Soyer-Vorstoß

Aktenteile im Fall Natascha Kampusch veröffentlicht

Niederösterreich
25.03.2011 08:39
Um im Fall Natascha Kampusch neuen Medienenthüllungen vorzugreifen, hat der Wiener Anwalt Richard Soyer als Rechtsvertreter einiger Staatsanwälte, deren Ermittlungen in der Causa derzeit von der Innsbrucker Anklagebehörde wegen von mancher Seite behaupteter Pflichtverletzungen überprüft werden, am Donnerstagabend wesentliche Aktenteile aus dem Entführungsfall veröffentlicht. Damit wolle er "abenteuerlichen Verschwörungstheorien" entgegentreten, so Soyer.

In der Erklärung Soyers heißt es wörtlich: "Im Interesse gebotener sachlicher Information der Öffentlichkeit, vor allem aber auch der betroffenen jungen Frau, die auf diese Weise ein weiteres Mal zum Opfer gemacht wird, und schließlich im Sinne der von der Frau Bundesministerin für Justiz angestrebten Transparenz staatsanwaltlicher Entscheidungen stelle ich als Vertreter zu Unrecht angegriffener Staatsanwälte der Öffentlichkeit die wichtigsten Unterlagen aus dem Originalakt und zwei seinerzeit von Oberst Franz Kröll versandte E-Mails - in denen bloß Daten dritter Personen anonymisiert wurden - zur Verfügung."

Soyer: Akten belegen Einzeltäterschaft
Wie Soyer betonte, ergibt sich aus den nunmehr veröffentlichten Akten, "dass die Staatsanwaltschaften eng und vertrauensvoll mit den ermittelnden Polizeieinheiten kooperiert haben, umfangreichste Ermittlungen geführt wurden und allen sinnvollen Ermittlungsansätzen nachgegangen wurde". Es seien "sämtliche Ergebnisse eingehend bewertet" worden. Am Ende habe sich der Tatverdacht "dennoch nur gegen einen einzigen Täter" (nämlich den nach Natascha Kampuschs Flucht freiwillig aus dem Leben geschiedenen Entführer Wolfgang Priklopil, Anm.) gerichtet, so Soyer.

Auch Oberst Kröll, der damalige Soko-Leiter, ging zuletzt offensichtlich nicht mehr davon aus, dass Wolfgang Priklopil einen Komplizen hatte. Das belegt sein nunmehr veröffentlichtes E-Mail, datiert vom 4. Dezember 2009 (dieses wie auch alle anderen veröffentlichten Dokumente findest du als PDF-File in der Infobox).

In verschiedenen Medienberichten war immer wieder angedeutet worden, Kröll habe auf staatsanwaltschaftlichen Druck die Ermittlungen gegen seinen Willen vorzeitig eingestellt und damit die Suche nach einem möglichen Mittäter bzw. Mitwisser Wolfgang Priklopils aufgegeben. Dies habe sich der Polizist so zu Herzen genommen, dass er damit in den Selbstmord getrieben wurde, hieß es mancherorts. Der Offizier hatte sich im Juni 2010 in Graz das Leben genommen.

Soko-Leiter lag offensichtlich nicht im Clinch mit der OStA
Die zwei veröffentlichte Mails Krölls zeigen allerdings, dass dieser ein durchaus gutes Einvernehmen mit Oberstaatsanwalt Thomas Mühlbacher, dem 2009 eingesetzten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsleiter, gehabt haben dürfte. Am 23. Dezember 2009 erhielt Mühlbacher dann noch einmal Post vom Soko-Leiter, der ihm Weihnachtsgrüße übermittelte. Der Wortlaut "Ich wünsche Ihnen und Ihrer Familie frohe Weihnachten sowie ein glückliches und erfolgreiches Jahr 2010. Vielen Dank für die Zusammenarbeit und Ihre stetige Hilfe und Unterstützung!" deutet nicht unbedingt auf schwerwiegende Differenzen zwischen dem Polizisten und dem Staatsanwalt hin.

Insgesamt publiziert wurden am Donnerstagabend der 24 Seiten umfassende Abschlussbericht von Oberstaatsanwalt Mühlbacher an das Justizministerium vom 18. Dezember 2009, ein weiterer Bericht und eine Anordnung Mühlbachers vom September 2009, Verfügungen und ein Vorlagebericht der Oberstaatsanwaltschaft Wien vom Februar 2010 sowie zwei E-Mails von Oberst Kröll an Mühlbacher bzw. die vom Innenministerium eingesetzte Evaluierungskommission.

Auszüge aus staatsanwaltschaftlichem Abschlussbericht
Im Folgenden einige Auszüge und Schlussfolgerungen des 24-seitigen Abschlussberichts von Mühlbacher.

  • Im Hinblick auf eine mögliche Mittäterschaft kommt Mühlbacher zu folgendem Schluss: "Nach Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden Beweisquellen lassen die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens einzeln und in ihrer Gesamtheit betrachtet den begründeten Schluss, dass an der Entführung der Natascha Kampusch neben Wolfgang Priklopil noch weitere Personen mitgewirkt hätten, nicht zu."
  • Zum Verdacht auf ein Mitwissertum des Priklopil-Freundes E. H. steht vermerkt: "Da der Verdacht bestand, E. H. werde nach Erhalt seiner Ladung als Beschuldigter versuchen, mit Zeugen oder möglichen Mittätern oder Hintermännern Kontakt aufzunehmen, wurde er über Anordnung der Oberstaatsanwaltschaft Wien vom 24.10.2009 bis zum 30.11.2009 unter Einsatz technischer Mittel observiert. Diese Ermittlungsmaßnahme zeigte, dass der Beschuldigte so gut wie keine über geschäftliche Notwendigkeiten hinausgehenden sozialen Kontakte unterhält. Während der gesamten Dauer der Observation ergaben sich keinerlei Hinweise auf Personen im Umfeld des Beschuldigten, die in irgendeiner Weise mit der Entführung der Natascha Kampusch in Zusammenhang stehen könnten..."
  • Zu den ursprünglichen Angaben des E. H. über den gemeinsam mit Wolfgang Priklopil verbrachten Nachmittag des Fluchttages und das dadurch nicht plausibel erklärbare Detailwissen des Beschuldigten bei seinen ersten Befragungen: E. H. gab bei seinen ersten Einvernahmen und auch gegenüber Medien an, dass ihm Priklopil erklärt hätte, von der Polizei gesucht zu werden, weil er angetrunken einer Streife davongefahren sei. Dieser Darstellung konnte laut dem Bericht kein Glauben geschenkt werden. Am 30. November 2009 gestand der Beschuldigte die Unrichtigkeit seiner bisherigen Angaben und schilderte den Sachverhalt laut dem Bericht so: "Wolfgang Priklopil war äußerst erregt und erklärte dem Beschuldigten bereits nach einer Fahrtstrecke von etwa 200 Metern, dass er Natascha Kampusch entführt habe..." Priklopil soll H. außerdem mitgeteilt haben, "dass er beabsichtige, Selbstmord zu begehen (...), und bat ihn um sein Auto, mit dem er gegen eine Betonwand fahren wollte. E. H. überzeugte ihn aber, nachdem sie mehrere geeignet scheinende Orte aufgesucht hatten, davon, dass er nirgends eine ausreichend lange Anfahrtsstrecke finden werde..."
  • Priklopil habe E. H. außerdem erklärt, dass ihm bewusst geworden sei, "dass er nie mehr eine Frau bekommen würde. Deshalb habe er sich in Torschlusspanik zur Entführung des damals zehnjährigen Mädchens veranlasst. Er erklärte zwar nicht, warum er gerade Natascha Kampusch auswählte, und auch nicht, warum er sich nicht eine erwachsene Frau als Opfer aussuchte, der Beschuldigte führt dies darauf zurück, dass Priklopil glaubte, ein Kind noch in seinem Sinn beeinflussen zu können..."
  • In dem Abschlussbericht wird auch auf "Dubiose Theorien Dritter" näher eingegangen. Behauptungen von Personen wurden, sofern sie nicht von vornherein als irrelevant erkennbar waren, "angemessen nachgegangen (...), um nicht den Vorwurf einer Untätigkeit der Strafverfolgungsbehörden aufkommen zu lassen". Beispiele davon werden darin angeführt und erläutert.
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