14-Jähriger und ein 17-Jähriger (zum Tatzeitpunkt war er noch 16) zu später Stunde eingedrungen waren. Die Jugendlichen hatten sich demzufolge in der Nische eines zehn Meter langen und drei Meter breiten, dunklen Ganges versteckt, als sie bemerkten, dass die Polizei und ein Mitarbeiter des Supermarktes aufgrund eines ausgelösten Alarms eingetroffen waren und die Filiale nach Eindringlingen zu durchsuchen begannen. Dort wurden die Burschen schließlich auch aufgestöbert. "Was macht's denn ihr da?", soll der männliche Polizist ausgerufen haben, als er die Gestalten wahrnahm, die - so seine Darstellung - dann bedrohlich auf ihn zugekommen seien. Einzige Lichtquelle waren zu diesem Zeitpunkt die Taschenlampen der Beamten.

Details aus dem gerichtsmedizinischen Gutachten findest du in der Infobox!

Die Polizistin wiederum hatte bei der Tatortrekonstruktion wenige Wochen danach (das Bild zeigt, wie die Scheiben des Supermarktes vor der Rekonstruktion abgeklebt wurden) eigentlich behauptet, ihr wären zwei Männer gegenüber gestanden, die sie "vermutlich mit einem Messer oder einer Hacke" bedroht hätten, wie aus den Akten hervorgeht. In Wahrheit hatte der 14-Jährige eine Gartenharke und sein Freund einen Schraubenschlüssel eingesteckt, und die beiden dürften unmittelbar an Flucht und nicht an Konfrontation gedacht haben: Zuerst gab der Polizist den Ausführungen des Schießsachverständigen zufolge einen Warnschuss über dem Kopf ab, der in einer Höhe von 1,98 Meter eine Tür zum Verkaufsraum durchschlug und anschließend durch eine Glasscheibe an der Außenseite des Supermarkts ging.

Polizistin schoss auf offenbar flüchtenden 17-Jährigen
Die Polizistin betätigte darauf ebenfalls ihre Dienstwaffe, die den 17-Jährigen aus einer Entfernung von sieben Metern traf. Das Projektil durchschlug dem Jugendlichen in einer Höhe von 70 Zentimeter beide Oberschenkel. Allerdings war er zu diesem Zeitpunkt nur mehr 1,1 Meter von der Tür zum Verkaufsraum entfernt - bei einer Gesamtlänge von zehn Meter des Ganges scheint klar, dass er sich eher zur Tür und nicht hin zu den Beamten orientiert haben dürfte.

"Bei einer Position in nächster Nähe zur Türe würde dies darauf hindeuten, dass der 17-Jährige zum Zeitpunkt der Schussabgabe gerade im Begriff war, die Türe zu öffnen, um diese in den Verkaufsraum zu passieren", stellt dazu auch der Gerichtsmediziner in seiner Expertise fest. Tatsächlich konnte der Jugendliche noch ein paar Schritte in den Verkaufsraum laufen, wo er dann zusammenbrach. Neben ihm rannte der 14-Jährige in den Verkaufsraum, wo er sich am Ende einer Palette duckte und vor den Polizisten zu verstecken trachtete. Wie aus dem Gutachten des Schießsachverständigen deutlich hervorgeht, war der Raum gut beleuchtet.

Völlig in Widerspruch zu polizeiinternen Ausbildungsrichtlinien, die in derartigen Fällen ein gemeinsames Vorgehen des Einsatzteams vorsehen, trat zunächst nur der Polizist in den Verkaufsraum, wo er dem verletzt am Boden liegenden 17-Jährigen befahl, liegenzubleiben. Seine Kollegin blieb vorerst im Gang zurück, weil sie - so ihre Erklärung - vor Schreck wie erstarrt und nicht in der Lage gewesen sei, sich zu rühren. Die weiteren Vorgänge habe sie daher nicht gesehen. Der Supermarkt-Mitarbeiter hatte sich überhaupt aus Angst in einer Ecke klein gemacht.

14-Jährigem aus stehender Position in den Rücken gefeuert
Zum weiteren Geschehen hatte der Polizist bei der Tatrekonstruktion erklärt, er habe sich hingekniet und aus einer Entfernung von viereinhalb bis sechseinhalb Metern auf den 14-Jährigen geschossen, weil er ihm - als er ihn im Verkaufsraum wahrnahm - aufgrund der vorangegangen gefährlichen Situation im finsteren Gang aggressiv und die Lage brenzlig erschienen sei. In Wahrheit habe "der Beschuldigte den Schuss aus einer stehenden Position abgegeben", schreibt der Schießsachverständige, wobei "die Entfernung auf circa 180 Zentimeter bis 200 Zentimeter einzugrenzen ist". Dem Burschen drang das Projektil in den Rücken, er hatte keine Überlebenschance. Der Polizist hatte beim Lokalaugenschein angegeben, er habe auf die Füße des Burschen gezielt, doch wäre er von einem Geräusch abgelenkt worden und habe sich zur Seite gedreht. Als er sich wieder dem 14-Jährigen zugewandt habe, habe sich der Schuss bereits gelöst, und der Bursche sei mit dem Rücken zu ihm gestanden.

Ist eine Anklage gegen den Polizisten wegen eines Vorsatzdelikts denkbar? Siehe Story in der Infobox!

Die wegen fahrlässiger Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen gegen den Beamten ermittelnden Behörden rätseln seit Wochen, weshalb dieser auf den 14-Jährigen feuerte, der sich offenkundig vor ihm verbergen wollte und vermutlich erst aufstand, als er die Aussichtslosigkeit dieses Unterfangens erkannte. Eine weitere Fluchtmöglichkeit wäre ihm jedenfalls versperrt gewesen, da er unmittelbar vor Regalen stand. Sein Werkzeug dürfte der 14-Jährige zu diesem Zeitpunkt außerdem längst eingesteckt gehabt haben, förderten die Ermittlungen der Kriminalisten zutage: Als die Leiche untersucht wurde, fand sich die Gartenharke jedenfalls unter der eng anliegenden Jacke des Burschen.

"Lichtverhältnisse waren für gezielten Schuss ausreichend"
An sich müsste der Polizist auch erkannt haben, dass der vor ihm stehende 1,72 Meter große Jugendliche unbewaffnet und damit keine Gefahrenquelle mehr war, so das Gutachten: "Die Lichtverhältnisse waren für einen gezielten Schuss ausreichend", hält der Ballistiker zur Beleuchtung fest. Der 17-Jährige hatte stets erklärt, er und sein Freund wären mit ihren Werkzeugen nicht auf die Polizisten losgegangen. Und er versicherte von Anfang an, er habe den Schraubenzieher in einer Bauchtasche unter seinem Sweatshirt bei sich getragen und ihm wäre die Tasche samt Inhalt von einem nach der tödlichen Schießerei am Tatort eingetroffenen Ermittler abgenommen worden. Er habe die angebliche Waffe gar nie in der Hand gehabt.

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