Bü-bü-Bündnerfleisch

Schweizer Minister lacht sich zum Internetstar

Ausland
23.09.2010 19:53
Wenige Tage vor seinem Abtritt hat es der Schweizer Finanzminister Hans-Rudolf Merz in einer Parlamentssitzung noch einmal so richtig krachen lassen. Mit einem Lachanfall vor vollem Haus wurde er über Nacht zum Internetstar. Das zweiminütige Video, in dem Merz unter Tränen über die Feinkost-Spezialität "Bündnerfleisch" stolpert, verbreitet sich wie ein Lauffeuer im Web und hat sogar eine Werbeaktion und ein Rap-Video provoziert.

"Auf diese Antwort habe ich mich schon den ganzen Sonntag gefreut", beginnt Merz bei der Sitzung am Montag dieser Woche - und verliest sodann die von einem seiner Zollbeamten in bestem Amtsschweizerisch verfasste Erläuterung der Zollbestimmungen für importiertes Pfefferfleisch. Mittendrin zerkugelt sich der 68-jährige Bundesrat (so heißen die Schweizer Regierungsmitglieder) über den kaum begreifbaren Text und muss vor lauter Lachen mehrmals pausieren. "Bü-bü-Bündnerfleisch!", prustet der Politiker der Freisinnigen Demokratischen Partei dem Nationalrat entgegen und steckt damit das ganze Plenum an.

Das Schweizer Fernsehen zeigte einen Zwei-Minuten-Ausschnitt der Parlamentsaufzeichnung von Merz' etwa viermal so langer Rede, der seither von Tausenden Nutzern des Videoportals YouTube gesehen und auch auf Nachrichten-Websites im Ausland berichtet wurde. Wörtlich sagt Merz in dem Ausschnitt (siehe Video oben): "In Anlehnung an Anmerkung 6a zum Kapitel 2 der KN hat die Zollverwaltung zusätzlich sogenannte schweizerische Erläuterungen zum Zolltarif publiziert. Danach werden gewisse Erzeugnisse noch im Kapitel 2 eingereiht, denen bei der Herstellung Würzstoffe zugesetzt worden sind, sofern dadurch der Charakter einer Ware dieses Kapitels nicht verändert wird (z.B. Bündnerfleisch). Ausgeschlossen von diesem Kapitel bleibt hingegen Fleisch, bei dem die Würzstoffe auf allen Flächen des Erzeugnisses verteilt und mit bloßem Auge wahrnehmbar sind." Nachdem er den kompletten Text heruntergerattert hatte, meinte Merz: "Ich bitte Sie um Verzeihung, wenn ich zwischendurch nicht verstanden habe, was ich Ihnen vorlas."

Das heitere Gewürzfleisch-Referat verdankt der Finanzminister, der letztes Jahr das Amt des Bundespräsidenten der Schweiz bekleidete und dabei die Krise mit Libyens Diktator Muammar al-Gaddafi managen musste, einem wissbegierigen Parlamentarier. Anlass war nämlich eine Anfrage (in der Schweiz heißt das "Vorstoss") aus der rechtskonservativen SVP, in der sich ein Mandatar besorgt über die scheinbar stark gestiegene, unter Niedrigzöllen importierte Menge an ausländischem Pfefferfleisch erkundigte, im Glauben, man könne daraus eine Bedrohung der Schweizer Feinkostwirtschaft konstruieren. Eine "gepfefferte" Nachfrage beantwortete Merz nach seiner Lachorgie dann ganz nüchtern und versicherte dem besorgten Nebenerwerbslandwirt, dass die importierte Menge nicht einmal ein Prozent des Schweizer Fleischkonsums ausmache.

Werbeaktion und Rap-Video
Die Lachorgie hat diese Woche mehrere Akteure auf den Plan gerufen: Der Verband der Bündner Fleischfabrikanten reagierte nach dem Merz-Auftritt blitzschnell und empfing die Schweizer Politiker nach der Bundesratswahl am Mittwoch, bei der Merz' Nachfolge und die des ebenfalls vorzeitig zurückgetretenen Verkehrsministers Moritz Leuenberger von den Sozialdemokraten geregelt wurde, mit Gratis-Proben Bündnerfleisch. Auf der Verpackung waren Merz' lachendes Konterfei und der Slogan "Nie den Humor verlieren" aufgedruckt. Und wie es sich für einen Internetstar gehört, drehte der Fachverband gleich ein Video dazu (siehe Infobox).

Als wäre dem nicht schon genug, veröffentlichte der Schweizer Musiker "Knackeboul" auch noch eine Rap-Version von Merz' "Bü-bü-Bündnerfleisch"-Verhaspler auf YouTube. Dem gelungenen Beatbox-Remix (siehe Video in der Infobox) folgte auch ein Karriereangebot für den baldigen Pensionisten: "Mit ein bisschen Übung würde ich ihn mit auf Tour nehmen", sagte der Rapper der Zeitung "Blick".

Zollbeamter war sauer
Weniger gefeiert wurde Merz' Lachorgie indes bei der Eidgenössischen Zollverwaltung. Der Beamte, der für Merz die Anfragebeantwortung geliefert hatte, zeigte sich laut Schweizer Medienberichten recht gekränkt darüber, von dem Bundesrat ausgelacht worden zu sein. Nachdem Merz sich beim Vorgesetzten des Beamten gemeldet hatte und diesem versicherte, dass es "nicht persönlich" gemeint war, glätteten sich aber auch dort die Wogen. Der Beamte zeigte sich gegenüber "20 Minuten" versöhnlich und gestand ein: "Die Antwort ist wohl etwas gar technisch ausgefallen."

Im österreichischen Parlament sind derzeit eher Wut- und Schreianfälle statt Lachorgien die Regel, den eidgenössischen Politikern bebt aber offenbar öfter das Zwerchfell. Im Frühjahr hatte die Bundespräsidentin Doris Leuthard das Parlament bei einer Anfrage zum Thema Pferde (siehe Infobox) zum Lachen gebracht.

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